Handball-Nationalmannschaft: Haltet den Hype
Die deutschen Handball-Europameister werden in Berlin umjubelt, müssen aber bei Olympia nachlegen. Heute geht es gegen Vize-Weltmeister Katar.
Petr Stochl zuckt kurz zusammen, als er um die Ecke gebogen ist. „So viele Menschen hier“, sagt der tschechische Torhüter der Füchse Berlin beim Anblick der Trainingshalle, „ganz anders als bei uns normalerweise.“ Beim Handball-Bundesligisten kommen vielleicht mal ein paar Fans und fünf, sechs Reporter vorbei, kein Vergleich also zu dieser Hundertschaft. Wenige Minuten später ist die Tribüne in der Lilli-Hennoch-Halle in Hohenschönhausen so voll, dass sich die Kameraleute beinahe um gute Plätze streiten müssen. „Verrückt“, sagt Stochl und geht zum Physiotermin.
So sieht es neuerdings aus, wenn die deutsche Handball-Nationalmannschaft in Berlin und andernorts zu Gast ist. Nach dem Sieg bei der Europameisterschaft in Polen hat das Team von Bundestrainer Dagur Sigurdsson eine andere Anziehungskraft als noch vor ein paar Monaten. Und in dieser Woche hat es dafür ja auch einen außerordentlichen Grund gegeben: Am Mittwoch sind die Nationalspieler von Angela Merkel im Bundeskanzleramt empfangen worden. „Eine große Ehre für uns“, sagt Sigurdsson. Und gewissermaßen auch der Höhepunkt höchst ereignisreicher und von Feierlichkeiten gekrönter Wochen. „Jetzt sind wir ganz froh, dass wir uns wieder mit Handball beschäftigen können und nicht mehr nur mit Medienterminen“, sagt der Bundestrainer beim öffentlichen Training am Dienstagabend und muss selbst lachen. Weil er eben doch gerade wieder ein Interview gibt.
Am Sonntag geht es für ihn und sein Team wirklich wieder ums Kerngeschäft. Um 15 Uhr (live auf Sport 1) trifft die Nationalmannschaft in der Max-Schmeling-Halle zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen auf Katar, das erste Testspiel am Freitag in Leipzig gewannen die Deutschen klar mit 32:17. „Wir wollen den Zuschauern ein gutes Spiel zeigen“, sagt Torhüter Carsten Lichtlein, „hoffentlich haben sie genauso viel Spaß wie bei unserem letzten Besuch in Berlin.“ Am 1. Februar 2016, dem Tag nach dem Finalsieg, hat beim Empfang in der Max-Schmeling-Halle zwar niemand aktiverweise einen Ball in die Hand genommen. Dafür sorgten aber diverse Brauereierzeugnisse für gute Stimmung unter den 9000 Besuchern. „Danach waren wir alle ein paar Tage tot, klassischer Hangover“, erzählt Lichtlein. Auch diesmal wird es wohl auf ein Schaulaufen hinauslaufen, zumindest vor dem Anpfiff. Spätestens danach wird Sigurdsson wieder Seriöses sehen wollen.
Der zweite Test gegen den frisch gekürten Asien-Meister und Vize-Weltmeister aus Katar stellt für seine Auswahl den Startschuss für die Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro dar. Dank des EM-Titels haben die Deutschen ihre Qualifikation bereits sicher, ebenso wie Katar nach der Asien-Meisterschaft. Durchaus möglich also, dass es im Sommer erneut zum Duell beider Teams kommt. Valero Rivera, der spanische Trainer der Kataris, reist abgesehen von Torhüter Daniel Saric mit seinem besten Aufgebot nach Berlin. Im deutschen Lager hat sich die Verletztensituation nach entbehrungsreichen Monaten ebenfalls halbwegs entspannt: Kapitän Uwe Gensheimer ist wieder mit dabei, ebenso Patrick Groetzki und Paul Drux. Auch Silvio Heinevetter steht im Kader. Dafür fehlen weiterhin die drei Kieler Steffen Weinhold, Christian Dissinger und Patrick Wiencek sowie die Kreisläufer Erik Schmidt, Hendrik Pekeler, Jannik Kohlbacher und der verletzte Kai Häfner.
Unabhängig von der personellen Besetzung hat sich das Betriebsklima im Nationalteam offenbar gehalten. Unter der Woche machten Nominierte und Verantwortliche einen recht lockeren Eindruck. „Wir müssen mit Ernst und mit Spaß weitermachen“, sagt Bundestrainer Sigurdsson, „dieser Titel war eine tolle Erfahrung für alle, das müssen wir für uns nutzen.“ Besonders mit Blick auf Olympia im Sommer. Da sind die Handballer neben den Fußballern und Fußballerinnen sowie den beiden Hockey-Teams Deutschlands einzige Vertreter in den Ballsportarten und könnten noch einmal einen Schub in der Wahrnehmung machen.
„Im Moment gibt es wirklich einen kleinen Handball-Hype“, sagt Lichtlein, der bereits 2007 beim WM-Titel im eigenen Land dabei war. Damals, so berichtet der Torhüter, sei das Interesse aber nach drei, vier Wochen wieder verflogen. „Es ist jetzt an uns, dass wir mit unserem Sport im Gespräch bleiben und auch in Zukunft medial präsenter sind“, sagt Lichtlein, „und das geht am besten mit guten Leistungen.“ Testspiel hin oder her.