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Ein Stück weit erschüttert. Pal Dardai scheint bei der Niederlage in Dortmund zum ersten Mal bewusst geworden zu sein, wie kompliziert seine Mission mit Hertha BSC noch werden könnte.
© Pool via REUTERS

Die Sorgen bei Hertha BSC nehmen zu: Es wird ernst – Pal Dardai schläft schlecht

Die Situation für Hertha spitzt sich zu: Durch Bielefelds Sieg in Leverkusen rutscht das Team auf den Relegationsplatz, Trainer Dardai äußert erstmals Sorgen.

Pal Dardai ist ein Mensch, der nicht nur viel Schlaf braucht, sondern auch viel Schlaf bekommt. Für die Somnologie jedenfalls wäre er aller Wahrscheinlichkeit ein sehr unbefriedigendes Forschungsobjekt. 88 verschiedene Formen der Schlafstörung kennt die Wissenschaft; Pal Dardai scheinen sie alle fremd zu sein. Er geht früh zu Bett, und selbst jetzt, da er als Cheftrainer von Hertha BSC dem Stress des Abstiegskampfes ausgesetzt ist, verfügt er nach eigener Aussage über einen tiefen und gesunden Schlaf. Zumindest war das bis Samstag so.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag war etwas anders als sonst. „Ich habe nicht viel geschlafen“, berichtete Dardai am Morgen nach dem 0:2 seiner Mannschaft gegen Borussia Dortmund. Es war im siebten Spiel unter ihm als Trainer die fünfte Niederlage, also auf den ersten Blick nichts völlig Neues. Aber bei genauerer Betrachtung hatte diese Niederlage für Dardai eine andere Qualität. Eine, die seine Besorgnis erregte.

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„Ich mache mir Gedanken: Wie kann das sein?“, sagte der Ungar. „Ich bin nicht hektisch oder panisch. Aber ich suche: Wie kann ich helfen?“ Wenn Dardai nicht mehr ruhig schläft, muss es wirklich ernst sein.

Es war nicht so, dass Hertha gegen den Champions-League-Viertelfinalisten kollektiv versagt hätte und die Mannschaft von komplett auseinander gespielt worden wäre. 0:2, das ist nicht mal eine richtige Klatsche. Aber Dardai hatte sich mehr erhofft, hatte sein Team weiter gewähnt, ihm zugetraut, auch einer Spitzenmannschaft weh tun zu können. Genau das war nicht passiert. „Ich habe ein besseres Gefühl gehabt, vom Bauch her“, sagte er. „Diese zweite Halbzeit hat irgendwie nicht reingepasst.“

Hertha war mit der Offensive überfordert

Sein Plan gegen den BVB funktionierte nur eine Halbzeit lang: als Hertha diszipliniert, leidenschaftlich und klug verteidigte. Erling Haaland, der unter der Woche vom Menschen zum gottähnlichen Wesen aufgestiegen war, wurde von den Berlinern komplett aus dem Spiel genommen. Mit Teil zwei des Plans, der in der zweiten Hälfte greifen sollte, war Dardais Mannschaft dann aber offenkundig überfordert.

Als es darum ging, selbst nach vorne aktiv zu werden und mit frischen Offensivkräften die Räume in Dortmunds Hälfte zu nutzen, geschah: nichts. „In der zweiten Halbzeit haben wir so viele offensive Spieler auf dem Platz, aber wir haben nicht mal einen Torschuss, nicht mal eine Ecke, nicht mal einen Standard“, sagte Herthas Trainer. „Nach so einer zweiten Halbzeit mache ich mir Sorgen. Dann muss man sich Fragen stellen über das Können.“

Dardai kündigte an, mit der Mannschaft darüber zu reden, intern. Am Dienstag, beim ersten Training der neuen Woche, will er mit der Aufarbeitung beginnen: Ist es was Psychologisches? Spielt die Angst mit? Oder liegt es womöglich an seiner Trainingsgestaltung? „Jetzt lass ich die Jungs in Ruhe“, sagte Dardai am Sonntagmorgen. „Ich muss das selber erst in den nächsten anderthalb Tagen verarbeiten.“

Die Situation ist psychologisch anspruchsvoll

Die Situation für die Berliner bleibt psychologisch anspruchsvoll. „Abstiegskampf ist Kopfsache. Da muss man die richtige Mischung zwischen Ruhe und der gewissen Anspannung behalten“, sagte Kapitän Niklas Stark. Durch den Sieg der Mainzer war Herthas Abstand auf die Abstiegszone auf drei Tore zusammengeschmolzen, durch Bielefelds überraschenden 2:1-Auswärtssieg am Sonntag in Leverkusen rutschte die Mannschaft dann sogar auf den Relegationsplatz. „Die Lage ist sehr schwer“, sagte Dardai. „Ich kann das einschätzen.“

Der Spielplan – die Ballung an hochklassigen Gegnern seit seinem Amtsantritt – hat die Sache nicht gerade erleichtert. „Das ist nicht einfach, wenn du so viele Spiele verlierst“, sagte Dardai. Er hat daher immer wieder auf die Fortschritte jenseits der Ergebnisse verwiesen: „Wir haben sehr vieles geschafft, was wichtig war, alles was mit Teamgeist, taktischer Disziplin, Ordnung zu tun hat.“ Nach dem Spiel gegen Dortmund aber schien es, als sei Dardai erstmals so richtig bewusst geworden, wie kompliziert die Angelegenheit noch werden könnte.

Im Team fehlt es an Führungsqualität

Erst am Saisonende trifft Hertha auf Gegner, die sich auf ähnlichem Niveau bewegen. Wenn bis dahin alles halbwegs normal läuft, wird sich die Mannschaft dann in einer Situation befinden, dass sie diese Spiele gewinnen muss. Dafür aber muss die Offensive funktionieren, und daran sind bei Dardai in Dortmund erste und ernste Zweifel aufgekommen. „Wegen der Offensivaktionen mache ich mir ein bisschen Sorge“, sagte er. „Defensive Arbeit, das ist Wille, Disziplin. Das machen die Jungs. Offensives Spiel ist Können. Ein guter Spieler kann auch unter Druck gut spielen.“

Als es vor einigen Wochen beim Spiel in Stuttgart in der ersten Halbzeit nicht besonders gut lief, konnte Dardai in der Pause korrigierend eingreifen. Als sich die Dinge in Dortmund in der zweiten Hälfte in die falsche Richtung entwickelten, hatte er diese Gelegenheit nicht mehr. Die nötigen Korrekturen hätten aus der Mannschaft selbst kommen müssen. Aber dazu war sie nicht in der Lage.

Und so erlebte Pal Dardai gewissermaßen seinen Bruno-Labbadia-Moment. Sein Vorgänger als Trainer hatte immer wieder auf die Folgen des Umbruchs im Sommer verwiesen, den Mangel an Leadern, das Fehlen einer stabilen Achse. Am Sonntag klang Dardai zum ersten Mal ähnlich. „Wahrscheinlich fehlt noch diese Führungsqualität auf dem Platz“, sagte er. „Es ist meine Aufgabe, diese Spieler zu züchten. Komisches Wort. Aber wir haben diese Spieler nicht.“

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