WM-Absage und Doping-Kampf: Robert Harting setzt zwei Statements
Diskus-Olympiasieger Robert Harting sagt seinen WM-Start ab und geht stattdessen auf den Leichtathletik-Weltverband los. Der reagiert mit aktuellen Doping-Enthüllungen.
Bevor sich Robert Harting zu seiner eigenen Person äußert, geht es ihm um das große Ganze. Der Diskus-Olympiasieger hat am Dienstag ins Bundesleistungszentrum Kienbaum geladen, um zu verkünden, ob er nach seiner langen Verletzungspause zur Weltmeisterschaft nach Peking fahren wird. Vorher allerdings erneuert der 30-Jährige seine Kritik am Leichtathletik-Weltverband IAAF und dessen Untätigkeit im Kampf gegen Doping. Robert Harting sorgt sich um seine Sportart: „Es darf nicht das passieren, was mit dem Radsport passiert ist.“
Am Sonntag hatten Harting, seine Freundin Julia Fischer – Deutsche Meisterin mit dem Diskus – und andere deutsche Leichtathleten ein Video veröffentlicht, in dem sie die IAAF scharf dafür attackieren, dass sie angeblich positive Dopingproben vertuscht. Die IAAF reagierte am Abend auf den internationalen öffentlichen Druck: Der Weltverband leitete wegen auffälliger Werte bei Doping-Nachtests von den Weltmeisterschaften 2005 und 2007 Ermittlungen gegen 28 Athleten ein. Namen nannte die IAAF nicht, die Mehrheit der Sportler hat laut dem Verband aber ihre Karriere beendet, für die WM in Peking ist keiner der Verdächtigen gemeldet.
Das große Umdenken scheint beim Weltverband also nicht eingetreten zu sein. Harting, Fischer und ihre Mitstreiter fordern vom Weltverband mehr Transparenz und Mitspracherecht für die Athleten. In der kommenden Woche scheidet der langjährige IAAF-Präsident Lamine Diack aus dem Amt, die Chance für einen personellen Umbruch ist damit gegeben. „Alles, was an dem Rattenschwanz von Lamine Diack dranhängt, muss erstmal raus“, sagt Julia Fischer. Den Sportlern gehe es um „Transparenz, Integrität und Ehrlichkeit“, die Vetternwirtschaft müsse ein Ende haben. Auch für den Anti-Doping-Kampf hat Fischer eine klare Forderung: „Nationen, die sich nicht an den Wada-Code halten, müssen komplett für Weltmeisterschaften und Olympia gesperrt werden.“ Laut Fischer habe die IAAF nach den jüngsten Enthüllungen „nichts unternommen, sich nicht hinterfragt, keine Maßnahmen ergriffen. Man hat das Gefühl, die sitzen das aus.“ Diese Haltung sei für sie erschütternd gewesen. „Deswegen war es Zeit, als Athleten ein Statement zu setzen: ,Wir sind nicht mit euch. Wir sind gegen euch’“, sagt sie.
Die kritischen deutschen Leichtathleten haben in den vergangenen Tagen viel internationale Unterstützung erhalten, ihr Video wird in den sozialen Netzwerken verbreitet. Von der Reaktion des deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) hingegen ist Robert Harting hingegen „zutiefst“ enttäuscht. „Mich hat furchtbar erschüttert, wie unser Präsident Clemens Prokop da rhetorisch untergegangen ist“, sagt Harting. „Ein Präsident muss den Athleten nahe stehen und den Sport nicht aus dem Vip-Zelt führen.“ DLV-Chef Prokop hatte ebenfalls mehr Anstrengungen im Anti-Doping-Kampf gefordert, direkte Kritik an der IAAF aber vermieden. „Er hat unser Video wahrscheinlich nur zur Hälfte gesehen“, sagt Julia Fischer sarkastisch. Die 25-Jährige, die in Peking an den Start geht, hat keine Angst vor Repressalien durch den Weltverband: „Meine Liebe zur Leichtathletik ist größer als die Angst vor so etwas.“
Harting will 2016 in Rio noch einmal Olympiasieger werden
Harting wird den Funktionären in Peking nicht über den Weg laufen: Er verzichtet auf einen Start bei der WM. Am Ende entschied das Misstrauen. Zehn Monate lang hatte er nach einem Kreuzbandriss an seinem Comeback gearbeitet, sein aktueller Leistungsstand hätte wohl ausgereicht, um bei der WM in Peking in zwei Wochen das Finale der weltbesten Diskuswerfer zu erreichen. Genau dieses Szenario bereitete dem Weltmeister der Jahre 2009, 2011 und 2013 aber Sorgen. Wie würde er reagieren, wenn er vor dem entscheidenden Wurf auf Platz vier liegen würde, nur wenige Zentimeter von einer Medaille entfernt? „Ich würde eventuell die Kontrolle verlieren und zu viel wollen“, sagt Harting am Dienstag. „Da trifft man eine Entscheidung, möglicherweise eine Karriere-Entscheidung – und was passiert dann?“
Sein großes Ziel bleibt es, die olympische Goldmedaille von London im kommenden Sommer in Rio de Janeiro zu verteidigen. „Man muss auch mal ein Jahr aussetzen, um im kommenden Jahr noch besser zurückzukommen“, sagt er. Beim Istaf im Berliner Olympiastadion am 6. September will er auf jeden Fall starten.
Am Ende war es laut Harting „eine Mischung aus Bauchgefühl, Leistungsfähigkeit und Abwägung des Risikos“, die den 30-Jährigen zur Entscheidung bewogen hat, auf die Reise nach Peking und die Chance auf seinen vierten WM-Titel in Serie zu verzichten. Insgesamt sei seine Genesung gut verlaufen, bis auf einen kleinen Tape-Verband am linken Knie wirkt er fit und austrainiert. Auch sein Trainer Torsten Schmidt ist mit den Fortschritten zufrieden. „Uns fehlen vielleicht vier Wochen“, sagt Schmidt. Doch Harting habe noch nicht die die körperliche Stabilität erreicht, die er für Würfe mit voller Geschwindigkeit benötigt, die Bewegung sei noch nicht abgesichert. „Für einen 70-Meter-Wurf muss der Diskus mit 100 km/h abfliegen“, sagt der Diskus-Olympiasieger. „Ich bin bei 80 km/h. Wenn ich einen Wettkampf mache, erwarte ich von mir einen ganz anderen körperlichen Zustand.“