Arjen Robben in der Kritik: Elfmeter oder nicht? Fairness ist zu selten das Thema
Bayern Münchens Arjen Robben muss sich von Arsenals Trainer Arsene Wenger anhören, er sei ein "Diver", ein Elfmeterschinder. Solche Kritik ist harsch, aber Ausdruck einer anderen, besseren Fußballkultur in England.
So weit wie Sir Alex Ferguson, der einst so ziemlich alle nicht-britischen Spieler unter den Generalverdacht der Fallsucht im Strafraum stellte, ging der feinfühlige Manager des FC Arsenal natürlich nicht. Aber auf Arjen Robben hat sich Arsene Wenger doch inzwischen eingeschossen. Der Holländer sei ein sehr guter Spieler, aber auch "a very good diver", also einer, der gern fällt, um Freistöße und Elfmeter zugesprochen zu bekommen, sagte Wenger nach dem 1:1 und dem damit verbundenen Ausscheiden seines Teams im Rückspiel des Champions-League-Achtelfinals bei Bayern München.
Es ging unter anderem um eine Szene in der Nachspielzeit, in der Robben formvollendet im Strafraum zu Boden gegangen war, woraufhin der Schiedsrichter einen - durch Thomas Müller dann vergebenen - Elfmeter gepfiffen hatte. Robben wiederum fand, Wenger dürfe so nicht über ihn reden: "Wenn man verliert, sollte man sich nicht über alberne Sachen beschweren", sagte der Holländer. Er wolle sich gar nicht verteidigen. Und: "Von einem großen Trainer würde ich mehr erwarten, wenn man verliert."
Wengers Kritik ist harsch, aber auch Ausdruck einer anderen, besonderen, ja und in dem Fall auch besseren Fußballkultur. Während die Engländer in vielem, etwa bei Sicherheitsmaßnahmen oder der Kommerzialisierung, zu weit gegangen sind und viele englische Fans den deutschen Fußball als Vorbild für einen leidlich funktionierenden Ausgleich zwischen Vereins- und Faninteressen entdeckt haben, sind sie uns beim Thema Fairness immer noch weit voraus.
Auf der Insel ist und bleibt der "Diver" geächtet. Schiedsrichter riskieren eher eine Fehlentscheidung zugunsten des defensiven als des offensiven Spielers. Fans buhen "Diver" nachhaltig aus. Reporter achten darauf, ob sich ein Spieler unfair einen Vorteil verschaffen will - und reden oder schreiben ausgiebig darüber. Der "Diver" hat seinen festen Platz im Stadion-Ensemble: Er ist der Bösewicht, wie er will keiner sein.
Bei uns ist der ganze Diskurs anders. Das fängt schon damit an, dass der "Diver" (wörtlich: "Taucher") schwer zu übersetzen ist. Der "Schwalbenkönig" ist eine eher bemühte Wortkomposition, die klingt wie aus einer Zeit, als Fans noch "Schiedsrichter, Telefon!" riefen. Auch der "Elfmeterschinder" ist nicht gerade eingängig. Der "Schauspieler" schon eher, aber der Begriff umfasst mehr als den skandalösen Akt des täuschenden Hinwerfens, er bezieht sich vor allem auf die Theatralik des Schmerzensmanns, der sich mit den Händen vorm Gesicht auf dem Boden wälzt, um den Schiedsrichter für sich und sein schweres Schicksal einzunehmen. Oft klingt bei uns sogar Bewunderung mit, wenn es ums geschickte Täuschen auf dem Fußballplatz geht. Das "Schlitzohr" ist der clevere Bruder des Schauspielers.
Entsprechend wird im deutschen Fernsehen kommentiert: "Kann er sich fast fallen lassen", hieß es gestern Abend beim Bezahlsender "Sky" in einer Spielszene. Statt den Spieler - Bayern Münchens David Alaba war's - für seine Standfestigkeit zu loben, macht sich der Fußballkommentator zum Anwalt der "Cleveren". Unsportlichkeit gerät so zur Norm. Die Verantwortung des Spielers, sich sportlich zu verhalten, kommt zu kurz.
Potenzielle Elfmetersituationen werden bei uns meist rein technisch kommentiert, gern mit Hilfe ausgiebiger Wiederholungen und Analysen. Ein Spieler "kommt zu spät" oder er "wird berührt", und dann wird womöglich auch noch dem Recht gegeben, der "das Foul gesucht" oder auf clevere Art "den Elfmeter herausgeholt" hat. Oder es geht ausschließlich darum, ob der Schiedsrichter mit seiner Entscheidung nun richtig lag oder nicht. Fairness ist bei uns viel zu selten das Thema.
Markus Hesselmann