Nach starker Hinrunde: Hertha will aus Fehlern der Vorsaison lernen
Erneut startet Hertha BSC von Platz 3 in ein neues Jahr – nur soll es in der Rückrunde besser laufen als zuvor.
Anfang 2016 hat sich Pal Dardai einen eigenen Twitteraccount zugelegt, was den Ungar von seinen meisten Kollegen in der Fußball-Bundesliga abhebt. Besonders exzessiv aber nutzt der Trainer von Hertha BSC diesen Kanal nicht. 66 Tweets hat Dardai in etwas mehr als elf Monaten abgesetzt (oder unter seinem Namen absetzen lassen). Ein Internetjunkie ist er nicht. Dardai ist auch nicht ständig in irgendwelchen Foren unterwegs, um die Stimmung rund um Hertha BSC zu ergründen. Da vertraut er lieber auf seine unmittelbare Wahrnehmung. Neulich hat er erzählt, wie das in der vergangenen Saison war, als Hertha in der Hinrunde plötzlich oben mitspielte. Die Leute hätten ihm auf der Straße zugewinkt oder ihn aus dem Auto heraus angehupt. In der Rückrunde kamen solche Reaktionen dann merklich seltener vor. Jetzt aber begegnen ihm die Leute in der Stadt wieder voller Euphorie – und das soll diesmal auch nach der Winterpause so bleiben.
Das Jahr 2016 hat Hertha mit einem Heimsieg gegen Darmstadt 98 und dem Sprung auf einen Champions-League-Platz abgeschlossen. Es gäbe also allen Grund zur Freude – wenn da die Erinnerung an die vergangene Rückrunde nicht wäre, als Hertha vom dritten auf den siebten Platz abrutschte und die scheinbar sichere Europacupteilnahme noch verspielte. Nur Absteiger Hannover 96 holte in der Rückrunde weniger Punkte als Hertha (18). Diese traumatischen Erfahrungen spielen beim Anhang der Berliner auch jetzt noch in die Bewertung der aktuellen Situation hinein. So richtig trauen die Fans dem Aufschwung noch nicht: Als Hertha Mitte Dezember zwei Spiele hintereinander (gegen Bremen, in Leipzig) verlor, fragten sich einige voller Sorge: Ja, ist denn schon Rückrunde?
Drei der ersten vier Rückrundenspiele auswärts
Auch in der vorigen Saison starteten die Berliner von Platz drei ins neue Jahr. 32 Punkte hatten sie damals; jetzt sind es 30, bei allerdings noch einem ausstehenden Hinrundenspiel. Die Voraussetzungen sind also ähnlich – und doch soll diesmal alles anders werden. „Wir haben uns letzte Saison ein bisschen verrückt machen lassen nach der guten Hinrunde“, sagt Innenverteidiger Sebastian Langkamp. „Wir haben uns vorgenommen, dass das diesmal nicht passieren darf.“
In der vergangenen Saison wirkte es fast so, als wäre Hertha mit der Situation ein wenig überfordert. Kein Wunder: Ein Jahr zuvor hatte die Mannschaft noch bis zuletzt gegen den Abstieg gekämpft – plötzlich sollte sie ein Anwärter für die Champions League sein. Die Aussicht, etwas gewinnen zu können, schien das Team zu lähmen. Diese Schwäche ist auch in dieser Saison zumindest punktuell wieder aufgetreten, etwa in den Spielen gegen Hoffenheim und Bremen, als sich Hertha mit Siegen in der Tabelle schon etwas hätte absetzen können, die Mannschaft ihre gewohnte Leistung aber nicht auf den Platz bringen konnte.
Pal Dardai glaubt nach den Erfahrungen des Vorjahres mehr denn je, dass es in der Rückrunde auf mentale Stärke ankommen wird – und hofft, dass sich gerade die vermeintlichen Nachteile des Spielplans als Vorteil erweisen. In den ersten vier Spielen muss Hertha drei Mal auswärts antreten (in Leverkusen, Freiburg, Schalke). Favorit sind die Berliner mit ihrer mäßigen Auswärtsbilanz in diesen Begegnungen eher nicht; aber möglicherweise erleichtert ihnen das die Aufgabe, wenn sie nicht den Druck verspüren, unbedingt gewinnen zu müssen.
30 plus 30 macht 60
Das Problem in der vergangenen Saison war der Spannungsabfall, nachdem die Mannschaft ihr Saisonziel – den Klassenerhalt – vorzeitig erreicht hatte. Daraus hat Herthas Trainerteam die nötigen Konsequenzen gezogen. Auch in dieser Spielzeit wurde wieder ein moderates erstes Saisonziel ausgegeben: 45 Punkte und damit die Etablierung in der Bundesliga.
Zugleich aber wurde schon vor der Saison das Ziel nach dem Ziel ausgegeben – anders als vor einem Jahr, als alle Beteiligten sich mit einer neuen Vorgabe schwertaten, sich scheuten, das Wort Europapokal in den Mund zu nehmen und wochenlang herumzueiern schienen, bis eine historische Chance verspielt war. Pal Dardai hat nun nach dem Sieg gegen Darmstadt gesagt, er wolle nach der Winterpause noch einmal 30 Punkte holen. 30 plus 30 macht 60 – und reicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für einen Europapokalplatz.
Manager Michael Preetz hat schon im November angekündigt, dass er für die Rückrunde auf einen starken internen Konkurrenzkampf setze und die Belastung für die Mannschaft noch intensiver ausfallen werde als in der Vergangenheit. Angesichts der kurzen Winterpause ist es allerdings schwierig, die Vorbereitung komplett umzustellen; und dass Hertha anders als in den fünf Jahren zuvor nicht nach Belek ins Trainingslager fliegt, liegt allein an der politischen Lage in der Türkei. Mit Aberglauben hat es definitiv nichts zu tun. Sonst dürften die Berliner am 7. Januar nicht für eine Woche nach Mallorca reisen. Als sie 2010 zuletzt dort waren, sind sie am Ende der Saison abgestiegen.
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