Beste Kaderschmiede: Auszeichnung für Schul- und Leistungssportzentrum in Hohenschönhausen
Das Schul- und Leistungssportzentrum in Berlin-Hohenschönhausen ist als beste deutsche "Eliteschule des Sports 2014" ausgezeichnet worden
Nadja* ist in die Knie gegangen, sie erwartet jetzt den Ball. Ihre Beine sind nicht bloß lang, sie sind vor allem muskulös, nur hilft ihr das jetzt herzlich wenig. Franko Hölzig hat den Ball zu ihr geknallt, drei Meter entfernt, und Nadja fällt einfach zur Seite, einigermaßen elegant noch, aber für so etwas hat Hölzig keinen Blick. „Gott hat dir Beine gegeben, damit du laufen kannst, nicht zum Umfallen“, poltert er durch die Turnhalle des Schul- und Leistungssportzentrums in Alt-Hohenschönhausen.
Hölzig war mal Volleyball-Nationalspieler, jetzt ist er Landestrainer, im Moment vor allem aber Coach von 14-, 15-jährigen Schülerinnen. Hölzig, T-Shirt schwarz, Turnhose schwarz, gibt hier den Ton an. Eine raue Geschichte. „Wir sind eine Eliteschule, wir müssen uns im Anspruch abheben, wir müssen mehr leisten als andere, sonst sind wir hier nur ein Freizeitverein.“ Ein paar Meter weiter sitzt Gerd Neumes in seinem Büro, hinter sich ein riesiger Pokal auf dem Fensterbrett, und verkürzt Hölzigs Philosophie zu dem Satz: „Wir sind eine Kaderschmiede des Sports.“
Top-Stars des Sports waren in der Schule
Das ist eine Spur zu bescheiden. Das Schul- und Leistungssportzentrum, der Zusammenschluss der früheren Coubertin- und der Seelenbinder-Schule, dieses Gebäude-Ensemble auf dem Gelände des Sportforums, ist nicht bloß irgendeine der Eliteschulen des Sports, davon gibt es in Deutschland schließlich 43. Sie ist die „Eliteschule des Sports 2014“, bundesweit. Die edelste Kaderschmiede.
Neumes hat dafür vor kurzem eine Urkunde erhalten, unterschrieben vom Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, und einen Pokal, der an eine moderne Skulptur erinnert. Und warum gerade jetzt die Auszeichnung? Neumes lächelt wieder. „Wir wurden auch dafür geehrt, dass wir vielen Talenten den Weg geebnet haben.“ Eine Art Belohnung fürs Lebenswerk also.
Franziska van Almsick, Robert Harting, Claudia Pechstein, Britta Steffen: Top-Stars des deutschen Sports hockten in den Unterrichtsräumen. Neumes ist seit 24 Jahren an der Schule, er hat sie alle erlebt. Die Seelenbinder-Schule gab es schon zu DDR-Zeiten, deshalb dauerte es, bis sie nach der Wende in der Gesellschaft akzeptiert wurde.
150 Lehrer kümmern sich um die Talente
Eine Generation geht, die andere kommt, die Kaderschmiede produziert ja weiter. 1200 Schüler sind da, herausragende Sportler, viele mit Medaillen geehrt. In der Oberstufe sind 60 bis 70 Prozent der Schüler Kaderathleten, die Schwimmer Sonnele Özturk und Alexander Kunert zum Beispiel. „Wir haben 16 olympische Sportarten“, sagt Neumes. Sport und Unterricht verzahnen sich, Training ist Teil des Unterrichts, das erleichtert vieles. Die Schwimmer steigen schon um 6 Uhr in der Schwimmhalle ins Becken. Im Sportforum sind alle Trainingsmöglichkeiten vorhanden, das spart viel Zeit. 150 Lehrer kümmern sich um die Talente, 20 dieser Lehrer sind in einer Doppel-Funktion Pädagoge und Trainer, ausgestattet jeweils mit der hochwertigen A-Lizenz.
Philipp Struwe unterrichtet Deutsch und Englisch, ein hoch gewachsener Mann mit klarem Blick. In seiner Jugend war er mal hochtalentierter Volleyballer, eine Verletzung stoppte seinen sportlichen Weg dauerhaft. Struwe war selber Schüler in der Schule. „Wir nehmen gerne ehemalige Schüler als Lehrer“, sagt er, „die können sich zum einen gut in die jetzigen Schüler rein versetzen, außerdem“ – jetzt lächelt er zufrieden – „haben die bei den Schülern ein gewisses Standing.“ Derzeit unterrichten fünf Ex-Schüler an der Kaderschmiede.
Auch bei ausländischen Talenten haben die ein gutes Standing. Fünf Schüler mit nicht-deutschem Pass leben im Internat der Schule. Die Schule ist offen, ein Talent aus Bayern kann ebenso kommen wie ein Städter aus Nigeria. „Sie müssen natürlich schnellstmöglich Deutsch beherrschen“, sagt Neumes. „Aber man wundert sich, wie schnell sie lernen.“
Regeneration nur in den Pausen
Man wundert sich nicht mehr, wenn man sieht, wie eng das Netzwerk an Personen ist, die sich um die Schüler kümmern. Die Klassen sind klein, das erleichtert das Lernen. Die Tennis-Spielerin Sabine Lisicki wurde sogar im Einzelunterricht auf Prüfungsniveau getrimmt. 2013 unterlag sie in Wimbledon erst im Finale.
Aber natürlich bleibt ein Problem. Jeden Tag mehrere Stunden Training, dazu noch Unterricht, das ist grenzwertig. „Regeneration findet quasi nur in den Pausen statt“, sagt Neumes. „Die Schüler haben Tage, die würden manche Erwachsene nicht durchstehen.“ Aber wenn man sie frage, die Eltern und die Schüler „dann sagen sie, dass es schon geht.“
In der Halle hat Hölzig Schluss gemacht. Die Mädchen, fast alle Auswahlspielerinnen, sind verschwunden, Hölzig sitzt auf einer Bank. Es geht jetzt um die Doppelbelastung. „Bei der Belastung im Training nehme ich keine Rücksicht auf die Schule“, sagt er. Im Normalfall. „Aber wenn gute Noten in Gefahr sind, dann schon.“ Er redet ständig mit den Lehrern. Ihn treiben eigentlich ganz andere Punkte um. Die mangelhafte Athletik seiner Jugendlichen zum Beispiel, „da hinken wir hinterher“. Und wenn er über die Motivation bei seinen Sportler redet, die zielgerichtete Bereitschaft, an sich zu arbeiten, dann wird sein Blick ganz hart. Diese Bereitschaft vermisst er.
Hölzig, der Ex-DDR-Nationalspieler, will jetzt nicht die Nostalgienummer von den früheren Zeiten liefern, „es hat sich vieles verändert, auch zu Recht“, aber er kennt das noch anders. Und von Belastungen muss ihm auch keiner was erzählen. Hölzig kennt seine Kaderschmiede bestens. Er war selber mal Schüler hier.
* Name von der Redaktion geändert
Frank Bachner
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