Kolumne: Auslaufen mit Lüdecke: Erwarte nichts von Hertha BSC!
Unser Kolumnist ist seit 50 Jahren Hertha-Fan und hat vor allem zwei Dinge gelernt: Erwarte nichts. Und gehe immer vom Gegenteil aus.
Auch wenn man es dieser Glosse manchmal nicht so recht anmerkt, so bin ich doch Anhänger von Hertha BSC. Genau genommen bin ich das seit knapp 50 Jahren. Ich wuchs in der Nähe des Olympiastadions auf und habe mich oft als kleiner Junge kostenlos in die zweite Halbzeit geschmuggelt. Über meinem Bett hing ein blau-weißes Trikot. Ich kannte Spieler namens Horr, Steffenhagen oder Kristensen. Ich habe später meinen Sohn dazu erzogen, mir in meiner fußballerischen Vorliebe zu folgen.
Er hätte es sicher leichter haben können. Als ich ihn das erste Mal ins Stadion mitnahm, ging es gegen Werder Bremen. Wir waren beide sehr aufgeregt. Und mein Verein tat genau das, was ich von ihm hätte erwarten dürfen. Er hielt eine echte Überraschung für uns bereit. Nach 20 Minuten stand es 2:0 für Bremen. Dann brach sich der Lieblingsspieler meines Sohnes, ein Mann namens „Marcelinho“, direkt vor unseren Augen und ohne Einwirkung eines Gegenspielers ein Bein.
Als Bremen das 3:0 erzielte, beugte sich mein Sohn zu mir und sagte mit leiser Stimme: „Papa. Ich bin jetzt für Bremen.“ Tja. Das sind Momente im Leben, die wegweisend sein können. In solchen Situationen muss sich zeigen, ob man den Titel „Erziehungsberechtigter“ zu Recht trägt oder nicht. Und ich darf Ihnen versichern, dass Werder Bremen im Leben meines Sohnes keine besondere Rolle gespielt hat.
Warum schreibe ich das alles? Weil mir eines in all den Jahren aufgefallen ist. Hertha BSC ist immer Überraschung. Das Antizyklische. Wenn ich in 50 Jahren eines über diesen Verein gelernt habe, dann das: Erwarte nichts. Und gehe immer vom Gegenteil aus.
Die Herthaner haben – ich darf das mal etwas hochtrabend formulieren – in den letzten Wochen eine ziemliche Grütze zusammengespielt, sodass man gegen den Aspiranten auf Tabellenplatz zwei eigentlich gar nichts erwarten durfte. Aber so ist das eben mit Hertha. Dann machen sie gegen Leverkusen ein klasse Spiel. Man sieht sogar Kombinationen. Gewollte Aktionen. Bisweilen sogar richtig durchdacht. Sie sind ihrem Gegner überlegen und gewinnen völlig verdient mit 2:0.
Und dann fällt mein Blick auf die Tabelle und ich denke: Huppala! Vielleicht sind wir ja doch kein Mittelmaß? Vielleicht wendet sich jetzt alles? Es fehlen ja nur sechs Punkte auf Platz vier! Zwei Siege – Champions League! Und nächsten Freitag geht es zu Hause gegen Mainz! Die sind ja nun völlig von der Rolle, gerade. Da könnten wir doch … booaah! Nicht auszudenken! Und dann schaue ich mir am Freitag erwartungsvoll das Spiel an.
Verstehen Sie, was ich meine?
Der Berliner Kabarettist Frank Lüdecke schreibt hier jeden Montag über die Fußball-Bundesliga.
Frank Lüdecke