zum Hauptinhalt
Mit wehender Fahne bei Olympia 1988 in Seoul. Die Nachwirkungen des flächendeckenden DDR-Dopings zeigen sich bis heute.
© picture alliance/dpa

Verein Doping-Opferhilfe (DOH): Doping in der DDR: Wer sind die Opfer und wer die Täter?

Der Streit um die Doping-Opferhilfe ist auch eine Glaubensfrage. Es haben sich Fronten gebildet. Es geht um Schuld und Unschuld.

Es ist schon mehr als drei Jahrzehnte her, da war Jörn König eines von vielen vielversprechenden Talenten des DDR-Sports. Etwas mehr als das sogar. Im Jahr 1984 wurde er DDR-Vizemeister im Schwimmen, er war ein potenzieller Kandidat, um Medaillen im Staatsauftrag holen zu können. Doch vielleicht kam es nicht dazu, weil er es nach eigener Aussage ablehnte, ein bisschen nachzuhelfen. Die Rede ist natürlich vom Doping. „Man musste kein Doping nehmen in der DDR, man konnte es ablehnen“, sagt König: „Wenn die Leistung stimmte, war das in Ordnung. Wenn nicht, war man halt raus aus dem Leistungssport. Mehr aber auch nicht.“ Heute sitzt König für die AfD als Obmann im Sportausschuss des Bundestages und er ist auch wegen seiner eigenen Erfahrungen der Ansicht, dass die Doping-Opferhilfe, also die Entschädigungszahlungen an Betroffene des DDR-Leistungssports, nicht mehr weiter aufgestockt werden sollte.

Es war großes Glück für König, dass er – sollte seine Version stimmen – auf die gewinnbringenden Dopingmittel verzichtete. Das staatlich verordnete Doping hatte Folgeschäden für tausende Sportlerinnen und Sportler. Und anders als das beim AfD-Mann König der Fall war, wussten damals viele der Betroffenen nicht, was sie einnahmen. Geschweige denn, was die vermeintlichen Wundermittel für sie bedeuteten. Aber wie viele waren ahnungslose Opfer eines pervertierenden Sportsystems und wie viele waren Täter, weil sie wissentlich dopten? Und kann man bei Letzteren überhaupt von Tätern sprechen? Schließlich waren sie auch durchaus den Zwängen des autoritären Sportsystems ausgeliefert.

Zweifel an der Arbeit der Opferhilfe

Das sind die Fragen, die seit Monaten schon die deutsche Sportpolitik beschäftigen und die den Verein Doping-Opferhilfe (DOH) in Verruf zu bringen drohen. Der war im Jahr 1999 gegründet worden und erkämpfte Einmalzahlungen in Höhe von 10 500 Euro für die Opfer, von denen es laut DOH 15 000 geben soll. Das Geld stammt aus dem Bundeshaushalt, der kürzlich die Mittel auf 13,65 Millionen Euro erhöht hat. Doch schon vor der Aufstockung hatte es Zweifel an der Arbeit der Opferhilfe gegeben.

Es bildete sich eine Gruppe um den Molekularbiologen Werner Franke, zu der auch die ehemalige westdeutsche Leichtathletin Claudia Lepping gehört. Die Gruppe dringt auf eine neue wissenschaftliche Begutachtung der Anträge. „Es geht hier um viele Millionen Steuergelder“, sagt Lepping. „Wir wollen, dass die Richtigen das Geld bekommen.“ Ihr Vorwurf: Die Zahlen sind zu hoch, weil die Opfer nicht alle Opfer sind. „Wer heute aussagt, er habe damals seine Leistungssteigerung und die Urin-Kontrollen vor Auslandsreisen partout nicht mit den als ,blauer Blitz’ bekannten Anabolika in Verbindung bringen können oder wollen, kann sich heute als unwissentlich zwangsgedopter Sportler um Entschädigung bemühen“, sagt sie.

Streitbarer Forscher. Der Molekularbiologe Werner Franke war viele Jahre Unterstützer des Vereins Doping-Opferhilfe (DOH).
Streitbarer Forscher. Der Molekularbiologe Werner Franke war viele Jahre Unterstützer des Vereins Doping-Opferhilfe (DOH).
© Paul Zinken/dpa

Lepping hat vor wenigen Tagen im Sportausschuss zusammen mit dem neuen DOH-Vorsitzenden Michael Lehner vorgesprochen. Zumindest die SPD-Fraktion um Dagmar Freitag strebt eine Evaluierung des bisherigen Verfahrens an. Der springende Punkt sei, sagt Freitag, dass die DOH-Seite bei der genannten Zahl von 15 000 Doping-Opfern auch mögliche Opfer der zweiten Generation im Blick habe, also die Kinder der Betroffenen. „Frau Lepping hat aus meiner Sicht durchaus nachvollziehbar dargestellt, dass diese Zahl einer Überprüfung bedarf. Deswegen wurde von der SPD-Fraktion angeregt, eine unabhängige Studie über die möglichen Schäden in der zweiten Generation in Auftrag zu geben“, sagt Freitag. Hier könne als Auftraggeber das Bundesinstitut für Sportwissenschaft infrage kommen.

Es geht um die großen moralischen Fragen

Es ist ein sportpolitisches Thema mit Brisanz. Es geht um die großen moralischen Fragen, um Schuld und Unschuld. Die Wucht des Themas bringt es mit sich, dass sich Fronten gebildet haben zwischen denen, die früher gemeinsam um Entschädigungszahlungen gekämpft haben, zwischen politischen Gruppen und auch zwischen den Medien, die sich deutlich in die eine oder andere Richtung positionieren. Die eine Seite sieht die in ihren Augen verdienstvolle Sache, die Anerkennung und finanzielle Entschädigung der Opfer des DDR-Leistungssports, diskreditiert.

Die andere glaubt, dass naiv öffentliche Mittel auch an frühere Doping-Betrüger verteilt werden. Zu dieser Gruppe gehört auch die AfD, die gerne das Narrativ vom übertriebenen Gutmenschentum bedient. Aber es wäre falsch, Franke und Co. nun in die Ecke der neuen Rechten zu stellen. Vielmehr gibt es parteiübergreifend immer mehr Stimmen, die verlauten, dass die Doping-Opferhilfe einer Neuregelung bedarf.

Der pensionierte Potsdamer Sporthistoriker Hans Joachim Teichler etwa hat sich bisher herausgehalten aus der Debatte. Dabei gibt es kaum jemanden, der einen besseren Überblick über das finstere Panorama des DDR-Leistungssports hat. Teichler hat dazu Berge von Akten gelesen und Bücher darüber geschrieben. Er hat aus Quellenliteratur erfahren, wie der langjährige DDR-Sportchef Manfred Ewald es „aufgrund des jungen Alters der Schwimmer“ nicht für notwendig erachtete, „dass sie bereits alles wissen“. Gemeint war natürlich die Verabreichung von Dopingmitteln an Minderjährige. „Ihnen ist grausames Unrecht widerfahren“, sagt Teichler. Manchmal seien sogar die Eltern daran mitbeteiligt gewesen, erzählt er. So hätten sich einige Eltern darüber beschwert, dass ihre Kinder eben keine Dopingmittel verabreicht bekamen. Auch habe er Klagebriefe von Sportlerinnen in die Hände bekommen, die verbittert waren, nicht die gleichen Dopingmittel bekommen zu haben wie zum Beispiel die erfolgreiche Leichtathletin Marita Koch.

Unabhängiges Gremium sollte entscheiden

Dem Tagesspiegel sagt Teichler, dass er die Arbeit des DOH höchst schätze. „Aber die Zahl von 15 000 Doping-Opfern ist klar zu hoch gegriffen. Ich komme auf 13 000 bis 14 000 Doper insgesamt – und von denen waren bestimmt nicht alle Opfer.“ Der Einwand, dass die Doping-Opferhilfe in ihren Zahlen auch die Opfer der zweiten Generation einberechnet hat, ist für ihn eine Frage der Auslegung des Opferbegriffs. „In dem Fall wäre das eine sehr weite Auslegung“, sagt er. Teichler regt an, dass ein unabhängiges Gremium von Gutachtern über die Anträge auf die Einmalzahlungen entscheidet und nicht wie bisher wenige Sportpsychologen, die auch noch dem DOH nahestehen. Das sieht auch Sportausschuss-Vorsitzende Dagmar Freitag so: „Eine solche Studie über die möglichen Schäden in der zweiten Generation sollte einen interdisziplinären Ansatz verfolgen, so dass Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachbereichen daran beteiligt wären.“

Ob die Vergabepraxis der Gelder für die potenziellen Opfer des DDR-Staatsdopings neu geregelt wird, ist völlig offen. Die treibenden Akteure in der Frage, also der DOH sowie die Gruppe um Franke und Lepping, sind gänzlich zerstritten. Dabei schwelt der Konflikt offenbar nicht nur um Sachfragen, sondern auch um persönliche Belange. Franke selbst war viele Jahre ein Unterstützer des Vereins, fertigte für die DOH viele Gutachten an. Doch mit der langjährigen Vorsitzenden des Vereins, Ines Geipel, überwarf er sich. Die beiden trugen das in aller Öffentlichkeit aus. Und diese Ebene in der schwierigen Debatte braucht nun wirklich kein Mensch. Am allerwenigsten die vielen Geschädigten des DDR-Leistungssports.

Zur Startseite