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König der Sacks. Björn Werners Spezialität ist der Angriff auf Quarterbacks.
© dapd

Björn Werner: Berliner Mauer vor dem Durchbruch

Der Deutsche Björn Werner gilt als kommender Star im American Football – ihm winkt ein Vertrag in der NFL. Ein Besuch bei einem Berliner, der auszog, um die Football-Welt zu erobern.

Tallahassee - Die Tradition ist allgegenwärtig. In den Katakomben des 80 000 Zuschauer fassenden Doak-Campbell-Stadions stehen überall Vitrinen, sie sind voll mit Trophäen. Fotos einstiger Starspieler der Florida-State-Universität zieren die Wände in den Korridoren. Und im Rondell der Umkleidekabinen hängen lebensgroße Bilder ehemaliger Spieler, die von mindestens drei der fünf unabhängigen Gremien zum „All American“ ernannt wurden, zu einem der landesweit besten Spieler einer Saison. Kerwin Lonzo, der Pressesprecher des Universitäts-Footballteams, zeigt auf einen leeren Fleck in der Mitte der Galerie. „Dort kommt Björn hin“, sagt er fast ehrfürchtig. „Er hat alle fünf Auszeichnungen bekommen.“

Björn, oder „Bi-Jorn“, wie ihn die Amerikaner nennen, das ist der 22-jährige Björn Werner. Ein Berliner Junge, der es im US-College-Football, dem Unterbau der National Football League (NFL), zum Starspieler geschafft hat. Und der kurz vor einem ganz großen Schritt steht: weg von der Uni in Tallahassee im Norden des Bundestaates Florida, rein in die Profiliga. Werner dürfte zwar noch ein Jahr für Florida State spielen. Aber schon jetzt gilt er als einer der begehrtesten Spieler beim NFL-Draft im April. Bei dem jährlichen Auswahlverfahren nehmen die NFL-Profiklubs die besten Nachwuchsspieler aus den College-Ligen unter Vertrag, die vielversprechendsten werden zuerst gewählt und erhalten millionenschwere Verträge. Die meisten Prognosen sehen den Deutschen unter den Top Ten. Viel zu stark war die Leistung des Defensivspielers in der gerade ablaufenden Saison, um diese Chance jetzt nicht zu ergreifen. Werner wäre der dritte deutsche NFL-Profi nach Sebastian Vollmer von den New England Patriots und Markus Kuhn, der im Draft 2012 als 239. Spieler von den New York Giants gewählt wurde.

An Werners Durchbruch in der stärksten Footballliga der Welt zweifelt niemand. Das erklärte Ziel des jungen Berliners ist ohnehin schon immer die NFL. „Für mich stand mit 16 fest: Ich will nach Amerika und Football-Profi werden“, sagt Werner. Er klingt so selbstsicher, als hätte er nie auch nur den geringsten Zweifel gehabt. Jetzt, sechs Jahre später, steht Werner, aufgewachsen in Problem-Kiezen in Wedding und Reinickendorf, kurz vor der Erfüllung seines Traums. Sein erster Profivertrag winkt, zum ersten Mal könnte er Geld mit dem Sport verdienen, dem er sein Leben untergeordnet hat.

Vor sechs Jahren ließ der großgewachsene Modellathlet alles hinter sich. Sein Jugendtrainer Jörg Hofmann half ihm dabei, Kontakte in die USA zu knüpfen. „Allen war klar, dass sein Talent in Deutschland verschenkt wäre, weil er hier gar nicht an seine Grenzen gehen musste“, erzählt Wanja Müller, der langjährige Wegbegleiter von Werner und heutige Chefcoach der Berlin Adler. Schließlich erhielt Werner ein Stipendium von einer Highschool im US-Bundesstaat Connecticut. Nur den Flug musste er selbst bezahlen.

Eingewöhnungsprobleme hatte Werner nur außerhalb des Spielfelds. „Ich konnte kein Englisch. In Berlin habe ich im Englischunterricht nie aufgepasst“, sagt er. Sportlich lief dagegen alles optimal. „Am Anfang fanden es einige merkwürdig, dass ein Deutscher geholt wurde“, erzählt Werner, „doch schon nach dem ersten Training haben die gemerkt, was los ist.“ Werner überragte als Defensive End in seinem Highschool-Team und machte schnell die College-Scouts auf sich aufmerksam. Nach nur zwei Jahren in den USA ging er 2010 nach Tallahassee, um für die traditionsreichen „Seminoles“ der Florida State University Football zu spielen und nebenbei Business-Management zu studieren.

College Football ist ein schwer nachvollziehbares Phänomen

College-Sport in den USA, besonders American Football – das ist ein sehr spezielles und für Außenstehende schwer nachvollziehbares Phänomen. Die Spieler sind Studenten, die Teams formell Schulmannschaften. Es gibt kein Geld, die Sportler leben im Wohnheim oder einer WG, müssen ihre Kurse besuchen und einen bestimmten Notenschnitt halten, um im Team bleiben zu dürfen. Das ist die eine Seite.

Auf der anderen warten täglich mindestens fünf Stunden Training in einem hochprofessionalisierten Umfeld mit hochbezahlten Trainern und Betreuern, Spiele vor 80 000 fanatischen Zuschauern, Live- Übertragungen im Fernsehen, Starrummel. In weiten Teilen der USA sind die College-Mannschaften beliebter als die Profiteams, gerade in Gegenden ohne Großstädte. In den Südstaaten ist College-Football beliebter als jede andere Sportart.

Mit 19 holte Werner seine Freundin aus Deutschland nach Florida und heiratete sie. Seine Familie aus Berlin hat er kürzlich zu Weihnachten erstmals seit drei Jahren wiedergesehen, als er zu einem Kurzbesuch in die alte Heimat flog. Zu wenig freie Tage hat er in seinem Uni- und Trainingsalltag, zu teuer sind die Flugtickets für Eltern und Geschwister.

In der etwa 360 000 Einwohner zählenden Stadt Tallahassee ist der Deutsche ein Publikumsliebling. „Er ist einer unserer wichtigsten Spieler, außerdem mögen ihn die Leute, weil er Deutscher ist“, erzählt Rob Wilson, PR-Chef der Sportteams an der Universität. Jeder auf dem Campus erkennt Werner, nicht nur wegen seiner beachtlichen Körpermaße von 1,93 Größe und 123 Kilo Gewicht. „The Germinator“ oder „The Berlin Wall“ wird er hier genannt. Ständig wird er nach Autogrammen gefragt, von Leuten in der Stadt und von Kommilitonen im Hörsaal.

Egal mit wem man spricht, alle äußern sich mit Hochachtung und großer Bewunderung über den deutschen Starverteidiger. Vic Viloria, Chef-Fitnesstrainer der Seminoles, sagt: „Wenn wir ausländische Footballspieler bekommen, müssen wir ihnen normalerweise viel Zeit zum Eingewöhnen geben und sie langsam heranführen. Aber als Björn hier ankam, machte er Dinge, die man sonst nur von Leuten sieht, die schon seit 10 bis 15 Jahren auf hohem Niveau in den USA spielen.“

Es ist sein herausragendes Talent gepaart mit großem Ehrgeiz und sein ausgeprägter Siegeswille, der Werner zu einem der dominierenden Spieler dieser College-Saison gemacht hat. Als Defensive End ist es seine Aufgabe, die gegnerischen Laufspielzüge zu unterbinden oder zum gegnerischen Quarterback durchzubrechen und ihn zu Boden zu ringen. Letzteres wird „Sack“ genannt und ist die Königsstatistik für Spieler in der Defensiv-Reihe. 13 Sacks stehen in der laufenden Saison auf dem Konto des Berliners, ein US-weiter Spitzenwert. Auch in anderen wichtigen Individual-Statistiken wie Tackles oder abgewehrte Pässe gehört er zu den Besten auf seiner Position.

Die Auszeichnungen und das Lob nimmt Björn Werner gelassen hin, auch der bevorstehende Schritt in die NFL scheint für ihn eine Selbstverständlichkeit zu sein. „Das war von Anfang an der Plan“, sagt er.  Am Neujahrstag trifft der Junge aus Berlin im Orange-Bowl, einem der größten College-Meisterschaftsspiele, auf Northern Illinois. Es könnte sein letztes Spiel für die Seminoles sein. Das Porträt in der Umkleidekabine wird künftig an ihn erinnern. Und vielleicht hängt sein Bild eines Tagen auch in der Ehrengalerie eines NFL-Teams.

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