Der Trainer von Hertha BSC im Interview: Pal Dardai: "Das Olympiastadion ist mir heilig"
Trainer Pal Dardai spricht im Interview über Herthas Hinrunde, Weihnachten in Ungarn, Fußball mit der Familie und das Schlachten eines Schweins.
Herr Dardai, wie lange brauchen Sie mit dem Auto von Berlin in Ihre Heimatstadt Pecs?
Zwischen neun und zehn Stunden, je nachdem, wie stark der Verkehr ist. Das kann man in einem Rutsch schaffen. Aber dieses Mal haben wir uns fürs Flugzeug entschieden. Ein Freund aus Ungarn hat vor zwei Wochen schon all unsere Sachen mitgenommen, auch die ganzen Geschenke. Wir mussten nur noch mit einem Rucksack reisen.
Es war zuletzt davon die Rede, dass Sie in Ungarn ein Schwein schlachten werden. Wie bekommen Sie denn all das schöne Fleisch nach Berlin?
Mein Vater wird die geräucherten Sachen irgendwann mal ins Auto packen und mit nach Berlin bringen. Aber das dauert sowieso noch. Das Schwein ist ja noch nicht mal geschlachtet. Das passiert am zweiten Weihnachtstag, wenn die ganze Familie bei meiner Oma zusammenkommt. Jedes ihrer drei Kinder bekommt zu Weihnachten ein Schwein. Das ist bei uns so Tradition. Das Schwein wächst das ganze Jahr. Unseres ist riesig. Es wiegt 225 Kilo.
Haben Sie eine solche Schlachtung schon mal mitgemacht?
Natürlich, schon als Kind. Als wir klein waren, standen wir ganz hinten, weil man uns gesagt hat, wir sollen das Schwein am Schwanz festhalten. Jeder hat seine Aufgabe. Alles wird verarbeitet. Da kommt einiges zusammen: Blutwurst, Schinken, Salami, Kolbasz, Speck.
Können Sie in Ungarn richtig abschalten vom Fußball und von Hertha BSC?
Ja, das kann ich. Das Jahr war anstrengend, ich spüre jetzt, dass ich ein bisschen müde bin. Ich brauche den Abstand. Das weiß auch der Manager. Wenn er etwas von mir will, schreibt er eine SMS, dann rufe ich zurück. Aber ich bin nicht 24 Stunden am Tag in Bereitschaft. Wenn ich mich dauernd mit Hertha beschäftige, wäre das nicht gut. Pause ist Pause. In Deutschland bin ich sehr vernünftig, da gehe ich früh ins Bett und schlafe viel. Wenn ich aber zu Hause in Ungarn bin, lebe ich ein anderes Leben. Da lasse ich es mir ein paar Tage gut gehen.
Und Sie schaffen es wirklich, sich zehn Tage nicht mit Fußball zu beschäftigen?
Natürlich nicht. Die englische Liga läuft ja noch, da gibt es jeden Tag ein schönes Spiel im Fernsehen (lacht). Wir gehen auch selbst spielen. In einem Dorf in der Nähe von Pecs findet jedes Jahr ein Hallenturnier statt. Wir haben da unser eigenes Familienteam, es gibt eine Altherrentruppe aus dem Dorf, eine Jugendmannschaft, ein Team aus Budapest, insgesamt sechs Mannschaften. Danach wird zusammen gegessen, und es ist ganz egal, wer gewonnen hat. Der Spaß ist wichtig. Und alles, was davor und danach passiert.
Der FC Dardai ist bestimmt Rekordsieger.
Wir werden leider immer Zweiter – weil wir keinen Torhüter haben. Vor zwei Jahren habe ich im Tor gestanden, am Ende bin ich mit einer Handverletzung im Krankenhaus gelandet.
Hertha BSC hat zum zweiten Mal hintereinander eine überzeugende Hinrunde gespielt. In der vorigen Saison hat die Mannschaft das Niveau nach der Winterpause allerdings nicht halten können. Könnte es zum Problem werden, dass sie auch jetzt wieder etwas zu verlieren hat?
Ich verstehe diese Frage. Und wenn wir ehrlich sind, hatten wir auch in der Hinrunde gegen Hoffenheim und gegen Bremen zwei Mal die Chance, mit einem Sieg eine Lücke zwischen uns und unsere Verfolger zu reißen. Beide Male haben wir das nicht hinbekommen, weil beide Male sieben oder acht Spieler nicht die richtige Tagesform hatten. Als Trainer fragst du dich, ob du etwas falsch gemacht hast. Aber du kannst solche Situationen nicht simulieren wie ein Pilot, der erst im Flugsimulator übt, bevor er ein richtiges Flugzeug fliegt. Du kannst nicht im Training sagen: „Männer, heute ist Champions-League-Finale.“ So funktioniert das nicht.
Wie funktioniert es denn?
Wahrscheinlich mit Erfahrung. In der Rückrunde haben wir viele Spiele in der Schlussphase noch verloren. Jetzt verlieren wir diese Spiele nicht, wir gewinnen sie sogar wie gegen Mainz oder in Wolfsburg. Du musst einfach mal so ein wichtiges Spiel für dich entscheiden. Dann glaubst du an dich und bleibst auch unter Druck locker. Vielleicht sind wir da manchmal noch zu verkrampft. Nehmen wir das Spiel gegen Bremen. Wir haben ein Konzept, wir haben genau abgesprochen, wie wir spielen wollen – aber davon habe ich in der ersten Halbzeit nichts gesehen. Stattdessen habe ich Dinge gesehen, die wir nie machen.
Vor einem Jahr waren Sie in Belek im Trainingslager. Wäre Hertha wieder dorthin gegangen, wenn die politische Situation in der Türkei eine andere gewesen wäre?
Für uns war Belek immer sehr angenehm. Die Bedingungen waren top. Aber die Gesamtsituation in der Türkei ist eben schwierig.
Es hat nichts mit Aberglauben zu tun, dass Sie sich diesmal woanders vorbereiten?
Aberglauben gibt es bei mir nicht, sonst kommst du irgendwann nicht mehr zum Training. Ich war schon als Spieler nicht abergläubisch und bin es auch als Trainer nicht. Ich sehe die Dinge eher realistisch. Die 18 Punkte, die wir in der Rückrunde geholt haben, waren für mich auch nicht so grottenschlecht, wie sie sich eigentlich anhören.
Sie haben mal gesagt, dass Sie als Trainer am meisten aus Niederlagen lernen. Wie hilfreich war dann die vergangene Rückrunde für Sie?
In der Rückrunde haben wir in mindestens fünf Spielen gegen Mannschaften geführt, gegen die du eher gewinnen musst – und die du zum Schluss verloren hast. Ich glaube, das ist Kopfsache. Ich bin ein Mensch, der immer positiv ist. Ich beiße niemandem den Kopf ab, wenn er einen Fehlpass spielt. Ich habe selbst Fehlpässe gespielt, ich habe Eigentore geschossen – das gehört zum Fußball. Wir müssen das einfach lernen. Wir dürfen nicht defensiv sein und Angst haben, Fehler zu machen.
Wie wollen Sie der Mannschaft die Angst nehmen, dass sich so etwas wie in der vergangenen Rückrunde wiederholt?
Du kannst gar nicht verhindern, dass sich meine Jungs damit beschäftigen. Das lesen sie in der Zeitung. Mich interessiert das nicht. Das ist meine Stärke. Ich lasse mich nicht verunsichern. Wenn jemand dir dauernd sagt: „Du bist doof, du bist doof…“, denkst du irgendwann selbst, dass du doof bist. Ich konnte nur deshalb so lange in Deutschland so erfolgreich sein, weil ich mich nicht manipulieren lasse. Aber die Jungs kannst du nicht so schützen, dass sie das nicht mitkriegen. Deshalb werde ich mir mit Sicherheit wieder professionelle Hilfe holen und mich von einem Sportpsychologen beraten lassen. Das habe ich auch im Sommer gemacht, bevor ich Vedad Ibisevic zum Kapitän ernannt habe. Dadurch hat das funktioniert. Aber am Ende kann dir ein Psychologe nur einen Rat geben, und er sagt eben auch: „Mach es so – und viel Glück.“
Von außen betrachtet war die Ablösung von Fabian Lustenberger durch Vedad Ibisevic eine sehr riskante Entscheidung.
Aber ich war sicher, dass es funktioniert. Nur die Außenstehenden waren unsicher – weil sie gar nicht wissen konnten, wie gut das vorbereitet war. Ich habe Lusti gesagt, dass er ohne die Binde ein viel besserer Fußballer für uns ist und er bei mir auch wieder spielen wird. So ist es gekommen. Es nagt vielleicht immer noch an ihm, aber er spielt jetzt viel besser. Es war also eine gute Entscheidung – auch wenn ich wusste, dass sie Lusti nicht gefallen wird. Genau deshalb habe ich mir Rat geholt: Wie soll ich das machen? Wie kann ich den Spieler schützen? Weil er wichtig für mich ist. Ich bin nicht wichtig. Meine Mannschaft ist wichtig. Wenn die gut funktioniert, habe ich ein ruhiges Leben.
Wer entscheidet in letzter Instanz, ob Sie einen Ratschlag von außen annehmen: Ihr Kopf oder Ihr Bauch?
Ich analysiere. Jeden Tag gehe ich zu meinen Spielern und schaue ihnen in die Augen. Ich weiß früher, dass Mitch Weiser verletzt ist, als er selbst. Früher auch als unsere Physios. Wirklich. Rainer Widmayer…
… Ihr Co-Trainer…
… sagt immer, dass ich Röntgenaugen habe. Ich sehe alles (lacht), das ist mein Kapital.
Wenn Sie anfangen zu grübeln und zu analysieren, denken Sie dann eigentlich ungarisch oder deutsch?
Nur ungarisch. Ich habe Deutsch nie in der Schule gelernt. Deshalb übersetze ich die ungarischen Wörter einfach ins Deutsche; auch der Satzbau ist ungarisch, also genau umgekehrt wie im Deutschen. Das heißt, ich rede jetzt praktisch ungarisch mit Ihnen.
Träumen Sie auch ungarisch?
Ich träume ganz selten. Ich hoffe, das bedeutet, dass ich gut schlafe.
Obwohl es für Hertha sportlich läuft, gibt es im Umfeld leichte Misstöne. Einige Fans protestieren gegen pinke Trikots, gegen die Imagekampagne, gegen einen möglichen Auszug aus dem Olympiastadion. Inwiefern belastet das die Mannschaft
Am Anfang der Saison haben wir das schon mitbekommen. Ich glaube, das ging für viele zu schnell. Inzwischen ist das alles besser kommuniziert und den Fans erklärt worden. Alle wissen, dass die traditionellen Fans die wichtigsten sind. Und trotzdem muss ein Verein auch mal etwas Neues versuchen dürfen. Das mache ich als Trainer ja auch. Salomon Kalou spielt nur bei mir Linksaußen. Anfangs wollte er das nicht. Aber ich musste das ausprobieren, weil er im Training immer wieder nach innen gezogen ist und Tore geschossen hat. Und was ist jetzt seine Lieblingsposition? Linksaußen. Ob etwas klappt oder nicht, wirst du erst herausfinden, wenn du es ausprobierst. Wenn die Fans es nicht verstehen, muss man eine Lösung finden. Sonst strahlt die negative Stimmung auf die Mannschaft ab.
In Sachen Stadion sind Sie aber auch eher Traditionalist.
Das stimmt, aber schauen Sie sich München an. Da gab es auch ein Olympiastadion, auch Tradition. Dann sind die Bayern in ihr neues Stadion umgezogen – und da herrscht jetzt eine ganz andere Atmosphäre. In einem reinen Fußballstadion hast du einen echten Heimvorteil. Das bringt dir in einer Saison fünf bis acht Punkte mehr. Für mich ist das Olympiastadion heilig. Da fühle ich mich wohl. Auch das Gelände ist wunderschön, wir müssen nirgendwo hinreisen, wenn wir ein Heimspiel haben. Aber sollte es ein neues Stadion geben, das jede Woche ausverkauft ist, in dem die Fans richtig Stimmung machen und du dauernd gewinnst, dann vergisst du das schnell. Früher in der DDR warst du auch mit einem Trabant sehr zufrieden – bis du zum ersten Mal mit einem Westauto gefahren bist.