Marcelinho im Interview: „Die Zeit bei Hertha war die beste“
Marcelinho spricht vor seinem Abschiedsspiel am Sonnabend im Olympiastadion über Erfolge und Eskapaden in Berlin – und sein neues Leben.
Kompliment, Marcelo! Sie wirken mit 41 Jahren noch immer fit wie zu Ihrer großen Zeit bei Hertha BSC, und die liegt nun auch schon mehr als zehn Jahre zurück.
Oh, danke! Wissen Sie, ich beginne zwar gerade mein neues Leben als Spielerberater, aber zu Hause in Brasilien spiele ich immer noch auf professionellem Niveau Fußball.
Beim FC Treze im Bundesstaat Campina Grande. Am Sonntag haben Sie beim 0:0 im Derby gegen Campinense einen Elfmeter verschossen…
Was willst du machen, der Torwart hat gut pariert, das gehört zum Spiel. Ich habe jedenfalls nach wie vor Spaß am Fußball und laufe immer noch um die elf Kilometer pro Spiel, auch wenn ich jetzt seltener im offensiven Mittelfeld spiele und immer häufiger als zweiter Stürmer. Ich werde halt älter, versuche aber immer noch sportgerecht zu leben.
Sportgerechtes Leben hat man in Berlin nicht unbedingt mit Ihnen in Verbindung gebracht. Stimmen die vielen Geschichten über Ihre nächtelangen Partys?
Ja, ich fürchte schon. Wissen Sie, ich würde jetzt gern noch mal ins Taba gehen oder ins Ipanema, das waren meine brasilianischen Lieblingsbars in Berlin. Die gibt’s leider beide nicht mehr. Kein Wunder, ich war ja ihr bester Kunde, habe immer viele Leute angeschleppt, ohne mich musste der Umsatz ja einbrechen. Ich bin halt Brasilianer. Wenn mir das Leben Spaß macht, dann macht mir auch der Fußball Spaß. In Berlin hatte ich sehr viel Spaß, auf dem Platz, aber auch daneben. Die Zeit bei Hertha war die beste in meiner Karriere.
Das müssen Sie jetzt so sagen, vor Ihrem Abschiedsspiel am Samstag im Olympiastadion.
Nein, schauen Sie sich einfach meine Statistiken an! So gut wie bei Hertha war ich nirgendwo sonst, und es ist ja auch kein Zufall, dass ich hier zum Nationalspieler geworden bin.
Trotz Ihrer außergewöhnlichen Begabungen hat es nur zu fünf Länderspielen gereicht.
Glauben Sie nicht alles, was im Internet steht. Es waren sieben Spiele.
Immer noch sehr wenig für einen mit Ihren Fähigkeiten. Haben Sie Ihr Talent verschludert?
Das würde ich nicht so sagen. Zu meiner besten Zeit war die Konkurrenz auf meiner Position im offensiven Mittelfeld einfach überragend. Rivaldo, Denilson, Kaka oder Ronaldinho – mit denen ist Brasilien 2002 Weltmeister geworden. Ich war bei der Qualifikation in zwei Spielen dabei und habe gegen Paraguay auch ein Tor geschossen. Natürlich wäre ich auch gern mit zur Endrunde gefahren, aber ich habe immerhin zum erweiterten Kreis gehört.
Vielleicht lag es auch daran, dass Sie ein halbes Jahr vor der WM wegen Alkohol am Steuer den Führerschein verloren haben.
Kann sein, aber niemand vom brasilianischen Verband hat mir gegenüber etwas in dieser Richtung angedeutet. Ich ziehe die sportliche Interpretation vor. Es ist keine Schande, sich gegen solche überragenden Spieler nicht durchzusetzen. Heute hätte ich es einfacher.
Viele ältere Hertha-Fans verehren Sie immer noch als letzte richtige Nummer zehn, als letzten richtigen Künstler.
Ist das so? Nun, das Spiel hat sich verändert. Ich hatte meine Zeit, jetzt ist die Zeit der anderen.
Für Hertha haben Sie in 165 Spielen 65 Tore geschossen. Welches war das schönste?
Natürlich das gegen Freiburg!
Ein Sololauf über die Mittellinie, Sie schütteln Ihren Gegenspieler ab, heben kurz den Kopf und schlenzen den Ball aus 50 Metern ins Tor. Ein typischer Marcelinho, später zum Tor des Monats gewählt!
Nochmals danke! Ich erinnere mich auch gern an die drei Tore in Wolfsburg. Wir haben 3:2 gewonnen, und mit ein wenig mehr Glück hätte ich auch sechs Tore schießen können.
Ihre besten Mitspieler?
Da muss ich nicht lange überlegen: Sebastian Deisler. Der hatte alles. Schade, dass er später nicht besonders viel Glück in seiner Karriere hatte. Meine brasilianischen Landsleute Gilberto und Alex Alves, sein früher Tod hat mich schwer getroffen. Auch Yildiray Bastürk war ein großartiger Spieler. Mir fallen so viele ein, aber an Sebastian Deisler kommen sie alle nicht ran.
Der emotionalste Moment?
Jedes Spiel im Olympiastadion mit seinem einzigartigen Flair. Natürlich ist die Stimmung in einem reinen Fußballstadion intensiver. Aber ich hatte im Olympiastadion immer eine sehr enge Beziehung zum Publikum.
Dieses Publikum hat Sie mit Pfiffen empfangen, als Sie sie zwei Jahre nach Ihrem Abschied mal mit dem VfL Wolfsburg nach Berlin zurückgekehrt sind.
Was soll ich sagen? So ist der Fußball. Ich habe das niemandem übel genommen.
Stehen Sie noch in Kontakt zu Spielern aus der Bundesliga? Es spielt ja auch der eine oder andere Brasilianer hier.
Nein, es hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert, ich kenne niemanden mehr, mal abgesehen von den alten Kollegen aus Berlin wie Michael Preetz und Pal Dardai. Schön, dass die beiden mit Hertha wieder Erfolg haben, ich verfolge das alles im Internet. Wenn bei uns im brasilianischen Fernsehen die Bundesliga gezeigt wird, dann nur Bayern oder Dortmund.
Ihr Abschied vor achteinhalb Jahren kam sehr plötzlich. Sie hatten Ihren sommerlichen Heimaturlaub eigenmächtig ein wenig ausgedehnt.
Stimmt, das war allein meine Schuld, ich würde das heute nicht mehr so machen. Der Manager Dieter Hoeneß hatte wirklich sehr viel Geduld mit mir. Herr Hoeneß war der beste Mensch im Verein, wie ein zweiter Vater für mich. Ich habe gehört, dass sein Abschied nicht ganz reibungslos verlief. Egal, ich kann nur das Beste über ihn sagen. Wenn ich mal wieder Blödsinn angestellt hatte, dann hat Herr Hoeneß gesagt: Marcelo, das bekomme wir wieder hin! Ich freue mich riesig, dass er zu meinem Abschiedsspiel kommt. Das wird eine großartige Party mit all den Freunden aus Berlin und aus Brasilien.
Was für eine Überraschung bringen Sie Ihrem Publikum denn mit? Vielleicht eine neue Frisur?
Ha! Gute Idee, vielleicht gehe ich ganz kurzfristig noch mal zum Friseur. Obwohl – eigentlich habe ich ja schon alles durch… Die in Hertha-Blau gefärbten Haare waren doch großartig, oder?
In Erinnerung geblieben ist vor allem die eingefärbte Deutschlandfahne, aber da ist dem Friseur einiges durcheinandergeraten. Sie sind ein paar Wochen lang als Belgier über den Platz gelaufen.
Ja, ja, ich weiß, es waren zwar die richtigen Farben, aber in der falschen Anordnung. Was sollte ich machen, der Friseur war ein Berliner, der hat wohl in der Schule nicht richtig aufgepasst. Egal, wenn sich die Leute immer noch erinnern, dann war doch alles richtig!
Vielleicht singen Sie dem Publikum ein schönes brasilianisches Lied vor?
Ganz schlechte Idee! Ich singe furchtbar!
Aber alle Brasilianer können singen und tanzen!
Alle bis auf einen.
Das Abschiedsspiel von Marcelinho wird an diesem Sonnabend ab 15:30 Uhr im RBB übertragen.