Uefa Youth League: Todmüde nach 15 Minuten
In der Uefa Youth League messen sich europäische Nachwuchsteams im Champions-League-Rhythmus. Für die Talente ist die Belastung ungleich höher als für die Profis. Begeistert von der neuen Liga sind nicht alle.
In gewisser Weise ist Nils Dietz immer noch begeistert. „Es ist schon ein besonderes Gefühl, wenn du mit dem original Champions-League-Ball spielst“, schwärmt der 17 Jahre alte Jugendspieler von Borussia Dortmund. „Das Ambiente war toll.“ Ungeachtet dessen, dass nur 250 Zuschauer dabei waren, bei diesem Spiel am vergangenen Mittwoch um 15 Uhr beim SSC Neapel, das aus Dortmunder Sicht 0:1 endete. Aber fast zeitgleich ist seine Mannschaft am Tag zuvor mit den Profis des BVB zum Flughafen gefahren; er hat sich mit den Stars unterhalten können. Und in Italien bezogen Nils Dietz und seine Kollegen ein feudales Hotel neben der Herberge von Robert Lewandowski und Co. „Es hat nur die Hymne gefehlt, dann hätte ich richtig Gänsehaut gehabt“, sagt Dietz. Nein, eine Hymne hat der europäische Fußball-Verband (Uefa) noch nicht für seine Youth League kreiert – aber ansonsten erinnert vieles an die Champions League der Profimannschaften.
Rasch setzte, bei aller Begeisterung, bei Nils Dietz die Ernüchterung ein. Schon am Freitag. Drei Tage hat er in der Schule verpasst, weil er von Dienstagmorgen bis Donnerstagnachmittag unterwegs war. „Ganz schön viele Fehlstunden in Sachen Abitur, das ist schon ein Problem“, sagt Dietz. Alles für ein Spiel. In seinem Fall sogar nur für 15 Spielminuten. Diese drei Tage hat er am Gymnasium in Soest verloren, „und eine Sonderbehandlung bekomme ich von den Lehrern nicht – nur die Freistellungen“.
Der Fall von Nils Dietz taugt zum Musterbeispiel für alle Kritiker
Eine Klassenkameradin hat für ihn den Stoff gesammelt – und per Mail übermittelt. Weil am Sonnabend schon wieder Training in Dortmund war und am Sonntag das A-Junioren-Bundesligaspiel beim 1. FC Köln anstand, hat sich noch in Italien das schulische Gewissen gemeldet: „Mittwoch, um Mitternacht, nachdem wir vom Besuch des Spiels der Profis zurück ins Hotel kamen, habe ich noch bis in den Morgen hinein gelernt“, sagt Dietz. Todmüde kam er dann heim. Längst hat sich bei ihm eine Erkenntnis durchgesetzt: „Das ist ein aufregender neuer Wettbewerb, mit tollen Gegnern – aber die Schule leidet darunter.“
Der Fall des blonden Nils Dietz taugt zum Musterbeispiel für alle Kritiker des neuesten Uefa-Projekts, bei dem alle 32 Teilnehmer der Champions League ihre U-19-Mannschaften ins Rennen schicken müssen. Die Einteilung der Gruppen ist identisch mit dem Vorbild der Profis, der Modus in der Vorrunde auch, weshalb Lars Ricken verächtlich sagt: „Es ist ja insofern keine Champions League, weil sich die Jugend-Mannschaften dafür nicht qualifizieren müssen. Nur weil die erste Mannschaft gut ist, heißt das ja noch lange nicht, dass die U 19 auch gut ist.“ Borussia Dortmund würde am liebsten gar nicht mitspielen. Der ehemalige Champions-League-Held Ricken ist heute Jugendkoordinator des Vereins. Nach zahlreichen Diskussionen, bei denen auch Schalke 04 und Bayer Leverkusen ihren Protest hinterlegten, habe die Uefa aber druckvoll „klargemacht, dass es sportpolitisch gewünscht ist, dass wir da mitmachen“. Der Verband verweist darauf, dass auch die Vereinigung der europäischen Spitzenklubs, ECA, das Projekt forciert habe. Vorsitzender der ECA ist Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandschef des FC Bayern München. Sinnigerweise der einzige deutsche Teilnehmer, von dem kein kritisches Wort über die neue Youth League kommt. Keine Kritik an den Königsmachern. Der amtierende Champions-League-Sieger will sich auf Nachfragen nicht äußern und bittet dafür „um Verständnis“. Jugendleiter Wolfgang Dremmler formulierte auf der Klub-Homepage einst seine Freude über diesen Wettbewerb, „den Karl-Heinz Rummenigge mitgetragen hat“.
Es geht um Sportpolitik. Und Markenbildung. Auch schon im Jugendfußball. Die Uefa lässt den Klubs dabei kaum Spielraum. 34 Seiten Vorschriften regeln den Spielbetrieb in der Jugendliga im Detail. Die Talente müssen am gleichen Tag wie die Profis oder am Tag danach spielen. Außerdem ist es für die Vereine Pflicht, mit dem stärksten Team anzutreten. Bodo Menze, Jugendkoordinator bei Schalke, sagt: „Uns passt das überhaupt nicht. Die Schalker Haltung ist da klar.“ Aber man sei „im europäischen Prozess insgesamt überstimmt worden“. Kleinere Verbände waren für die neue Liga. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) kam mit seiner Ablehnung nicht durch, wie Frank Engel betont, Leiter der DFB-Nachwuchsförderung. Der „hervorragende Spielbetrieb in Deutschland auf höchstem Niveau“, das Heranführen der Talente an den Profibereich und zahlreiche Auswahlteams des DFB machten die Jugendliga überflüssig – und zu einem Ärgernis. Denn „die Belastung für die jungen Leute mit Fußball, Schule oder Ausbildung ist teilweise höher als für Profis“, sagt Engel: „Sicherlich ist das ein lukrativer Wettbewerb, aber er passt aus unserer Sicht dort nicht rein.“ Das Votum in der Kommission der DFL-Nachwuchsleistungszentren sei auch weitgehend einhellig gewesen.
In der Vergangenheit gab es bereits eine groß angelegte Nachwuchsliga: die Next Gen Series
Derzeit beträgt das Budget der Jugendliga nach Angaben der Uefa nur 3,5 Millionen Euro. Aber natürlich soll der Etat rasch steigen. Es geht, mal wieder, um Glanz und Geld. Und darum, dass die Uefa keinem anderen das Feld überlassen will. Denn auch wenn die Uefa auf ihrer Homepage behauptet, die Youth League sei das erste Turnier dieser Art im europäischen Vereinsfußball – so ist das schlichtweg falsch.
Denn da gab es bislang bereits eine groß angelegte Nachwuchsliga, die Next Gen Series. Mit vielen Topklubs, bis zu 20 000 Stadionbesuchern, live im Fernsehen. Fast zehn Millionen Euro haben die Macher in diesen Wettbewerb investiert – und wollten nach zwei Jahren endlich die Gewinnzone erreichen. Doch nun hat die Uefa ihre Idee vereinnahmt. „Das ist ein bisschen unfair“, sagt Justin Andrews, Geschäftsführer der Next Gen Series. „Wenn wir gewusst hätten, dass die Uefa das auch machen wird, hätten wir nicht so viel investiert.“ Er musste seine Liga nun absagen – es klafften Löcher im Etat, Sponsoren sprangen ab. Und der bisherige Fernsehpartner zeigt nun die Youth League. Das erste Spiel zwischen Manchester United und Bayer Leverkusen sahen im Schnitt bei Eurosport immerhin 200 000 Menschen.
Dabei sagen viele Experten: Die Next Gen Series, an der in der vergangenen Saison auch der VfL Wolfsburg, amtierender A-Jugend-Meister, und der BVB teilnahmen, sei das bessere Produkt. „Die Organisation war sehr gut, die Qualität der Spiele top – genau das, was wir gesucht haben“, sagt Terry Burton, Cheftrainer der Jugendabteilung von Arsenal London: „Die Uefa macht nun eine Kopie der Next Gen Series. Aber so läuft es eben im Fußball: Es wird kopiert.“
Wobei andere eher an ein schlechtes Plagiat glauben. Andrews betont, er habe „nie eine Jugend-Champions-League schaffen wollen. Wir haben versucht, ein starkes Jugendturnier zu schaffen für die Klubs mit den besten Nachwuchs-Leistungszentren in Europa“, sagt er: „Einige haben nicht den großen Namen wie der FC Barcelona oder Manchester United – aber die Jugendarbeit von Sporting Lissabon, RSC Anderlecht oder FK Molde ist sehr stark. Wir wollten ein Turnier, das die besten Jugendmannschaften Europas repräsentiert.“ Bestimmt war es blauäugig von ihm zu glauben, die Uefa würde da nur zuschauen. „Die Uefa will meiner Ansicht nach unter keinen Umständen den Fußball auch auf dieser Ebene aus der Hand geben“, sagt Schalkes Jugendkoordinator Menze: „Die Next Gen Series ist eine Riesenkonkurrenz für die Uefa – und das will die Uefa mit der Einführung der Jugendliga verhindern.“
Klare Worte, die die Uefa vermeidet. Auf Anfrage des Tagesspiegels antwortet der Verband ausweichend, besonders, wenn es um kritische Fragen geht. Aber er untermauert auch in diesem Fall seinen Alleinvertretungsanspruch und will sich von Vorwürfen freimachen, gegen das Wohl von Jugendspielern zu handeln. So schiebt sie den Schwarzen Peter an die Vereine weiter: „Die Uefa ist sich sicher“, heißt es umständlich in der Stellungnahme, „dass die Klubs auch die Gesundheit ihrer Spieler und eine Überschreitung des tatsächlichen Leistungsvermögens in Betracht ziehen werden, bevor sie sich an anderen Turnieren beteiligen.“ Das dürfte den endgültigen Tod der Next Gen Series bedeuten, was nicht nur Lars Ricken bedauert. „Die Next Gen war auch insofern charmant, dass wir die Spiele legen konnten, wie wir wollten: Auswärtsspiele in die Ferien, so dass die Schüler keine Ausfallzeiten hatten.“
Das wäre auch einem wie Nils Dietz zugute gekommen, der die Folgen der Dienstreise nach Neapel deutlich gespürt hat. „Nach dem Spiel in Neapel stand ein schwerer Test an. Den ganzen Stoff aufzuholen war stressig – und eigentlich unmöglich.“