Eintracht Frankfurt in der Europa League: Goncalo Paciencia ist der Angreifer ohne Angst
Goncalo Paciencia könnte für Frankfurt im Viertelfinal-Rückspiel der Europa League gegen Benfica noch wichtig werden. Das hat vor allem einen Grund.
Natürlich, sagt Goncalo Paciencia an einem sonnigen Tag in Frankfurt, habe er mit seinem Bruder gesprochen. Und na klar, sein Bruder sei auf seiner Seite. „Wir sind Familie“, so Paciencia, 24-jähriger portugiesischer Mittelstürmer in Diensten von Eintracht Frankfurt. „Da hält man zusammen.“ Vor der Saison kam Paciencia vom FC Porto nach Frankfurt, er entstammt einer echten Fußballerfamilie.
Sein Vater Domingos Paciencia ist eine Porto-Legende, siebenfacher Meister und 106-facher Torschütze. Seinen kleinen Bruder Vasco zog es jüngst zu Benfica Lissabon, dem Gegner der Eintracht in der Europa League. Allerdings zu deren U23. „Würden wir gegeneinander spielen, wäre es etwas anderes. So aber ist er für mich.“
Wenn der Mann mit dem Sonnyboy-Lächeln über seine Familie spricht, tut er das gelassen und locker, aber mit einer Tiefe, die andere nicht haben. „Als ich 15 Jahre alt war, sind wir in unserem Haus überfallen worden“, erzählte Paciencia unlängst in einem Interview mit der FAZ. „Mir wurde dabei eine Pistole an die Schläfe gehalten. Meine Familie und ich wurden eineinhalb Stunden von den Tätern festgehalten.“ Die Folgen dieses Horrors? „Es wird immer in meinem Kopf bleiben. Aber uns als Familie hat das noch mehr zusammengeschweißt.“ Und: „Ich habe vor nichts mehr Angst. Und bei all dem Erlebten habe ich mir immer ein Lächeln im Gesicht bewahrt.“
Tatsächlich strahlt Paciencia eine erstaunliche innere Ruhe aus. Und die man auf und neben dem Platz gleichermaßen merkt. Vor dem Spiel in Lissabon gab er Eintracht-Fans kulinarische Tipps auf Twitter, man möge dort bloß keine Francesinha essen, das sei schließlich eine Spezialität aus Porto. Lieber Pasteis de Belem. Den Benfica-Fans rät er nun vor dem Rückspiel, sich die Frankfurter Innenstadt anzuschauen und bei schönem Wetter an den Main zu gehen. Verbunden mit der Bitte: „Aber nicht zu mir nach Hause kommen und mich stören“, begleitet von einem herzhaften Lachen.
Neuer Klub, neues Land, dann riss der Meniskus
Diese Gelassenheit kommt ihm auch auf dem Spielfeld zupass, vergebenen Chancen trauert er nicht nach: „Ich denke nicht nach über Dinge, die ich nicht ändern kann.“ Was auch begründet, wie er es schaffte, seinen Start in Frankfurt zu meistern. Neuer Klub, neues Land, dann riss der Meniskus – drei Monate Pause. Aber auch in der Reha hieß die Devise: Bangemachen gilt nicht. Gemeinsam mit seinem Kumpel und Leidensgenossen Timothy Chandler gestaltete er die Reha-Tage positiv und stand bald schon wieder auf dem Platz.
„Timmy und ich haben versucht, jeden Tag so zu gestalten, dass wir auch Spaß und Freude haben“, sagt Paciencia. Außerdem sah sich Paciencia jedes Spiel seines neuen Klubs im Stadion an – um sich zu pushen. „Ich habe mir all unsere Spiele angeschaut, um Kraft zu tanken. Wenn die Mannschaft gut spielt und die Mehrheit ihrer Spiele gewinnt, gibt dir das für die Reha einen zusätzlichen Motivationsschub.“
Ein Motivationsschub, der Früchte getragen hat. Nach der Genesung wurde der Portugiese zunächst zum Joker Nummer eins hinter dem Eintracht-Triumvirat Jovic-Rebic-Haller. Nach der Verletzung Hallers vor dem Rückspiel am Donnerstag (21 Uhr/RTL) ist er nun ein Startelfkandidat. Vor allem, weil er eine Qualität mitbringt, die ihn von den anderen Stürmern unterscheidet: ein herausragendes Kopfballspiel. Fünf Tore hat Paciencia für die Hessen geschossen, alle per Kopf. So auch im Hinspiel gegen Benfica, das trotz des 4:2-Sieges noch lange nicht weiter ist. „Die ersten Minuten werden entscheidend sein“, sagt Paciencia. „Wenn wir in den ersten Minuten treffen, wird Benfica das weh tun.“ Allen bei Benfica, nur seinem Bruder nicht.
Stephan Reich