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Thomas Sobotzik, 45, trat im September dieses Jahres als Sportdirektor des Chemnitzer FC zurück.
© dpa

„Ich wollte kein leichtes Ziel sein“: Ex-Sportdirektor des Chemnitzer FC schildert verzweifelten Kampf gegen Neonazis

Im Interview spricht Thomas Sobotzik über Attacken gegen ihn, seinen vergeblichen Kampf gegen rechte Fans – und die Enttäuschung über Kapitän Frahn.

Thomas Sobotzik hat den Chemnitzer FC als Sportdirektor in die Dritte Liga geführt. Immer wieder überschatteten aber Aktionen von rechtsextremen Fans den sportlichen Erfolg. Erst kämpfte Sobotzik noch dagegen an – mittlerweile hat er hingeworfen.

Herr Sobotzik, Sie haben als Sportdirektor des Chemnitzer FC versucht, gegen die rechtsextremen Fans vorzugehen. Doch dann haben Sie hingeworfen. Warum?
Für mich war die Bedrohungslage am Ende einfach zu groß. Ich wüsste nicht, warum man sich das antun muss. Wenn es temporär wäre und man das Gefühl hätte, man kriegt das gemeinsam hin und ist nicht fast alleine, dann wäre es anders gewesen.

Gegen Sie gab es Drohungen, auf einem Graffiti am Stadion stand „TS töten“.
Das, was bekannt wird, ist ja immer nur die Spitze des Eisbergs. Aber wenn Sie am Vip-Ausgang am Parkplatz abgepasst werden und Leute Sie da beleidigen oder bedrängen, ist eine Frage, die man sich stellt: Wie ernst ist das? Und man sieht ja, was es in der Politik teilweise für Ausmaße genommen hat. Wahrscheinlich passiert in 99 Prozent der Fälle nichts. Aber das eine Mal, da wollen Sie nicht dabei sein, wenn doch einer durchdreht. Ich wollte es nicht darauf ankommen lassen.

Wie haben Sie versucht, sich zu schützen?
Als meine Frau von Morddrohungen gegen mich gelesen hat, sagte sie: Du fährst mir da nicht mehr hin. Ich habe ihr dann versprochen, mein Büro immer im Hellen zu verlassen und nicht wie zuvor bis spät in die Nacht dort zu arbeiten und erst im Dunkeln auf den Parkplatz zu gehen. Am Ende habe ich darauf geachtet, dass ich kein leichtes Ziel bin.

Sie haben aber trotzdem noch bis September weitergemacht.
Ich habe immer gedacht, man kann das drehen. Es ist ja im Sport oft so, dass man durch Erfolg gewisse Dinge und Gegner aus dem Weg räumen kann. Aber dann habe ich gemerkt: Es geht nicht um Sport.

Klub mit Fan-Problem. Das Vereinslogo des Chemnitzer FC prangt über dem Eingang zum Stadion.
Klub mit Fan-Problem. Das Vereinslogo des Chemnitzer FC prangt über dem Eingang zum Stadion.
© Hendrik Schmidt/dpa

Wie mächtig sind denn die rechtsextremen Fans bei Chemnitz wirklich?
Die Gruppe ist wohl sehr überschaubar, aber hat ein sehr dominantes Auftreten. Ich weiß aus den Sicherheitskreisen, dass das junge durchtrainierte Jungs aus der Kampfsportszene sind, die ein gewisses Auftreten haben und denen sich die anderen fügen.

Dachten Sie tatsächlich, die mit sportlichem Erfolg verdrängen zu können?
Ich habe schon gehofft, dass die breite Masse in der Kurve sich dann erhebt und dieser Minderheit nicht die Chance gibt, den Klub so massiv zu zerstören. Aber das Grundproblem ist, dass dieser 9. März nach wie vor nicht so als ein Problem angesehen wird.

Das war der Tag, an dem die Chemnitzer Fans im Stadion eine Trauerfeier für den bundesweit bekannten Neonazi Thomas Haller veranstalteten.
Ich habe gesagt: Der kleinste Nenner, auf den wir uns committen müssen, ist, dass der 9. März sowohl für den Verein als auch für die Region eine Katastrophe war. Aber bei vielen Mitgliedern der aktiven Fanszene herrscht noch die Meinung: Naja, man hat nur einem verstorbenen Fan die letzte Ehre erwiesen. Solange sich die aktive Fanszene aber nicht eingesteht, dass das ein Riesenfehler war, der den Verein fast zerstörte und noch zerstören kann, wird es für den Chemnitzer FC schwierig, bei Null anzufangen und neue Reputation zu erlangen. Das kann nur die aktive Fanszene selbst regeln.

Hätten Sie etwas anders machen können?
Ich wüsste nicht, was. Das einzige, das mir persönlich wohl das Leben leichter gemacht hätte, wäre gewesen, alles zu relativieren. Nachdem ich beispielsweise als Judensau beschimpft wurde, hätte ich sagen können: Das sind Einzelne, ich hätte es unter den Teppich kehren können, aber das ist nicht die Wahrheit und wäre nicht richtig. Und ich kann damit nicht leben. Außerdem standen wir verbandsrechtlich ohnehin unter Beobachtung.

Probleme hatten Sie nicht nur mit Fans. Ihr Spieler Daniel Frahn solidarisierte sich zunächst mit den rechtsextremen Hooligans, indem er ein szenetypisches Shirt mit der Aufschrift „Support your local hools“ hochhielt. Danach bat er um Entschuldigung.
Da haben wir ihm geglaubt. Er hat sehr schnell erfahren, was für eine Dimension das für ihn hat, in so einer Schublade zu sein, für ihn und seine Familie. Aufgelöst hat er mir und dem Insolvenzverwalter Klaus Siemon erzählt, dass ihm nicht bewusst war, in welchen Kreisen dieses T-Shirt angesiedelt ist. Ich habe ihm geglaubt, ihn verteidigt und habe ihm eine Rückkehr und damit öffentliche Rehabilitation ermöglicht.

Der Problemspieler. Daniel Frahn (M.) am 21. Juli 2019 im Spiel des CFC gegen Waldhof Mannheim.
Der Problemspieler. Daniel Frahn (M.) am 21. Juli 2019 im Spiel des CFC gegen Waldhof Mannheim.
© Robert Michael/dpa

Die Trainer ernannten ihn vor der aktuellen Saison sogar zum Kapitän.
Ich habe im Trainingslager mit Daniel ein Einzelgespräch geführt – darüber, ob er weiß, was für eine Verantwortung das ist und dass wir uns tausendprozentig auf ihn verlassen müssen.

Doch dann fuhr Frahn zum Auswärtsspiel nach Halle und stand dort neben stadtbekannten Neonazis von „Kaotic Chemnitz“ im Fanblock, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Wir haben überhaupt nichts dagegen, dass ein Spieler in den Fanblock geht. Das wird ja öfter gemacht, auch wenn man mal Nähe demonstrieren will. Nur: Unser Pressesprecher hat Daniel vorher noch zu sensibilisieren versucht und geschrieben, wie prekär das Ganze ist und er aufpassen solle, mit wem er im Block stehe und er sich auf keinen Fall in irgendetwas reinziehen lassen soll – gerade bei der Vorgeschichte. Daniel wurde also mehr als nur gewarnt.

Das hat er wohl nicht befolgt. Nach unseren Informationen ist er sogar in seinem Privatauto mit führenden Mitgliedern der Gruppierung „Kaotic“ zum Spiel gereist.
Direkt nach dem Spiel haben mich unabhängig voneinander unser Fanbeauftragter, unser Pressesprecher und die Polizei über einen Sachverhalt informiert, der mich nach Rücksprache und vollem Einvernehmen mit Klaus Siemon und den Gesellschaftern des Chemnitzer FC zum Handeln gezwungen hat. Daniel wollte sich positionieren – mehr kann ich dazu nicht sagen.

Wie hat sich das für Sie angefühlt?
Es war, als wenn uns jemand das Herz rausreißt. Alles, was bis dahin passiert ist, konnte ich mit den Trainern abfedern, denn es kam alles von außen. Aber wenn dich einer aus der Mitte hintergeht, ist es, als wenn ein Familienmitglied einen betrügt. Das war maximal emotional für uns. Ich habe den Rausschmiss ausführlich mit allen Fakten, Bildern und Informationen, die mir zur Verfügung standen, mit Mannschaft und Funktionsteam aufgearbeitet. Da hatten zwei, drei Spieler Tränen in den Augen.

Wer ist beim Chemnitzer FC stärker: die sportliche Führung oder die rechtsextreme Fangruppierung?
Die Führung des Vereins ist immer stärker. Aber Vereine, die finanziell nicht auf Rosen gebettet sind, müssen bereit sein, für den richtigen Kurs auch mal finanzielle Nachteile in Kauf zu nehmen. Denn wenn sie gegen gewisse Strömungen vorgehen, kann es sein, dass es erst einmal Geld kostet – wegen weniger Zuschauern oder dem Wegbleiben von Sponsoren.

Alle raus. Die CFC-Anhänger äußern ihre Meinung im August beim Pokalspiel gegen den HSV.
Alle raus. Die CFC-Anhänger äußern ihre Meinung im August beim Pokalspiel gegen den HSV.
© Robert Michael/dpa

Was kann der Verein noch machen?
Es müsste sich eine Gegenbewegung entwickeln, die stark genug ist, den rechtsextremen Fans Paroli zu bieten. Am besten ist es, wenn die Fans das intern im Block klären und direkt eingreifen bei sowas, wenn sich also die Szene selbst bereinigt. Wichtig ist erst mal, dass Ruhe einkehrt. Dann muss der Verein weiter klare Kante zeigen. Es dürfen keine faulen Kompromisse gemacht werden.

In Ihrer Rücktrittserklärung haben Sie geschrieben, Sie wären auch bereit gewesen für eine Auseinandersetzung mit den radikalen Fans. Halten Sie das generell für eine gute Idee?
Man muss reden. Das ist auch Fanarbeit. Wenn Fanbeauftragte mancher Vereine zum Beispiel Reisen nach Auschwitz organisieren, ist das Aufklärung. Dann müssen Sie eben nachholen, was nicht im Elternhaus oder in der Schule passiert ist. Der leichte Weg ist immer, alle auszuschließen, aber dann haben wir die Probleme auf der Straße. Die Kurve ist nun mal der Querschnitt der Gesellschaft.

Wie kann das unterklassigen Klubs gelingen?
Es ist für sie die größte Herausforderung, weil die eigentlich nicht die Mittel haben, um diesem gesellschaftspolitischen Problem Herr zu werden. So ein Verein wie der Chemnitzer FC hat einen Mini-Etat, wir hatten zuletzt sieben Vollzeitangestellte. Ich glaube, dass vielleicht von den Verbänden ein Topf oder ein zentrales Präventionsteam gebildet werden muss, um gerade diesen Traditionsklubs zur Seite zu stehen. Denn die sind mit diversen Fangruppierungen überfordert.

Machen manche Vereine nicht auch lieber mal die Augen zu?
Nach meinem Kenntnisstand nein. Wenn Sie sehen, was es für ein Aufwand ist, ist das Wahnsinn.

Zweifelhafter Held. Die Chemnitzer Fans feierten Ex-Mannschaftskapitän Frahn.
Zweifelhafter Held. Die Chemnitzer Fans feierten Ex-Mannschaftskapitän Frahn.
© Hannibal Hanschke/Reuters

Der Chemnitzer FC hat nach Ihrem Abgang den Stadionsprecher wieder eingestellt, der damals den verstorbenen Neonazi mit einem verlesenen Text geehrt hat. Was denken Sie darüber?
Ich hätte grundsätzlich auch kein Problem damit gehabt, ihn wieder zurückzuholen, weil er dort eine Legende ist. Ich hätte es aber unter anderen Voraussetzungen getan. Seine Version war ja immer, er hätte nur vorgelesen, was man ihm in die Hand gedrückt hätte. Aber es ging vor allem um sein spontanes Feiern der T-Shirt-Aktion von Daniel Frahn. Also habe ich ihm gesagt: Du kannst wieder als Stadionsprecher anfangen, aber gehst vor dem Spiel in die Kurve, so wie du es immer machst, und sagst: Leute, ich bin wieder da, aber es ist mir wichtig zu sagen, dass auch ich einen großen Fehler gemacht habe Das wäre auch nach außen glaubwürdig gewesen. Dazu war er aber nicht bereit.

Wie hat es sich angefühlt, in Chemnitz zu gehen?
Der schwierigste Moment war das Treffen mit der Mannschaft und dem Funktionsteam in der Kabine. Ich habe das verglichen damit, dass ich mich so fühle wie in meiner ersten Ehe, wo ich vermeintlich meine Kinder zurücklasse, aber ich der Überzeugung bin, dass es für unser gemeinsames Verhältnis das beste ist, sich zu trennen. Alles andere war Erleichterung.

Was machen Sie nun?
Ich habe jetzt einen Leistungsnachweis unter schwierigsten Bedingungen erbracht. So ein Himmelfahrtskommando, wie es der Chemnitzer FC zum damaligen Zeitpunkt war, würde ich sicher nicht noch mal übernehmen. Denn ich bin realistisch genug zu wissen, dass ich zwar gute Arbeit gemacht habe, aber auch ein Quäntchen Glück dabei war und es unter diesen Umständen nicht immer so gut ausgehen kann. Vor allem will ich mich wieder ausschließlich mit der schönsten Nebensache der Welt, nämlich mit Fußball, beschäftigen und nicht mit Politik. Denn ich bin kein Politiker und habe auch nicht vor, einer zu werden.

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