Alexander Esswein: Schnell, aber nicht torgefährlich: Exemplarisch für die Transferpolitik von Hertha BSC
Alexander Esswein ist zuletzt von den eigenen Fans ausgepfiffen worden. Er ist ein Beispiel dafür, dass sich Hertha BSC die richtig guten Spieler nicht leisten kann.
Es ist die letzte Chance. Die letzte Chance, der angekündigten Strafe noch zu entgehen. Die Profis von Hertha BSC üben schon seit geraumer Zeit das Umschaltspiel: Drei Angreifer stürmen auf zwei Verteidiger zu, und weil der Ertrag bisher eher dürftig ausgefallen ist, verlangt Trainer Pal Dardai in den letzten drei Durchgängen mindestens ein Tor von seinen Spielern – sonst: 30 Liegestütze. Zwei Versuche sind schon ergebnislos verstrichen, als Alexander Esswein vor dem Strafraum angespielt wird. Er kommt mit Tempo, aber als er auf die Seite hinaus passen will, verspringt ihm der Ball. „Nein!“, ruft Esswein und lacht. Angriff beendet, Übung vorbei – und jetzt alle runter.
Die Szene aus dem Training in dieser Woche ist typisch für Esswein. Er hängt sich rein, ackert, aber in den entscheidenden Momenten fehlen ihm oft Plan und Präzision. Am vergangenen Wochenende, bei der 1:4-Niederlage des Berliner Bundesligisten gegen Rasenballsport Leipzig, war das so gravierend, dass Esswein bei seiner Auswechslung von Teilen des eigenen Anhangs sogar ausgepfiffen wurde. Das Publikum scheint sich ein bisschen auf den 27-Jährigen eingeschossen zu haben, der im vergangenen Sommer vom FC Augsburg gekommen ist. „Manchmal pfeifen sie, manchmal jubeln sie“, sagt Esswein. „Das gehört zum Geschäft.“
Man fragt sich, was ihn jetzt wieder geritten hat
Der Offensivspieler gehört zu jener Sorte Fußballer, die sich, wie man so schön sagt, keinen Kopf machen. Im Positiven, aber auch im Negativen. Denn manchmal wünschte man sich, Esswein würde mit ein bisschen mehr Köpfchen spielen. Oder man fragt sich, was ihn jetzt wieder geritten hat. So wie gegen Leipzig, als er beim Stand von 0:1 den Ball am eigenen Strafraum genau in die Füße des Leipzigers Poulsen passte. So was passiere, sagt Esswein, zum Glück habe sein Fehler ja kein Gegentor zur Folge gehabt.
Herthas Manager Michael Preetz verweist darauf, dass Esswein gegen Leipzig „auch Aktionen hatte, die positiv zu bewerten sind“. Andererseits habe er „hier und da nicht die richtige Entscheidung getroffen“. Mitte der ersten Hälfte etwa, als er allein aufs Leipziger Tor zulief, Torhüter Peter Gulasci mit seinem überhasteten Abschluss aber keine große Mühe bereitete. Trotzdem sagt Preetz: „Er war da, der Laufweg war da, und er kommt in diese Situation.“ Das Problem ist, dass bei Esswein in solchen Situation noch zu wenig herausspringt. Schon bei der Niederlage in Mönchengladbach hatte er eine ähnliche Gelegenheit ähnlich kläglich vergeben und damit die Chance zum Ausgleich vertan.
Im Dezember hat er sein letztes Tor erzielt
„Bis 30 Meter vor dem gegnerischen Tor sind wir gut“, sagt Trainer Dardai. „Bei allem, was danach passiert, haben wir ein paar Defizite.“ Gerade von den Außenpositionen müsse mehr Unterstützung für die Stürmer kommen, aber das habe eben auch etwas mit individueller Qualität zu tun. Esswein darf sich da durchaus angesprochen fühlen. 27 Bundesligaspiele hat er bisher für Hertha bestritten, dabei zwei Tore erzielt, drei vorbereitet – ein eher dünner Wert für einen Offensivspieler. Seit dem 3. Dezember ist Esswein kein Treffer mehr gelungen.
„Ich fühl’ mich sehr wohl, habe jeden Tag Spaß am Training. Ich kann mich nicht beklagen“, sagt Esswein über seine erste Saison bei Hertha. Die Berliner haben sich im Sommer lange und intensiv um ihn bemüht, weil sie händeringend nach mehr Schnelligkeit für ihr Spiel gesucht haben. Am Ende musste Hertha immerhin zweieinhalb Millionen Euro an den FCA überweisen, der die Nöte des Ligakonkurrenten natürlich auch kannte.
Esswein steht exemplarisch für Herthas Probleme bei der Transferpolitik. Einen Spieler, der schnell und torgefährlich ist wie Timo Werner von RB Leipzig kann sich der Verein einfach nicht leisten. Werner hätten die Berliner im vergangenen Sommer nämlich auch liebend gerne geholt. Oder wenigstens Balasz Dzsudzsak, den Kapitän der ungarischen Nationalmannschaft. Beide waren nicht zu finanzieren.
Hertha muss auch künftig Abstriche machen
Hertha muss Abstriche machen – und hoffen, dass in einem Spieler mehr steckt, als andere bisher in ihm gesehen haben. Manchmal geht das gut, wie vor zwei Jahren bei Vedad Ibisevic, der dem VfB Stuttgart, dem späteren Absteiger, nicht mehr gut genug war. Oder bei Mitchell Weiser, der bei den Bayern Gefahr lief, als ewiges Talent abgestempelt zu werden, und erst bei Hertha bewiesen hat, dass sehr viel mehr in ihm steckt. Manchmal aber geht es auch nicht so gut. Von den drei Spielern, die Hertha im vergangenen Sommer geholt hat – Esswein, Allan, Ondrej Duda –, hat, aus unterschiedlichen Gründen, bisher keiner die Mannschaft entscheidend vorangebracht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. „Er kriegt die totale Unterstützung“, sagt Co-Trainer Rainer Widmayer über Alexander Esswein. „Er muss nur dran bleiben.“
Für Hertha wird es erst einmal keine Alternative zu diesem Weg geben. Auch wenn die Berliner dank des neuen TV-Vertrags deutlich höhere Fernseheinnahmen zur Verfügung haben werden, deutet bisher nichts darauf hin, dass sie in diesem Sommer eine Transferoffensive starten werden – unabhängig davon, ob sie sich in den noch ausstehenden Spielen bei Darmstadt 98 am Samstag und gegen Bayer Leverkusen die Qualifikation für die Europa League sichern. Nicht mal Gerüchte gibt es bisher. Frühe Abschlüsse sind daher wieder nicht zu erwarten; eher wird es so laufen wie in den vergangenen Jahren, als Trainer Dardai immer noch auf neue Spieler warten musste, als die Vorbereitung längst begonnen hatte. Sein Assistent Widmayer hat vor kurzem mal den Namen Vincenzo Grifo ins Spiel gebracht, mit dem er einst in Hoffenheim zusammengearbeitet hat. Grifo ist mit elf Assists der viertbeste Vorlagengeber der Bundesliga. Er wird wohl zu Borussia Mönchengladbach gehen.