Kevin-Prince Boateng bei Hertha BSC: Ein buntes Jahr für das Chamäleon
Kevin-Prince Boateng will Verantwortung bei Hertha BSC übernehmen – und verspricht schon am dritten Trainingstag Überraschungen.
Am Freitagnachmittag stand in Neuruppin eine intensive Einheit an, mit vielen Läufen. Nach dem zweiten von drei Durchgängen nahm Kevin-Prince Boateng auf einer Kiste an der Mittellinie Platz. Das kam nicht überraschend. Pal Dardai hatte vorab angekündigt, der Neuzugang soll im Trainingslager, bei dem es stark im athletischen Bereich zur Sache geht, ein spezielles Programm für die Ü30-Fraktion absolvieren.
Zur Mannschaft hatte der Trainer von Hertha BSC gesagt, alle über 30 mögen sich wegen dieses individuellen Programms melden. Da mehrere erfahrene Spieler noch nicht dabei sind, ging nur Boatengs Finger nach oben. Seine Reaktion verriet er am Freitagmittag in einer Medienrunde lächelnd: „Ich freue mich drauf, denn es wird bestimmt weniger als bei den anderen.“ Bekräftigte aber ernsthafter, er müsse viel arbeiten.
Boateng plauderte am Freitag im Teamhotel auch über Franck Ribéry, mit dem er am Donnerstag telefoniert habe und der noch einiges vorhabe in seiner Karriere. Zu den Zukunftsplänen seines Halbbruders Jerome, an dem Hertha wohl auch Interesse hatte, könne er nichts sagen: „Wenn ich irgendwann Sportdirektor bin, kann ich darauf antworten.“ Angesprochen auf einen Eisbeutel, den er nach dem Training am Knie trug, sagte er: „Das wird noch öfter passieren. Ich bin 34.“
Aber der Mittelfeldspieler hatte auch zu vielen anderen Themen etwas zu sagen, beispielsweise zu den Strukturen im Team: „Es ist eine junge Truppe, die Führung braucht. Darauf freue ich mich auch.“ Dies war ein wichtiger Grund, warum Hertha Boateng nach 14 Jahren zurückgeholt hat. Er soll Präsenz zeigen in der Kabine. Weil Hierarchien in einer Mannschaft zu einem Gutteil über Erfolg und Misserfolg entscheiden. In der Hinsicht hatte Hertha in der vergangenen Saison riesige Probleme.
Am Ende habe die Mannschaft Charakter gezeigt, „aber in die Situation wollen wir nicht nochmal kommen“, sagt Boateng. Deswegen bräuchten die Spieler ein wenig Hilfe. Vom Trainer und auch „von mir, von einem erfahrenen Spieler, der weiß, in welcher Situation man was machen muss.“
Vier oder 34 Spiele? Boateng wagt keine Prognose
Wie viele Spiele er mache, dazu wagt Boateng keine Prognose: Vier seien ebenso möglich wie 34. Boateng ist bereit, die angedachte Rolle auszufüllen. Den Boss will er nicht raushängen lassen: „Ich bin nicht gekommen und sage, ich bin Prince Boateng, ich muss jedes Spiel spielen. Wenn ich das gemacht hätte, hätte ich woanders bleiben müssen."
Doch er wollte zurück. Zum Heimatverein, bei dem er all das erlernte, was ihn später unter anderem zum AC Mailand und dem FC Barcelona führte. Hertha hat er damals nicht im Guten verlassen. „Ich bin nicht nur weggegangen, ich wurde auch ein bisschen weggeschickt.“
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Der junge Kevin-Prince Boateng nahm es mit den Pflichten im Leben eines Fußballprofis nicht immer so genau. Der Boateng des Jahres 2021 ist ein ganz anderer. Beim ersten Training der Vorbereitung lief er ganz hinten Richtung Platz, knapp hinter den anderen. Und ging nach anderthalb Stunden auch als letzter. Lange nach den anderen. Weil er noch Autogramme schrieb und für Fotos bereitstand. Im Training war er voller Energie, grätschte öfter beim Spiel fünf gegen zwei. Im Test gegen Schwarz-Rot Neustadt setzte er gern die Hacke ein und zeigte mehrere Sololäufe.
Mit 20 hatte er Berlin verlassen. Spielte in großen Ligen, erreichte mit Ghana das WM-Viertelfinale. Wechselte aber auch „gefühlt alle sechs Monate“ den Verein. Nun reiche es. Er wolle seine Karriere bei Hertha beenden. Irgendwann.
Boateng liebäugelte schon länger mit einer Rückkehr nach Berlin
Der Countdown zur Rückkehr liest sich so: Vor fünf Jahren reifte der Wunsch. Vor vier Jahren hatte Dardai angeregt, Boateng zu holen. „Er hätte mich nur anrufen müssen“, sagt dieser. Vor anderthalb Jahren hat er mit dem damaligen Manager Michael Preetz verhandelt. „Der war nicht so überzeugt. Was auch okay ist. Er hätte mich nur mal zurückrufen können.“ Mit Fredi Bobic als neuem Geschäftsführer Sport kam es nun zu einem Ergebnis. Eines, das auch über die Stadt hinaus für außergewöhnlich großes Interesse sorgte. So widmete der „Spiegel“ Boateng jüngst drei Seiten.
Boateng sagt Sätze, die bei den Anhängern ankommen: „Der Fan trägt das Wappen auf der Brust, weil es sein Leben ist. Dafür musst du als Spieler arbeiten.“ Oder: „Wir haben das Glück, als echte Berliner, dass wir Chamäleons sind.“ Er könne sich anpassen.
Die Verweise auf die Heimat passen zur neuen Strategie des Vereins. Bobic sagt: „Die Fans wollen natürlich Spieler sehen, die hier groß geworden sind.“ Nach der Verpflichtung veröffentlichte Hertha ein Video von einer Tour zu einem Bolzplatz. Unterlegt mit dem Lied „Gewachsen auf Beton“ von Boatengs Bruder George. Er habe weitere Dinge vor in Zukunft, auch neben dem Platz, sagt Kevin-Prince Boateng: „Es wird kleine Überraschungen geben. Es wird ein buntes Jahr.“