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Nur nach Hause geh'n sie nicht, die treuen Hertha-Seelen.
© imago

Hertha BSC im Wandel der Zeit: Drum liebt man Dich, drum hasst man Dich

Berlins bester Fußballklub wird oft verkannt, dabei ist er ganz liebenswert. Kurios ist nur die Beziehung zu seiner Stadt. Ein Blick zurück nach vorne.

Mensch Hertha, wie haste Dir verändert. Richtig reich biste auf einmal, seit dieser neue Investor Dich entdeckt hat, und richtig viel vor haste. Ein eigenes neues Stadion soll es sein. Raus aus der ollen Riesenschüssel, in der Deine Fans jahrzehntelang gefiebert und gefroren und geweint haben, rein in die schöne neue Fußballwelt. Wo soll das hinführen? Und bleibst du dann noch die Alte, Hertha?

Dieses Gefühl, wenigstens das ist da wie eh und je: Wer es mit Dir hält, der traut den Veränderungen nie so ganz. Der hat zu viel erlebt in all den Jahren, und unsere Meckerei ist schließlich das letzte, was wir Berliner uns nehmen lassen. Aber bisher ist es ja noch immer irgendwie gut gegangen. 127 Jahre lang nun schon. Fast immer Berlins größter Verein und gleichzeitig, davon zeugt selbst Liedgut, fast immer das Berliner Sorgenkind. Drum liebt man Dich, drum hasst man Dich. Dabei stand es doch am Anfang so gut um Dich.

Damals, als die Hertha so jung und dynamisch war, dass andere ihr nur hinterherliefen. Kaum einer kann sich heute noch aus den eigenen Erlebnissen daran erinnern. „An die späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre, als der Berliner Norden rot war und die Zeiten für die blau-weiße Hertha ein bisschen golden schimmerten, weil der Klub sechs Mal in Folge im Endspiel um die deutsche Meisterschaft stand“, wie der Tagesspiegel vor zwei Jahren anlässlich des 125-jährigen Vereinsjubiläums schrieb. Sechs Mal in Folge. Zwei Meistertitel!

Vielleicht rühren die stets ein wenig zu hohen Ansprüche an die Mannschaft aus diesen Zeiten, obwohl das natürlich Unfug ist, weil Hertha von damals und Hertha von heute ungefähr so viel miteinander zu tun haben wie Konrad Adenauer mit Angela Merkel. Die Wahrheit ist diese: Sah man früher wirklich noch ganz Berlin vergnügt zur Plumpe zieh'n, diesem kuschligen vereinseigenen Platz am Gesundbrunnen mit Zauber- und Uhrenberg, haben später manchmal nicht mehr als ein paar tausend treue Seelen den Weg nach Westend in die Riesenschüssel Olympiastadion gefunden.

Abstieg, Bundesliga-Skandal und noch mehr Abstiege. Schon klar, dass man damit nicht viele neue Freunde findet und so manch alte verliert. Aber man kann es auch ganz anders sehen. Die Aufs und Abs, die damit verbundenen Schuldenberge, dieses Unperfekte, das Unfertige: Fügt sich das alles nicht ganz wunderbar in diese Stadt? Die Frage ist nur, warum einige Einheimische und noch mehr Zugezogene Berlin so viel anziehender finden als Berlins besten Fußballverein. Langweilig, grau und piefig halten ihn die einen, und die anderen machen sich darüber lustig, wie überheblich, ungelenk und aufgesetzt er daherkommt. Eine komische Kiste ist das, aus der Hertha selbst nie wirklich schlau geworden ist.

Schön war's, schön skurril

Bis heute, daran hat sich nicht viel verändert, fühlt sich der Verein zuweilen unverstanden und ungeliebt. Oder, Hertha? Ist ja auch nur schwer vorstellbar, dass sich eine Stadt und ihr Verein in irgendeinem anderen Bundesliga-Standort, in Dortmund oder Mönchengladbach, gleichzeitig noch so nah und doch fremd sein können. „Eine enge Bindung entsteht in Phasen, in denen man erfolgreich ist“, sagt der jetzige Manager Michael Preetz. So gesehen müssen die 70er Jahre mit der Fast-Meisterschaft so großartig gewesen sein wie die 1980er Jahre eine Tortur für Hertha waren. Bis in die Drittklassigkeit rutschte sie da ab und spielte in der West-Berliner Oberliga gegen den SC Gatow und Rapide Wedding, was sich die jüngeren Anhänger wahrscheinlich in ihren schlimmsten Träumen nicht mehr vorstellen können. Ging ja danach zum Glück auch Stück für Stück wieder aufwärts.

Und irgendwie schön war’s auch, schön skurril. Davon jedenfalls zeugen die Erzählungen der treuesten aller treuen Hertha-Seelen: Weißte noch, wie wir 1994 das sensationelle 5:1 gegen den SV Meppen im leeren Oly gefeiert haben? Zwei Mal Deffke, zwei Mal Lünsmann, einmal Ramelow. Zweite Liga, 3900 Zuschauer. Und mindestens 7800 können davon erzählen, wie geil es war. Schuss, Tor, Hurra. Auch dit is Berlin, wa?!

Die wirklich große Nummer kam dann aber später – mit Manager Dieter Hoeneß und dem Geld des Vermarkters Ufa. Zu einer Zeit, in der ein Jungunternehmer namens Lars Windhorst an der Seite von Kanzler Helmut Kohl als das neue deutsche Wirtschaftswunder gefeiert wurde, kämpfte sich ein Verein aus Gesundbrunnen in Charlottenburg zurück bis an an die Spitze. Dem Aufstieg in die Bundesliga folgte in schwindelerregender Rasanz der Kampf mit den Besten der Besten.

Die urige Hertha in einer Liga mit London

Auf einmal spielte Hertha in der Champions League, inklusive Schlange stehen für Tickets in der Riesenschüssel. Das war ein Fest. Wisst ihr noch, wie man beim Sieg gegen den FC Chelsea vor lauter Gedränge in der Ostkurve kaum etwas sah? Und gegen den FC Barcelona, als man im dichten Nebel gar nichts mehr sah? Verdammt lang her. Und verdammt problematisch, denn die vormals bodenständige Hertha flog plötzlich so hoch, dass der Absturz auch finanziell beinahe im Totalcrash geendet wäre. Hertha blieb nämlich einfach – Hertha, ei ei ei: Abstieg, Aufstieg, Abstieg, Aufstieg.

Kein Wunder, dass einem jetzt angst und bange werden kann, wenn der neue Großinvestor Lars Windhorst von einem „Big City Club“ schwadroniert. Die urige Berliner Hertha in einer Liga mit Madrid, London und Paris. Nun mal halblang und schön behutsam. Wir Berliner und Brandenburger möchten erst einmal über das neue Stadion reden. Scheint ja eine größere Baustelle zu sein. Hertha und die Stadt: diesmal überkreuz. Dabei wäre es langsam mal Zeit für eine kleine Aussöhnung. Schließlich könnte es so schön werden wie lange nicht mehr. Endlich – nach mehr als 40 Jahren – steht wieder ein Berliner Derby in der Bundesliga an. Dazu kommen die tollen Aussichten – sportlich, wirtschaftlich und sowieso.

Mensch Hertha, wie haste Dir verändert. Richtig reich biste auf einmal. Da fängt man fast wieder an zu träumen, so wie Dein früherer Manager Dieter Hoeneß einst. Einmal im Cabrio mit der Meisterschale durchs Brandenburger Tor! Sollst der Stolz von Spreeathen sein! Aber wir wollen mal nicht übertreiben. Fürs Erste reicht der Pokal. Und wenn nicht, is ooch ejal.

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