DFB-Trainer Frank Kramer vor Herthas Spiel in Barcelona: "Die Youth League ist in höchstem Maße belastend"
Kramer spricht über Herthas Rolle in der Youth League, Absagen an das Nationalteam und Fehlzeiten in der Schule.
Herr Kramer, hat Ihnen der DFB eine schöne Dienstreise nach Barcelona spendiert?
Nach Barcelona? Warum?
Weil die U 19 von Hertha BSC dort am Dienstag in der Youth League (Beginn 18 Uhr, live im Bezahlstream von Sport 1+) spielt.
(Lacht) Nein, Sie wissen doch, der DFB muss sparen. Spaß beiseite: Ich bin anderweitig verplant, werde das Spiel aber verfolgen und Hertha die Daumen drücken.
Bei Herthas Spiel gegen Paris St. Germain waren Sie aber im Stadion.
Das stimmt.
Wie fanden Sie das Spiel?
Man hat in der ersten Halbzeit schon gesehen, dass die Franzosen den Hertha-Jungs spieltechnisch, hinsichtlich der Beweglichkeit am Ball und auch in Sachen Tempo mit dem Ball voraus waren – obwohl deren Spieler im Schnitt deutlich jünger waren. Aber: Hertha hat sich reingebissen. Man kann sich auch durch Organisation, Disziplin und unbändigen Willen Chancen erarbeiten. Hertha hat die Franzosen hartnäckig bearbeitet und sie dann im Laufe der zweiten Halbzeit aufgefressen. Als PSG nicht mehr so zielstrebig war und nicht mehr so konsequent nachgesetzt hat, war die Berliner Mannschaft da. Das hat mich unheimlich gefreut – weil sich Hertha das mit viel Willen erarbeitet hat. Und weil man sieht, dass das auch gegen individuell stärkere Mannschaften mal möglich ist.
Dabei ist Hertha in der A-Jugend-Bundesliga aktuell nur Siebter.
Sie dürfen nicht vergessen, dass in der Youth League drei Spieler aus dem 99er-Jahrgang auf dem Platz stehen dürfen, der im vergangen Jahr Deutscher Meister geworden ist. Die drei helfen der Mannschaft natürlich extrem und erhöhen das Niveau. Das sind einfach Korsettstangen, die dem Team Sicherheit und Stabilität geben. Und sie bringen eine gewisse Körperlichkeit mit. Aber insgesamt hat auch ein Verein wie Hertha mal den einen oder anderen Jahrgang, in dem nicht gleich sieben, acht Nationalspieler stehen.
Wie viele Herthaner stehen in Ihrem Kader für die beiden anstehenden U-18-Länderspiele gegen Frankreich?
Keiner.
Keiner?
Ja, ist halt so. Ich finde, dass es Julian Albrecht gegen PSG wirklich gut gemacht hat. Aber ich bin sehr viel in Deutschland unterwegs und wenn ich Julian mit anderen Jungs vergleiche, zählt er definitiv zu denen, die im Blickfeld sind, aber eben nicht zu denen, die in diesem Jahrgang momentan den Takt vorgeben. Dahin kann er natürlich noch kommen. Julian ist 17. Er ist ein guter Junge, der arbeiten will. Und er bringt einiges mit. Er wird sich weiter entwickeln. Das gilt auch für Jonas Michelbrink. Aber Jonas muss sich erstmal weiter an die Anforderungen in der U 19 adaptieren und bei der Hertha eine dominante Rolle einnehmen.
Was kann der deutsche Fußball insgesamt aus Herthas Erfolg gegen PSG ziehen?
Der deutsche Fußball muss, gerade für den Jugendbereich, herausziehen, dass wir einigen Nationen unterlegen sind, was die individuelle Klasse der Spieler betrifft. Engländer, Franzosen, Spanier, Portugiesen, Holländer sind im Moment offensichtlich in einigen Bereichen weiter als wir. Aber wir müssen auch daraus lernen, dass wir uns nicht zu schade sein dürfen, es auf andere Art und Weise zu bewerkstelligen. Da sind wir dann wieder bei den guten, alten deutschen Tugenden, die wir, ohne uns dafür zu schämen, wieder verstärkt ausbilden und reinwerfen müssen. Zudem müssen wir uns wieder in den fußballerischen Basics verbessern.
Hertha trifft nun auf den nächsten europäischen Topklub. Sind die Voraussetzungen gegen Barcelona ähnlich wie gegen PSG?
Nein. Das wird noch mal einen Tick schwerer. PSG hat teils mit Jungs des 2002er-Jahrgangs gespielt, mit ganz jungen Füchsen also. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Barcelona das auch machen wird und damit das Risiko eingeht, schon im Achtelfinale aus dem Wettbewerb zu fliegen. Barça hat diesen Wettbewerb, der erst fünf Mal ausgetragen wurde, genau wie Chelsea schon zwei Mal gewonnen. Sie sind Titelverteidiger und Dauervertreter im Final Four. Selbst wenn die Ausbildung im Vordergrund steht, geht es auch darum, die gute Arbeit nach außen zu dokumentieren. Und das funktioniert vor allem über Erfolge.
Das Fehlen in der Schule? "In England, Spanien oder Portugal mag das niemanden interessieren, aber in Deutschland ist das ein echtes Problem."
Die Youth League stand anfangs in der Kritik. Wie sehr hilft sie bei der Ausbildung?
Natürlich ist die Youth League sportlich total reizvoll. Erst PSG, dann Barça: Aus solchen Vergleichen lernen Herthas Jungs unheimlich viel, daran wachsen sie. Für die Spieler und für die Vereine ist das absolut überragend.
Aber?
Was da organisatorisch abgeht, ist höchst bedenklich. In der Gruppenphase sind die Jungs durch die Auswärtsspiele dreimal zwei Tage, manchmal sogar drei Tage raus aus der Schule. Da sind die Heimspiele und die weiteren Runden noch gar nicht eingerechnet. Und wir reden hier bei vielen Spielern vom Abiturjahrgang. Allein durch die Youth League entstehen unglaubliche Fehlzeiten. In England, Spanien oder Portugal mag das niemanden interessieren, aber in Deutschland ist das ein echtes Problem. Hinzu kommt die unglaubliche Belastung durch die Spiele und die Reisen. Das ist schon extrem. Deshalb halte ich das ganze Konstrukt für ein riesiges Problem. So, wie der Wettbewerb jetzt ist, ist er für deutsche Jugendliche in höchstem Maße belastend. Sie hätten im November, Dezember mal die Spieler sehen sollen, die in der Youth League am Start waren. Die Jungs gingen am Stock. Die waren komplett durch. Ich finde nicht, dass dieser Aufwand durch den sportlichen Mehrwert kompensiert wird.
Das sind deutliche Worte.
Passen Sie auf: Wir haben in der U 18 nicht wirklich viele Lehrgänge mit der Nationalmannschaft. Ich nenne jetzt keine Namen, aber mir haben schon Spieler mit der Begründung abgesagt, dass sie sich das schulisch nicht leisten können. Ich habe sie dann gefragt: Und wie oft bist du schon bei der Youth League weggeblieben? Die Antwort war: Ja, gar nicht. Die Jungs sagen der Nationalmannschaft, in der sie auch durchweg von Lehrern schulisch betreut werden, ab, um bei den Youth-League-Spielen immer dabei sein zu können. Das fällt den Burschen natürlich sehr schwer. Eine Berufung in die Nationalmannschaft ist für sie eine riesengroße Ehre, eine Bestätigung ihrer Leistungen – und sie müssen sich aufgrund der schulischen Belastung hier entscheiden. Ich halte das für höchst bedenklich.