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Wird diese Prothese eine Revolution lostreten?
© dpa

Behindertensportler Markus Rehm: Ein Nachteil kann kein Vorteil sein!

Ein Startverbot für Sportler mit Handicap wäre diskriminierend, meint der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands. Heute entscheidet sich, ob der behinderte Deutsche Meister im Weitsprung, Markus Rehm, bei der EM trotz Prothese antreten darf. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Friedhelm Julius Beucher

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) will an diesem Mittwoch das Team für die bevorstehenden Europameisterschaften in Zürich bekannt geben. Nichts spricht dagegen, dass der Weitspringer Markus Rehm dabei ist. Als erster Leichtathlet mit Handicap hat Markus Rehm am vergangenen Samstag einen nationalen Wettbewerb gewonnen. Er ist Deutscher Meister im Weitsprung. Im Ulmer Donaustadion sprang er 8,24 Meter weit. Das war Weltrekord im Behindertensport. Nur vier nicht behinderte Athleten in Europa sind in diesem Jahr schon weiter gesprungen. Die Norm für Zürich (8,05 Meter) hat Rehm glatt geschafft. Seitdem wird erbittert darüber gestritten, ob seine gefederte Karbon-Prothese ihm einen Vorteil verschafft hat. Der Europäische Leichtathletik-Verband (EAA) und der Weltverband IAAF stehen vor der Entscheidung; Starterlaubnis oder Startverbot.

Wie auch immer diese Entscheidung ausfällt – sie wird umstritten sein. Die einen werden auf dem Recht von Spitzensportlern mit Behinderung bestehen, an Sportfesten und Titelkämpfen mit Nichtbehinderten teilzunehmen. Die anderen werden Rehms Startberechtigung anzweifeln, jede seiner Platzierungen anfechten. Das ist der Anfang einer Debatte, die weiter reicht als die Frage, ob der Katapulteffekt der Prothese oder der verlängerte Kunstfuß vielleicht ein paar Zentimeter mehr bringen.

Die Kernfrage ist: Kann ein Handicap, das ja immer ein Nachteil ist, zum vermeintlichen Vorteil werden? Stellen wir uns vor, ein Tischtennisspieler im Rollstuhl schafft es bis in die nationale Spitze. Gelten für ihn die gleichen Maßstäbe wie für den Weitspringer? Markus Rehm fragt zu Recht: „Warum soll ich kein guter Athlet sein, nur weil mir ein Bein fehlt? Vielleicht würde ich noch weiter springen, wenn ich zwei Beine hätte.“

Die Sprünge des unterschenkelamputierten 25-Jährigen in Ulm werden nun einer biomechanischen Leistungsdiagnostik unterzogen und nach streng wissenschaftlichen Vorgaben auf ihre Vergleichbarkeit mit den nicht behinderten Konkurrenten überprüft. Doch auch diese hoch angesetzten Maßstäbe werden in Zweifel gezogen werden. Vorhersehbar ist, dass irgendjemand vorbringt, dieser oder jener Parameter sei nicht in die Bewertung eingeflossen oder gar nicht berücksichtigt worden.

Ohne den Ergebnissen der Wissenschaftler und den Gutachten vorzugreifen, lässt sich aus Sicht des Deutschen Behindertensportverbands schon sagen: wenn im Regelwerk von Sportverbänden der Einsatz von Prothesen verboten wird, wäre das eine Diskriminierung. Menschen mit Behinderungen würden ausgeschlossen. Exklusion statt Inklusion. Bei dieser Gelegenheit muss auch erwähnt werden, wie hässlich und diskriminierend der vielfach verwendete Kampfbegriff „Technik-Doping“ ist. Doping ist unanständig, Doping ist kriminell. Das Stichwort „Prothesen-Tüv“ klingt zwar nach Reglementierung, aber wenigstens nicht anklagend.

Es ist schon viel zu viel Zeit vergangen. Manche Fragen, die jetzt angesichts des spektakulären 8,24-Sprungs von Markus Rehm aufgeworfen werden, hätten schon geklärt sein können. DLV und DBS bekommen die Wucht der öffentlichen Debatte, die jetzt begonnen hat, voll zu spüren. Umso dringender ist es, dass die technischen und medizinischen Prüfungen gemeinsam mit den Prothesenherstellern rasch vorangetrieben werden.

Es gibt übrigens einen Fachmann, der dazu beitragen könnte, aber in diesem Fall wohl als befangen anzusehen ist: Markus Rehm. Beruflich ist er Meister der Orthopädietechnik.

Friedhelm Julius Beucher
Friedhelm Julius Beucher
© R/D

Der Autor ist Präsident des Deutschen Behindertensportverbands.

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