Alexander Nouri von Hertha BSC im Interview: „Die Zeit mit Jürgen war unheimlich inspirierend“
Alexander Nouri ist neuer Cheftrainer von Hertha BSC. Im Interview spricht er über Jürgen Klinsmann, seine Vorliebe für den spanischen Fußball – und Buxtehude.
Alexander Nouri, 40, ist nach dem Abgang von Jürgen Klinsmann zum neuen Cheftrainer von Hertha BSC aufgestiegen. An diesem Samstag (15.30 Uhr) trifft er mit den Berlinern in seinem ersten Heimspiel auf den 1. FC Köln. Vor seinem Engagement bei Hertha hat Nouri die U 23 und die Profis von Werder Bremen trainiert und den Zweitligisten FC Ingolstadt.
Herr Nouri, lassen Sie uns über Buxtehude reden!
(Lacht.) Buxtehude, wo die Hunde mit dem Schwanz bellen.
Sagt man das so?
Ja. Wo Hase und Igel sich Gute Nacht sagen. Die meisten schmunzeln, wenn sie Buxtehude hören.
Was ist Buxtehude für Sie?
Eine ganz wichtige Basis. In Buxtehude liegen meine Wurzeln. Ich bin da geboren, aufgewachsen, und meine Eltern leben heute noch dort, ganz bescheiden.
Haben Sie es gern beschaulich?
Ich fühl’ mich auch in Berlin sehr wohl. Berlin find’ ich super. Eigentlich bin ich eher ein Stadtmensch.
Was machen Sie in Berlin, wenn Sie mal Zeit für sich haben und vom Fußball abschalten wollen?
Am vergangenen Sonntag habe ich mich ins Auto gesetzt und bin nach Weyhe zu meinen Kindern gefahren. Ich habe ein paar Stunden mit ihnen verbracht und bin abends wieder zurück. Natürlich gehe ich auch mal mit Freunden in Berlin essen, aber den Ausgleich suche ich eher bei meiner Familie. Das ist das, was Herz und Seele berührt. Da geht es Ihnen wahrscheinlich nicht anders.
Was macht es mit den Leuten in Buxtehude, wenn sie immer wieder hören, dass sie angeblich am Ende der Welt leben?
Keine Ahnung. Fernab von allem ist der Ort ja nun auch nicht. Bis Hamburg sind es 30 Kilometer. Als Kind und Jugendlicher war ich viel in Hamburg unterwegs, habe da auch Fußball gespielt, bevor ich mit 15 zu Werder nach Bremen gewechselt bin. Für mich ist es schwierig, mein Heimatgefühl nur anhand von Orten zu definieren, weil du als Trainer einfach viel unterwegs bist. Selbst wenn du keinen Job hast.
Inwiefern?
In der Zeit ohne Engagement bin ich viel gereist, habe bei anderen Trainern zugeschaut und mir viel angesehen. Für mich ist es immer wieder inspirierend, mich mit Kollegen auszutauschen.
Wo waren Sie überall?
Ich war viel in Spanien unterwegs, bei Athletic Bilbao, in Villarreal und beim FC Valencia. Da bekommt man schon einen intimen Einblick.
Warum gerade Spanien?
Weil ich den spanischen Fußball mag. Und weil ich auch die Ausbildungsphilosophie mag. Die Rolle des Trainers ist dort anders definiert als bei uns. Du bist nicht nur Trainer, du bist auch Ausbilder, Erzieher. Die Spanier arbeiten viel mit Werten, mit Persönlichkeitsentwicklung. Das spiegelt sich auch in den Mannschaften wider. Wenn man die Jungs in der Arena spielen sieht, erkennt man ganz viel von dem, was in der Akademie ausgebildet wird.
Was nimmt man von generell einem solchen Aufenthalt mit?
Ganz viel. Und auch ganz unterschiedliche Dinge. In Bilbao zum Beispiel war es beeindruckend zu sehen, wie der Klub es schafft, mit sehr limitierten Ressourcen zu arbeiten.
Weil der Klub nur Spieler aus dem Baskenland verpflichtet.
Genau. Das Einzugsgebiet mit dreieinhalb, vier Millionen Menschen ist ähnlich wie hier in Berlin. Allein aus dieser Ressource rekrutiert Athletic die Spieler für die Akademie und aus der Akademie schließlich die Spieler für die Profimannschaft. Die Durchlässigkeit ist einfach überragend. In den vergangenen zehn Jahren hat es der Klub sieben oder acht Mal in den Europapokal geschafft. Wahnsinn.
Was davon können die Deutschen für ihr eigenes System übernehmen?
Vieles wäre übertragbar, aber natürlich nicht alles. Wir haben auch besondere Tugenden, die für uns wichtig sind. In Bilbao wird ein Aspekt besonders großgeschrieben: Das ist, eine gewisse Lernfähigkeit zu konservieren, bis ins hohe Spieleralter. Bei Athletic sagen sie: Wenn ein Spieler lernfähig bleibt, bleibt er auch offen dafür, sich weiter zu entwickeln.
Wie geht das?
Indem die Spieler ganz früh für Kritik sensibilisiert werden – und indem sie lernen, Kritik als etwas Positives zu betrachten. Die Trainer sind dazu da, diesen Prozess zu moderieren. Es gibt auch einen Psychologen, der wiederum die Trainer schult und die Kinder schon ab der U 11 dazu anhält, sich gegenseitig zu spiegeln. Sie sollen lernen, sich zu kritisieren, aber nicht, um sich gegenseitig niederzumachen, sondern um sich zu helfen. In Deutschland habe ich so etwas noch nicht erlebt. Wenn dir hier jemand etwas Kritisches sagt, ziehst du dich eher in dein Schneckenhaus zurück.
Holen Sie sich auch als Trainer Feedback von außen?
Ich finde das total wichtig. 2018 habe ich bei den Seattle Sounders hospitiert. Da hat der Trainer immer einen großen Kreis um sich versammelt, aus dem er sich Informationen geholt hat. Auch in den Besprechungen vor einem Spiel. Da war ein U-23-Trainer dabei, es waren Leute von der medizinischen Abteilung dabei, manchmal bis zu zehn Leute, und jeder sollte seine potenzielle Startelf skizzieren. Für mich war das etwas Besonderes, weil ich das so nicht kannte. Der Trainer hat mir gesagt, dass dies für seinen Gesamteindruck sehr wichtig sei. Außerdem sollte jeder das Gefühl haben, dass er ein Teil des Ganzen ist und sich einbringen kann.
Sie waren auch 1999 schon als Spieler in Seattle. Wie sind Sie damals dort gelandet?
Als Jungprofi bei Werder Bremen bin ich ein Jahr wegen einer schweren Verletzung ausgefallen und dann von Felix Magath nach der Saisonvorbereitung zusammen mit Razundara Tjikuzu und Christoph Dabrowski zu den Amateuren geschickt worden. Das war damals keine U 23, da spielten gestandene Leute wie Thomas Wolter und Uwe Harttgen. Als Rekonvaleszent hatte ich wenig Selbstvertrauen und entsprechend wenig Aussicht auf Spielpraxis. In dieser Situation kam das Angebot aus Seattle. Okay, habe ich gedacht, was habe ich denn zu verlieren? Außerdem bin ich sehr amerikaaffin, weil viele Verwandte von mir, meine Oma, Onkels und Tanten, in den USA lebten.
Sie sind also nicht wegen der Musik nach Seattle?
Nein, aber die Musikszene ist natürlich megabeeindruckend. Die Heimat von Jimi Hendrix und Kurt Cobain. Seattle ist sowieso eine total faszinierende Stadt. Auch mit der gewaltigen Natur rundherum. Was meine persönliche Entwicklung betrifft, war Seattle das Beste, was mir damals passieren konnte.
Welche Trainer haben Sie am meisten geprägt?
Schwierige Frage. Eigentlich muss ich da meinen Vater nennen, der mich auf der ganzen Reise begleitet und bestärkt hat. Sowohl als Spieler bis zu meinem Wechsel ins Nachwuchszentrum von Werder Bremen als auch später als Trainer, weil er selbst Trainer war.
Was war er für ein Trainer?
Ein sehr empathischer. Aber auch ehrgeizig und diszipliniert. Er wollte immer erfolgreich sein.
Wie schwer war es, zwischen seinen verschiedenen Rollen als Vater und als Trainer zu trennen?
Es war zumindest nicht immer einfach, vor allem im Teenageralter nicht, als ich U-Nationalspieler und dadurch auf dieser Leistungsschiene unterwegs war. Irgendwann verschwimmt das: Was ist normale väterliche Zuneigung? Was ist Anerkennung für deine Leistung als Fußballer? Aber ich glaube, dass wir das echt gut gemanagt haben. Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich sehr viel Liebe und sehr viel Zuneigung erfahren habe. Aber du willst natürlich auch gut spielen, um von deinem Vater ein entsprechendes Feedback zu bekommen.
Wurde der Fußball auch in die Familie hineingetragen?
Der Fußball war bei uns schon omnipräsent, auch im normalen Familienleben. Ich glaube, meine Schwester hatte damit zu kämpfen, weil natürlich ein starker Fokus auf meinen Weg und meinen Werdegang gerichtet war. Vielleicht auch ein bisschen unbewusst. Meine Schwester ist drei Jahre älter, sie konnte andere Dinge machen, die ich nicht machen konnte. Trotzdem glaube ich, dass sie ein Stück weit zurückstecken musste.
Ihr Vater war Chemiker, hat als Wissenschaftler an der Uni gearbeitet. Hat man das in seiner Trainertätigkeit gemerkt?
Weniger. Mein Vater ist jemand, der sehr pragmatisch ist. Was ich von ihm übernommen habe, ist sein Arbeitsethos. Er war nie materialistisch und ist es nach wie vor nicht. Mein Vater fährt mit dem Fahrrad überall hin, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, oder er geht gleich zu Fuß. Das hat mir sehr imponiert und mich auch geprägt. Meine Mutter kommt als Obergerichtsvollzieherin aus einer anderen Ecke. Dadurch sind bei uns zu Hause zwei Welten aufeinandergeprallt. Mein Vater hat mit Geld und Finanzen nichts am Hut, kann damit auch nichts anfangen. Meine Mutter war eher diejenige, die den Laden zusammengehalten hat.
Wie haben Sie eigentlich Jürgen Klinsmann kennengelernt?
Durch Oliver Bierhoff. Nach meiner Trainerstation bei Werder Bremen wollte ich den Fußball drüben in den USA noch einmal neu kennenlernen, im Vergleich zu meinen Erfahrungen als Spieler rund um die Jahrtausendwende. Für mich war also interessant: Was kann ich davon für meine Arbeit nutzen? In diesem Zusammenhang habe ich den Kontakt zu Jürgen aufgebaut; das war 2018.
Ihre Zusammenarbeit bei Hertha hat nur knapp elf Wochen gedauert. Was hat Ihnen in dieser Zeit am meisten an Klinsmann imponiert?
Einfach seine Begeisterungsfähigkeit. Sein positives Mindset. Seine Ideen. Das zu erleben war sehr spannend. Überhaupt: Die Zeit mit Jürgen habe ich als unwahrscheinlich inspirierend empfunden.
Klinsmann hat bei seinem Amtsantritt erzählt, dass er verschiedene Trainerteams in der Hinterhand gehabt habe, eins für Deutschland, ein anderes für einen möglichen Job in Lateinamerika. Wussten Sie, dass Sie bei ihm auf der Liste standen?
Nö. (Lacht.) Das kam für mich überraschend. So intim war unser Kontakt bis dahin nicht. Und Jürgen konnte ja selbst nicht absehen, dass er bei Hertha als Trainer einspringt und auf die Schnelle ein Team zusammenstellen muss. Er hat mich angerufen und gefragt, ob ich ihn bei dieser unglaublich spannenden Aufgabe unterstützen möchte.
Viele Spieler haben von Klinsmanns Aura und seiner Ausstrahlung geschwärmt. Wie wollen Sie die Lücke füllen, die Klinsmann durch seinen Abgang hinterlassen hat?
Zum Glück muss ich sie gar nicht füllen. Den Anspruch habe ich nicht. Das wäre ja auch vermessen. Ich möchte, dass wir als Team arbeiten und als Team erfolgreich sind. Authentizität ist mir sehr wichtig.
Wie war es für Sie, plötzlich als Cheftrainer vor der Mannschaft zu stehen?
Es war für alle eine schwierige Situation. Auch für uns kam das total überraschend, vor allem in dieser Endgültigkeit. Aber wir hatten ja auch schon vorher gewisse Abläufe und bestimmte Verantwortungsbereiche. Wir haben einfach die gewohnten Abläufe beibehalten. Neu ist, dass es für die Spieler eine andere Bezugsperson gibt.
Haben Sie nach Klinsmanns Rücktritt zur Mannschaft gesprochen?
Natürlich. Muss ich ja.
War das eher eine programmatische Grundsatzrede oder der Versuch, ganz normal weiterzumachen?
Programmatische Dinge sind schwierig in einem Geschäft, in dem Emotionen eine große Rolle spielen. Davon halte ich wenig. Du musst eine gewisse Authentizität haben. Du kannst dir kein Buch nehmen und sagen: So, wir spulen jetzt dieses oder jenes Programm ab, so wie es Piloten tun, die vor dem Start ihre Checkliste abarbeiten. Aber für mich ist das ganz normal. So wie ich bin.
Ärgert es Sie eigentlich, dass alle Welt davon ausgeht: Der Nouri ist im Sommer bei Hertha eh wieder weg?
Überhaupt nicht. Ich bin da total entspannt. Weil ich das Geschäft kenne. Es gibt weder eine Endgültigkeit noch eine große Planungssicherheit. Das weiß man einfach. Wir wollen jeden Tag all unsere Energie in den Job legen und uns nicht von Dingen ablenken lassen, die wir sowieso nicht beeinflussen können. Niemand weiß, wohin das am Ende führt. Das ist vielleicht auch das Schöne.