René Rydlewicz vom BFC Dynamo: Für dieses Gefühl bin ich Fußballtrainer geworden
Was für ein Trainer möchte ich sein? Wofür gehe ich arbeiten? Ein Gastbeitrag über die eigene Identität, falsche Träume und wahres Glück.
Letztens habe ich eine Psychologin angefahren. Das klingt dramatischer, als es tatsächlich war. Die Frau blieb unverletzt, nur das Rad hatte sich beim Unfall verbogen. Ich habe die Frau nach Hause gefahren. Wenn eine Psychologin plötzlich bei einem Fußball-Trainer im Auto sitzt, können die Gespräche sehr interessant sein. Bei uns war das der Fall.
Wir unterhielten uns über die Psyche von jungen Talenten. Über die Wucht von zerrissenen Träumen, die tiefe Löcher für diejenigen gräbt, die es nicht zu den Profis schaffen; und die Belastungen derer, die es packen, aber in diesem Geschäft zwischen Höhen und Tiefen herumgeschleudert werden wie in einer Wäschetrommel. Wir redeten über Spieler-Typen, die irgendwann meine Spieler und ihre Patienten sein könnten.
Verantwortung für dutzende junge Männer
Die gemeinsame Fahrt mit der Psychologin bestätigte die Bedeutung meiner Rolle als Trainer und meine Verantwortung für dutzende junge Männer. Als Trainer entscheide ich, ob ihre Hoffnungen auf eine große Karriere genährt oder zerstreut werden. Es ist meine Pflicht, ihnen gegenüber richtig zu handeln.
Doch genügen die Trainerlizenzen und eine lange Spielerkarriere, um ein guter Fußballlehrer zu sein? Trainerwerden kommt vom Trainersein, habe ich mir immer gesagt. Und vom Finden der eigenen Identität. Was will ich für ein Trainer sein? Wie definiere ich Erfolg? Wofür gehe ich arbeiten? Die neunzigminütige Bahnfahrt zwischen Cottbus und Berlin, die ich an sechs Tagen in der Woche bestreite, bietet viel Zeit, sich Fragen zu stellen und ist meist doch zu kurz, um alle Antworten zu finden.
Berlin half bei Selbstfindung
Meine Aufgabe als Trainer beim BFC Dynamo und die Stadt Berlin halfen mir bei meiner Selbstfindung. Rostock, Leverkusen oder Cottbus mögen in meinem Lebenslauf prägnanter erscheinen – doch in Berlin fing alles an. Als 13-Jähriger kam ich auf das Internat in Hohenschönhausen. Für mich gab es nichts Besseres, der BFC war mein Lieblingsverein. Das Sportforum war der Ort, an dem ich nicht mehr Kindergärtner werden wollte, sondern meine Welt zu einem Ball wurde.
Von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends. Jeden Tag. Ich habe nie daran gezweifelt, es zu den Profis zu schaffen. Ich tat ja auch alles dafür. Und ich hatte das Talent, die Verletzungen erwischten andere. Ich war naiv, mutig, an der Schwelle zwischen selbstbewusst und übermütig. Dreißig Jahre später weiß ich, wo die Löcher versteckt sind, die viele junge Spieler verschlucken.
Vom Spieler zum Trainer
Ich begann meine Karriere als Aktiver in Berlin und kurioserweise war es ein Nachwuchsspieler aus Reinickendorf, der mich zum Ende meiner aktiven Laufbahn endgültig in den Trainerberuf stupste: Zafer Yelen, ein begnadeter Fußballer. In Rostock trafen sein Karriere-Frühling und mein Herbst aufeinander. Durfte ich als junger Kerl nach den Trainingseinheiten noch 50 Flanken für Ulf Kirsten schlagen, musste Zafer mit mir Freistöße üben. In der Sommerglut und im Dauerregen.
Zafer war talentiert, er war fleißig. Er schaffte es in die Startelf und irgendwann ließ ich ihn einen Freistoß im Spiel schießen. Er verwandelte in den Winkel. Teamkollegen warnten mich: „René, du ersetzt dich selber.“ Aber Zafers Freistoß-Tore machten mich glücklich. Er war zu meinem Jungen geworden. Wenn ich mit der S-Bahn durch Berlin fahre, fühle ich oft wie damals. Immer dann, wenn ich Jungs und Mädchen in BFC-Klamotten sehe.
Vor falschen Träumen warnen
Obwohl die Zeit im Osten oft langsamer dahintropft und mein altes Internatszimmer immer noch hinter dem gleichen grauen Putz existiert, hat sich beim BFC Dynamo vieles getan mit den Jahren. Der Klub ist von einem kühlen Verein der Elite, in dem die Fußballer die größte Klappe hatten, zu einem integrativen Breitensportverein geworden, in dem die Fußballer immer noch die größte Klappe haben. Ich sehe täglich hunderte Kinder und Jugendliche, alle mit diesem einen Traum in den Köpfen: Fußballstar werden.
Als Trainer und Vorbild ist es mein Job, diese Wünsche zu fördern, aber auch zu warnen: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie Profis werden, ist verschwindend klein. Ich vermittle selbst meinen Viertliga-Spielern, den Beinahe-Profis, dass Fußball mehr ist als die Bundesliga. Er findet Freunde, schafft schnell ein Umfeld, wenn man in eine neue Stadt ziehen muss, er kann neben dem Beruf ein Zuverdienst sein. Das ist mehr als die meisten Sportler haben. Und ich kann ihnen nur empfehlen: Seid wie Jari Litmanen.
"Seid wie Jari Litmanen"
In Rostock war ich der Zimmerkollege dieses Weltstars und er mein Vorbild. Im Training konnte er nur Vollgas. Auch wenn er ruhig spielen sollte, damit die anderen in die Übung reinkommen konnten, rasierten seine Pässe den Rasen. Abseits des Platzes war er die personifizierte Disziplin. Abends auf dem Zimmer sagte er: „So. Um neun. Gute Nacht.“ Der Finne schob sich die Schlafbrille ins Gesicht und pennte.
Nur eines konnte ich Jari beibringen: Backgammon. Er spielte es mit kindlicher Unbeschwertheit, er war süchtig danach. Wenn ich sage, seid wie Jari, meine ich: immer alles geben, diszipliniert sein – aber sich vor allem die kleinen Freuden des Lebens bewahren. Zwischen Hohenschönhausen und Litmanen wird niemand automatisch Profi, die meisten aber zu glücklichen Menschen.
Was glücklich macht
Gelegentlich werde ich gefragt, was mich in meiner Karriere glücklich gemacht hat. Ich weiß es nicht. Manchmal spüre ich eine Leere, wenn ich an meine Profijahre zurückdenke.
Um meinem Sohn, er ist 5, zu zeigen, was der Papa früher gemacht hat, habe ich eine DVD mit meinen Toren zusammengeschnitten. Doch die Szenen berühren mich kaum. Als sähe ich einem Fremden zu. Vielleicht ist es ein Schutzreflex des Gehirns, der verhindert, dass Leute wie ich sich morgens die Strümpfe bis zu den Knien hochziehen und auf dem Weg zum Briefkasten die Hände über dem Kopf zusammenklatschen. Vielleicht war der Profifußball ein Abenteuer, für mich aber nicht die beste Sache der Welt.
Wenn mir ein Moment einfällt, der annähend perfekt war, dann war es eine Einwechslung in Rostock, die ich als Manager erlebte. Ein erfolgloses Kapitel mit vielen Fehlern. Doch ein Augenblick hat sich positiv eingebrannt. Tobi Jänicke, damals keine 20 Jahre alt, machte sein erstes Spiel für seinen Heimatverein. Ich stand auf und es schüttelte mich. Ich hatte Gänsehaut.
So muss sich auch ein Erzieher fühlen, der ein Kind nach vielen gemeinsamen Beulen und Schrammen mit dem großen Ranzen auf dem Rücken in das Leben stolpern sieht. Für dieses Gefühl bin ich Fußballtrainer geworden.
Aufgezeichnet von Hannes Hilbrecht.
René Rydlewicz