Der Diskuswerfer zweifelt vor seinem Comeback: "Ich glaube momentan nicht an einen Olympiasieger Robert Harting"
Am Samstag gibt Robert Harting beim Istaf Indoor sein Comeback. Im Interview grübelt er über sein Alter und seine von Skandalen belastete Sportart.
Herr Harting, wie geht es dem Knie?
Das Knie ist eigentlich super. Aber es ist schwer, die ganzen Automatismen wieder aufzubauen. Die Bewegungsmuster, die immer intuitiv waren, sind weg. Man braucht nach einem Kreuzbandriss doch so 15, 16 Monate.
Nun wartet der erste Wettkampf seit Ihrer Verletzung vor eineinhalb Jahren auf Sie, beim Istaf Indoor am Samstag.
Ja, und ich brauche das jetzt auch zur Orientierung. Momentan fehlt die mentale Sortierung, das ist wie in einer Schneekugel. Deswegen ist das Istaf auch so wichtig für mich. Ich kann sehen, wie ich unter Stress reagiere.
Sie haben auf die WM in Peking im vergangenen Sommer verzichtet. Die Siegesweite von 67,40 Meter war nicht so berauschend, eine Medaille wäre vielleicht drin gewesen – war es trotzdem die richtige Entscheidung, nicht anzutreten?
Aus Medaillensicht trauere ich der WM nicht hinterher. Ich hätte ja auch Vierter werden können, und dafür wäre ich ein Risiko gegangen, das ich zu dem Zeitpunkt eventuell noch nicht vertragen hätte. Allerdings fehlt mir eine gewisse Leichtigkeit, die ich damals noch hatte.
Wie meinen Sie das?
Ich habe meine körperliche Veränderung unterschätzt. Ab 30, 31 verändert sich der Körper eines Sportlers, alle großen Werfer sind in dem Alter langsamer geworden. Und das wartet auf mich genauso.
Erleben wir denn wieder den Robert Harting von vor zwei Jahren?
Nein, ich glaube nicht. So eine Vorherrschaft wird es nicht mehr geben. Ich muss im Wettkampf selbst erst sehen, was noch übrig ist und was ich abschreiben muss.
Das hört sich nicht so an, als würde es in Rio einen Olympiasieger Robert Harting geben.
Ganz ehrlich: Momentan glaube ich nicht daran.
Wie wirkt sich das Erreichen der 30er-Marke konkret aus? Kommen Sie morgens schwerer in Gang?
Physisch merkt man in vielen Bereichen keine großen Unterschiede, aber leider in den entscheidenden. Das sieht man nicht, aber man merkt es beim Abwurf, am Wurfgefühl. Die Schnelligkeit lässt nach.
Und psychisch?
Man hat immer mehr Enttäuschungen. Mit 25 ging alles vorwärts, man konnte sich immer verbessern und hat immer dazugelernt. Ab 31 bist du auf dem absteigenden Ast. Was ich vor fünf Jahren noch richtig gut konnte, kann ich jetzt viel schlechter.
"Lamine Diack hat Leute bestochen und alles in seine Tasche gewirtschaftet"
Die Skandale in der Leichtathletik belasten Ihre Psyche sicher zusätzlich. Der Weltverband IAAF soll Dopingsünder gedeckt haben, Russlands Leichtathleten stehen unter Generalverdacht. DOSB-Präsident Alfons Hörmann hat gesagt: „Schlimmer als die Fifa geht’s nimmer. Aber die Leichtathletik bekommt es hin.“ Fühlen Sie sich als Leichtathlet da in Ihrer Ehre verletzt?
Natürlich. Es ist ideologisch erniedrigend, enttäuschend. Der sportliche Wettstreit wird eben nicht von allen fair betrieben. Aber das Schlimmste ist eigentlich die Pauschalisierung von außen, das fehlende Differenzierungsvermögen.
Was können Sie als Sportler tun?
Natürlich wehre ich mich. Wir haben das im Sommer ja schon gespürt und haben die Aktion „#HitIAAF“ im Netz gestartet. Viele Leute fanden es gut, dass die Athleten sich auch mal zu Wort gemeldet haben. Ich bin für eine Allianz zwischen Medien, Sportlern und Zuschauern. Da könnte man richtig viel Druck ausüben.
Der Druck ist ja schon teilweise entstanden. Sie haben selbst gefordert, dass der mutmaßlich korrupte IAAF-Präsident Lamine Diack und seine gesamte Gefolgschaft abtreten müssen. Nun ist er weg.
Aber es ist nicht damit getan, dass drei, vier Leute ausgetauscht werden. Es muss viel mehr verändert werden.
Was konkret?
Der Absolutismus muss weg. Das Hierarchische dieses Verbandes, der die Sportart nicht zusammenhält, sondern abgrenzt. Lamine Diack ist schweinereich geworden, weil er Leute bestochen und alles in seine Tasche gewirtschaftet hat.
Der Sturz des Ancien Regime kann nur von den Sportlern ausgehen.
Das ist völlig richtig.
Sie müssen also eine Athletengewerkschaft gründen.
Ich? Nein.
Aber jemand müsste es machen.
Es wird sicherlich einen Verbund geben, der versucht, Einfluss zu nehmen. Ich bin kein Freund von Gewerkschaften, weil ich keine Kompromisse suche. Aber es muss etwas passieren, und es gibt viel Bewegung. Ich kann darüber noch nicht reden, das ist alles noch im Wachstumsstadium.
Sebastian Coe ist der neue IAAF-Präsident. Er war lange Diacks Vize. Kann so jemand der Mann sein, der die Korruptionskultur im Weltverband bekämpft?
Das glaube ich nicht. Wer so etwas jahrelang gemacht hat, der weiß nicht mehr, was das Beste ist. Neuen Wind bekommst du nur, wenn du frische Gedanken reinbringst. Das müssen Leute sein, die anders denken. Eine absolutistische Institution ist aus sich heraus nicht in der Lage, andere Denkweisen anzunehmen.
Der frühere Wada-Chef Richard Pound hat dennoch gesagt: „Ich kann mir für die Aufarbeitung keinen Besseren vorstellen als Lord Coe.“
Das fand ich ein bisschen komisch, ein bisschen widersprüchlich. Aber vielleicht kennen die beiden sich ja gut.
Haben Sie Coe denn schon außerhalb einer Medaillenzeremonie kennengelernt?
Leider nicht. Ich habe ihn aber ein paar Mal angetwittert.
Hat er geantwortet?
Nein, natürlich nicht. Als das damals alles losging mit dem Skandal, da habe ich ihn angetwittert und ein paar Fragen gestellt. Wie es sein konnte, dass er davon nichts wusste. Auch darauf hat er nicht geantwortet. Jetzt habe ich ihn entfolgt.
Welche Konsequenzen ziehen Sie denn im Wettbewerb? Sie wissen nun, Ihr Verband hat jahrelang Dopingbetrug gedeckt. Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie selbst in den Ring steigen?
Das ist ein ganz präsentes Gefühl von Machtlosigkeit, Erniedrigung, Unwichtigkeit. Meine ganzen Werte sind völlig zerstört. Ich stelle mir jetzt auch Fragen und stelle Nachforschungen an: Waren auch Wettkämpfe betroffen, wo ich dabei war? Eigentlich müsste nun jeder Athlet, der sich betrogen fühlt, eine Anzeige stellen.
"Man könnte mit einem Kunstgriff einen Neubeginn schaffen"
Der britische Leichtathletikverband hat vorgeschlagen, alle Weltrekorde zu löschen, um einen Neuanfang zu ermöglichen.
Ich wäre auf jeden Fall dafür. Es sollte nichts reingewaschen werden, in dem Sinne, dass es nicht stattgefunden hätte. Aber es wäre ein Neubeginn. Man könnte das auch mit einem Kunstgriff hinkriegen, ohne die Rekorde zu löschen. Indem man zum Beispiel festlegt, dass der Diskus ab sofort 2001 Gramm wiegen muss statt bisher 2000. Schon hätte man neue Listen.
Auch die Olympischen Spiele haben an Ansehen verloren. Sie haben Kommunikationswissenschaften studiert. Wie steht die Marke Olympia aus Expertensicht da?
Der olympische Spitzensport hat es bisher nicht verstanden, sich als Marke zu positionieren. Er schafft es nicht, den Menschen zu zeigen, welchen Mehrwert er ihnen bietet. Schuld daran ist die Sportpolitik. Da gibt es nicht den Erfolgsdruck wie in der Privatwirtschaft, da hat niemand den Zwang, etwas zu verändern. Auch Thomas Bach hat als DOSB-Präsident vor allem persönliche Ziele verfolgt – er wollte IOC-Präsident werden. Das hat er nun geschafft. Der olympische Sport hat generell nur eine Zukunft, wenn er privatisiert wird.
Ist deshalb auch die Hamburger Olympiabewerbung gescheitert?
Vor allem die aktuelle Stimmung hat den Ausschlag gegeben. Die Menschen dachten: Das ist alles so korrupt, so absolut, das hat mit uns alles gar nichts mehr zu tun. Ich kann das verstehen. Das Fatale am Nein der Hamburger ist aber, dass die olympische Bewegung jetzt einfach woanders hingeht. Was die Hamburger kritisieren, werden sie jetzt auf keinen Fall mehr verändern können. Dabei hatten sie das in der Hand, sie hätten zeigen können: Olympische Spiele in Deutschland laufen anders, wir verschenken keine Uhren. Diese Chance ist nun für lange Zeit verspielt.
Was halten Sie vom Ausschluss von Nationen oder Sportarten in Fällen nachgewiesener Korruption oder einer Häufung von Dopingvergehen?
Aus Sicht der Athleten finde ich so eine Pauschalisierung blöd. Denn viele Athleten, die ehrlich arbeiten, würden ja auch bestraft, weil die entscheidende Ebene korrupt ist. Ich tendiere aber trotzdem zu der Meinung: Die Entscheidung, Russland zu suspendieren, ist richtig.
Glauben Sie, dass diese Entscheidung bis zu den Spielen in Rio Bestand haben wird?
Nein. Sie wissen doch, wie es läuft.
Sie wollen noch bis zur EM 2018 in Berlin weitermachen. Wie motivieren Sie sich, morgens aufzustehen?
Ganz einfach: Leidenschaft. Ich setze mich gern mit meinem Körper und Hindernissen auseinander. Hindernisse haben mich früher unglaublich stimuliert. Mittlerweile sind die Kraftressourcen nicht mehr so groß, da sage ich mir dann auch schon mal: Das lässt du lieber sein.
Robert Harting wird altersweise?
Man wird einfach klüger und weiß, wann man wo durchgehen kann und wann man drumherum gehen sollte.
Sie machen einen grüblerischen Eindruck. Erwarten Sie bis Rio die alte Geradlinigkeit und Klarheit zurück?
Ich arbeite daran. Man distanziert sich in so einer langen Pause vom Leistungssportler in sich. Der rückt etwas weg, weil der keine Aufgaben mehr hat.
Der Leistungssportler ist im letzten Jahr zum Menschen Robert Harting geworden?
Genau, das war eigentlich auch sehr angenehm. Nicht mehr jeden Tag aufzustehen und sich sofort zu fragen: Bin ich leistungsfähig? Was tut weh, was nicht? Das ist eklig, das macht auf Dauer keinen Spaß. Aber jetzt will ich auch den Leistungssportler mal wieder sehen.
Das Gespräch führten Christian Hönicke und Lars Spannagel.
Robert Harting, 31, ist Olympiasieger sowie mehrfacher Welt- und Europameister im Diskuswurf. Der gebürtige Cottbuser lebt in Berlin, startet für den SC Charlottenburg und ist mit der Diskuswerferin Julia Fischer liiert.