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Immer schön zupacken. Björn Werner (am Ball) hat in seiner zweiten Saison den Sprung in die Startformation geschafft.
© dpa

NFL-Profi Björn Werner: „Football spielen ist wie jede Woche ein Autounfall“

Mit 16 ging er von Berlin in die USA, um Footballprofi zu werden. Inzwischen ist Björn Werner Stammspieler in der National Football League (NFL). Ein Gespräch über den täglichen Kampf mit dem eigenen Körper.

Herr Werner, wie schwer fiel es Ihnen, auf Gänsebraten und Neujahrs-Pfannkuchen zu verzichten?

Nicht so sehr. Ich war wie meistens mit meiner Frau allein. Keine Familie, keine Freunde. Klar wäre es schön gewesen, meine Eltern hier zu haben. Aber Berlin liegt nicht um die Ecke, es ist ein langer Flug nach Indianapolis, und nur für zwei oder drei Tage lohnt sich die Reise nicht. Ich habe zwischen den Jahren auch nicht viel Zeit, ab Weihnachten beginnt in der NFL der wichtigste Abschnitt des Jahres.

Jetzt beginnen die Play-offs. Sie spielen am Sonntag mit Ihren Indianapolis Colts in der ersten Runde gegen die Cincinnati Bengals. Glauben Sie, dass es dieses Mal enger zugeht als beim 27:0-Sieg im Oktober?

Auf jeden Fall! Wenn die Play-offs beginnen, kannst du alles, was vorher war, vergessen. Mannschaften, die vorher vielleicht Probleme hatten, wachsen über sich hinaus, auf der anderen Seite können die Favoriten schwächeln. Nur wer auf den Tag genau topfit ist, hat eine Chance, in den Super Bowl zu kommen. Das ist unser Ziel.

Deshalb der freiwillige Verzicht auf die Weihnachtsleckereien?

Genau. Wobei das bei uns Football-Spielern nicht so schlimm ist. Ein oder zwei Kilogramm mehr machen nichts aus. Nur sollte das Gewicht nicht ständig um zehn oder fünfzehn Kilogramm schwanken.

Ihr deutscher Kollege Markus Kuhn von den New York Giants hat mal gesagt, dass ihn das viele Essen, um sein Gewicht zu halten, manchmal nervt, weil er nicht ständig Appetit auf drei warme Mahlzeiten hat. Wie ist es bei Ihnen?

Ich habe eigentlich immer ganz gut Appetit (lacht). Markus darf als Defensive Lineman auf keinen Fall zu leicht sein, sonst pusten ihn die schweren Jungs des Gegners einfach aus der Gegend. Ich spiele als Defensive End oder Linebacker eine andere Position, da sind die Spieler in der Regel etwas leichter, so zwischen 120 und 130 Kilogramm.

Wie wichtig ist das Gewicht beim American Football?

Das hängt von der Position ab, die einer spielt. Wie gesagt, Linemen wie Markus dürfen auf keinen Fall zu leicht sein, sonst haben sie beim Kampf Mann gegen Mann keine Chance. Überleg mal: Du selbst wiegst nur 115 Kilogramm und sollst einen mit 150 Kilogramm wegdrücken. No way! Andere wie der Quarterback oder die Passempfänger müssen eher athletisch sein, weil es bei ihnen auch auf Schnelligkeit ankommt. Im Grunde gibt es beim Football für jede Position ein anderes Anforderungsprofil.

Sie mussten in Ihrem ersten Profijahr anstatt auf Ihrer angestammten Position als Defensive End als Linebacker spielen. Ein Coach meinte, Sie benötigen noch mehr Kraft und Masse, um in der NFL als Defensive End zu bestehen. Schwer vorzustellen, wenn man Ihnen gegenübersteht.

Aber es stimmt. In der NFL ist alles eine Nummer größer als auf dem College bei Florida State. Das Spiel ist schneller, die Spielzüge sind komplexer und die Gegenspieler größer, stärker, schneller. Du kommst in die Umkleidekabine und siehst so einen Typen, der wiegt bestimmt 150 Kilogramm. Wenn der aufsteht, wird es dunkel. Aber draußen auf dem Feld rennt der dich in Grund und Boden. Darüber war ich am meisten erstaunt: wie beweglich selbst die schweren Jungs in der NFL sind.

Umkleidekabinen in der NFL gelten als rauer Ort. Mobbing ist ein Thema. Der Konkurrenzkampf soll enorm sein. Stimmt das?

Ich weiß nur, wie es in Indianapolis ist, und da passt alles super zwischen den Spielern. Klar, wir sind auch Konkurrenten, jeder will spielen. Die NFL ist hartes Business, und wer einmal raus ist, für den ist es nicht so leicht, wieder einen Verein zu finden. In solch einer Umgebung bist du nicht mit allen gleich eng befreundet, das geht auch gar nicht bei einem Kader von 53 Spielern. Aber wenn du als Team erfolgreich sein willst, muss die Chemie untereinander stimmen.

Ziehen Sie dafür auch manchmal abends gemeinsam um die Häuser?

Naja, abends ist schon mal so ein Stichwort. Da schlafe ich (lacht). Ich brauche meine acht Stunden, mindestens. Während der Saison bleibt gar keine Zeit, um um die Häuser zu ziehen. Unser Tagesablauf ist viel zu eng durchstrukturiert, alles läuft nach Plan ab.

Wann beginnt für Sie ein normaler Arbeitstag?

Meistens komme ich um 6.15 Uhr auf dem Vereinsgelände an. Zum Glück wohne ich nicht allzu weit davon entfernt, da reicht es, wenn ich gegen halb sechs aufstehe. Kurz nach sechs ist bei uns schon mächtig was los.

Wo? In der Frühstückskantine?

Schön wär’s (lacht). Ich gehe zuerst immer ins Eisbad, das ist gut gegen die Schwellungen. Macht jetzt im Winter aber nicht wirklich Spaß. Draußen ist es schon kalt, und du steigst auch noch in aller Frühe in eisiges Wasser. Die anderen Jungs haben daran auch keine Freude, das kann man in ihren Gesichtern sehen. Da stehen dann 15 muskelbepackte Typen im Eiswasser, morgens um sechs und bibbern. Aber hilft ja nichts, es muss halt sein.

Wie geht es weiter?

In der Regel mit Physiotherapie. Ich lasse mich so oft es geht behandeln, Regeneration ist das Wichtigste in der NFL. Erst um 7.30 Uhr steht das erste offizielle Teammeeting an, das geht so 40 Minuten. Da treffen sich dann die Spieler der Special Teams (die etwa beim Kick-off zum Einsatz kommen, d. Red.). Danach gibt es noch mal ein Meeting mit der gesamten Mannschaft, dann Videoanalyse, anschließend Einzeltraining im Kraftraum. Das erste Mal als Team gehen wir nicht vor 11 Uhr raus.

Wie groß ist die Gefahr, bei all den Meetings und Analysen mal wegzunicken?

Das solltest du dir lieber nicht erlauben. Football ist ein unheimlich komplexes Spiel, Kleinigkeiten entscheiden. Die Mannschaften studieren sich bis in kleinste Detail, wenn du da pennst und am Sonntag nicht Bescheid weißt, hast du auf dem Feld ein Problem.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Das geht schon bei den Kommandos los. Unsere Analysten versuchen rauszubekommen, was der Gegner vorhat, wenn dessen Quarterback das oder das sagt, oder was passieren könnte, falls er dieses oder jenes Zeichen gibt. Wenn du dann als Einziger keine Ahnung hast, stehst du ziemlich dumm da.

Wann endet Ihr Arbeitstag?

Gefühlt nie (lacht). Nach dem ersten Mannschaftstraining essen wir zusammen, dann wird wieder trainiert, und zum Abschluss steige ich wieder ins Eisbad. Gegen halb fünf verlasse ich das Gelände und fahre nach Hause.

Um sofort auf der Couch zu landen?

Wieder: Schön wär’s. Ich benutze zu Hause noch mal meine Reha-Geräte. Die arbeiten mit Strom, um die Muskeln wieder frisch zu kriegen. Ein Gerät sieht aus wie ein Schlafsack für die Beine, da schlüpfe ich nach einer harten Einheit gern noch mal rein. Jeder Spieler hat seinen ganz eigenen Tagesablauf und Trainingsplan. In der NFL herrscht ein hohes Maß an Selbstverantwortung. Für die eigene Fitness ist jeder selbst verantwortlich. Im Teamtraining werden eher strategische Dinge geübt.

Sie haben die Schwellungen erwähnt. Wie lange dauert es, bis Sie nach einem Spiel wieder vollkommen hergestellt sind?

Wenn wir sonntags spielen: bis Mittwoch. Wobei, vollkommen wieder hergestellt ist man nie. Es gibt nur einen Tag im Jahr, an dem du körperlich unversehrt und bei hundert Prozent bist. Das ist zu Beginn des Trainingslagers. Danach geht es nur bergab (lacht).

Footballspieler müssen also auch Masochisten sein?

Ein Physiotherapeut hat mal gesagt: Unsere Körper sind nach den Spielen in einem Zustand, als ob wir jede Woche in einen Autounfall geraten würden. Aber du gewöhnst dich dran. Schlimm ist nur die eine Woche, in der du Sonntag und dann gleich wieder Donnerstag spielst. Da hast du dich gerade wieder erholt und schon: Bumm. Geht es wieder los.

Trotzdem können Sie sich keinen schöneren Beruf vorstellen?

So ist es. Ich würde alles wieder so machen. 10 000 Mal, wenn es sein muss. Ich bin jetzt dort, wo ich immer hin wollte: unter den Besten der Besten, in der NFL. Dafür hat es sich gelohnt, mit 16 mein Zuhause in Berlin zu verlassen.

Björn Werner, 24, spielt seit 2013 in der American-Football-Liga NFL für die Indianapolis Colts. Der gebürtige Berliner (auf dem Bild links) stammt aus der Jugend der Berlin Adler, später bekam er ein Stipendium an der Florida State
Björn Werner, 24, spielt seit 2013 in der American-Football-Liga NFL für die Indianapolis Colts. Der gebürtige Berliner (auf dem Bild links) stammt aus der Jugend der Berlin Adler, später bekam er ein Stipendium an der Florida State
© AFP

Sie leben jetzt gut zehn Jahre in den USA, Ihr Deutsch besitzt bereits einen amerikanischen Einschlag. Fühlen Sie sich inzwischen mehr als Amerikaner?

Nein, ich bin ein Deutscher, der Amerika liebt, dort arbeitet, sich aber immer noch als Berliner fühlt. Aber stimmt schon, das mit der Sprache ist so eine Sache. Obwohl ich zu Hause mit meiner Frau Deutsch spreche, wird unser Wortschatz immer begrenzter. Gut, dass uns keiner dabei hört, richtig hohes Niveau ist das nicht mehr.

Sebastian Stier

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