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Großer, kleiner Ball. 2016 wurde die deutsche Mannschaft in Krakau Europameister im Finale gegen Spanien.
© Jens Wolf/dpa

WM in Deutschland: Handball ist der Sport zum Anfassen

Bei der Weltmeisterschaft wird uns die Nationalmannschaft mitreißen – warum den Deutschen der Handball so nahe geht. Ein Essay.

Es ist der Geruch von Turnhalle. Der Schweißmief der Anstrengung, die Erinnerung an den Spaß am Spiel, den hassgeliebten Sportunterricht in der Schule, die quietschenden Turnschuhe. Das Schauen des Spiels mit dem Ball schiebt verloren geglaubte Bilder ins Hirn, weckt Assoziationen, Gefühle, gibt innerlichen Schwung – wenn sich Mensch gern an den Sportunterricht erinnert. Aber das machen Sportinteressierte. Im Sportunterricht in der Schule wollen alle Handball spielen, wenn es im Winter in die Halle geht. Auch wenn die Lehrer es nicht immer möchten. Doch das Spiel hat Größe. Weil die vollen 40 Meter Fläche ausgenutzt werden und man sich nicht wie beim Basketball oder Volleyball neben heruntergeschlappten Turnhallentrennvorhängen aus Kunststofflappen auf einem Drittel der Fläche vergnügen muss. Handball ist riesiger. Das Pendant zum Fußball. In der Halle.

Schmeißt man einem Kleinkind einen Ball zu, fängt es ihn und stoppt ihn nicht mit dem Fuß oder retourniert ihn mit einem Schläger. Der Mensch will die Dinge anfassen, festhalten. Jeder Shopping-Sender arbeitet nach dem Prinzip. Fass die Ware an, die Du verkaufen willst, tritt nicht mit dem Fuß dagegen. Anfassen schafft Begehrlichkeiten. Handball ist eine Sportart zum Festhalten, zum Festkleben. Das liegt uns nahe, das ist unsere Natur. Das fasziniert uns am Handball.

Handball-Weltverband will Harz verbieten

Natürlich, moderner Handball will nicht nach Sporthalle riechen, auch nicht nach dem klebrigen Harz, das der Weltverband am liebsten verbieten will. Weil das Hilfsmittel der Spieler den Boden verklebt, die Netze verdreckt und zudem, ja wir haben 2019, gesundheitsschädlich ist. Aber ab Donnerstag bei der Weltmeisterschaft in der Arena am Ostbahnhof wird es weniger riechen, dazu ist die Halle zu gigantisch und die Bühne ist groß: Denn welche große Profisportart kann, außer dem Fußball, über eine Weltmeisterschaft wirklich sagen, dass die weltbesten Spieler um den Titel spielen?

Für Profis im Basketball oder Eishockey ist die Profiliga in Nordamerika generell wichtiger als das nationale Auswahlteam. Dirk Nowitzki hat sich zwar für die Nationalmannschaft eingesetzt, wenn er denn konnte, aber der Titel in der Profiliga NBA war für den deutschen Basketballstar das Karriereziel, nicht die WM.

Der Handball hat keinen Spieler, der so viel Geld verdient wie ein Nowitzki verdient hat und verdient. Sie kennen den Handball in Nordamerika quasi gar nicht, und darum gibt es dort auch keine Profiliga für Handballmillionäre. Auch die Handballer sind zum Anfassen, nicht entrückt durch Megagehälter. Und der Handball-Bundesliga haftet auch nicht der Makel an, dass wie im Basketball oder Eishockey alle Weltstars ihrer Sportart weit weg in Nordamerika spielen und die europäischen Ligen zur Zweitklassigkeit degradiert sind. Deshalb kann sich die Handball-Bundesliga auch als „stärkste Liga der Welt“ feiern. Wir sind nicht die Deppen wie die Engländer, die Fußball und Rugby erfunden haben und heute in diesen Sportarten nur mitspielen – schließlich ist Handball ja die deutsche Sportart unter den großen deutschen Ballsportarten.

Grenzenloser Jubel. Dagur Sigurdsson wird für den EM-Titel gefeiert.
Grenzenloser Jubel. Dagur Sigurdsson wird für den EM-Titel gefeiert.
© dpa/Stanislaw Roz

Handball , erfunden vom Berliner Turnlehrer Carl Schelenz Anfang des 20. Jahrhunderts, war erst vor allem ein Sport für Frauen. 750.000 Mitglieder hat der Deutsche Handball-Bund aktuell. 4250 Vereine gibt es und bei den Jugendlichen liegt der Anteil der weiblichen Spielerinnen fast bei 45 Prozent, das macht dem Handball keine Sportart nach. Und auch wenn es unter den älteren Jahrgängen immer weniger Handballspielerinnen gibt, hat die Bundesliga der Frauen vieler Anhänger. Acht von 14 Mannschaften spielen im Schnitt daheim vor Kulissen mit vierstelliger Zuschauerzahl. Es passiert, dass zu einem Spiel mal mehr als 2000 Besucher kommen. Der Zuschauerschnitt in der Handball-Bundesliga der Frauen liegt pro Spiel 200 Besucher über dem des Fußballs. Handball hat viel Rückhalt im deutschen Sport, bei beiden Geschlechtern.

Deutschland ist nicht das Mutterland des Handballs

Aber, aber. Außerhalb seiner riesigen Gemeinschaft hat es der Handball schwer. Er ist in seinem Mutterland nicht die coolste aller Sportarten (das ist er wohl allein in Island). Selbst unter den Sportarten hinter dem Fußball war oder ist Handball lange Zeit nur die Nummer zwei oder drei in der Publikumsgunst, weil eben in den großen Arenen der Republik Sportarten mit schickerem Touch und Nordamerika-Flair besser ankommen. Und im Käfig in Neukölln oder im Park spielen die Kids Fußball, Basketball, Tischtennis, Trendiges. Fragt einen nie im Leben ein Mensch: Ey, hast Du Lust auf eine Runde Handball?’

Aber trotzdem haben wir den Ball oft in der Hand, am Strand, im Park, auf der Garageneinfahrt. So unsinnig die Spiele auch sein mögen – es weckt Bilder von Jugend. Fang den Ball, fass ihn an. Das geht tief zurück, deshalb lieben wir Handball. Und deshalb müssen wir die Nationalmannschaft im Handball auch mehr mögen als alle anderen Nationalmannschaften (logisch, Fußball außen vorgelassen), selbst wenn wir Handball nicht mögen.
Wie sagte ein kluger Mensch 2016 nach dem Gewinn der Europameisterschaft? „Handball ist mir egal, aber dass Deutschland Weltmeister im Handball wird, das ist mir nicht egal.“ So etwas schafft nur der Handball – auch bei Menschen, die keinen Turnhallengeruch mögen.

Claus Vetter

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