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Paul Pogba trifft zum 3:1 für Frankreich.
© Reuters
Update

4:2 im WM-Finale gegen Kroatien: Die Welt ist Frankreich gerade groß genug

In einem torreichen Finale setzen sich die favorisierten Franzosen am Sonntag gegen Kroatien durch und holen damit ihren zweiten WM-Titel.

Pünktlich zur Siegerehrung kam der Regen. So heftig und dicht wie nie in diesen Tagen der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland von Russland. Wladimir Putin bekam einen riesigen Regenschirm und Emmanuel Macron nur einen winzigen. Egal, Frankreichs Staatspräsident hüpfte im durchnässten Anzug über die kleine Bühne auf dem Rasen des Luschniki-Stadions und herzte jeden seiner kickenden Staatsdiener, die da gerade Vollzug gemeldet hatten. France en Marche! Weltmeister! So groß wie am Sonntag in Moskau war die Grande Nation lange nicht mehr.

Ja, für Europa hat es 2016 nicht gereicht, aber die Welt ist den Franzosen im Sommer 2018 gerade groß genug. Zwei Jahre nach dem gegen Portugal verlorenen EM-Finale von Paris trat Frankreich am Sonntag in Moskau die Nachfolge der deutschen Nationalmannschaft an. Mit einem 4:2 (2:1)-Sieg vor 78011 Zuschauern über Kroatien in einem überraschend kurzweiligen Finale, das durch einen charmanten Platzsturm der Polit-Punkerinnen von Pussy Riot eine zusätzlich erheiternde Note erhielt. „Ich weiß gar nicht wo ich bin, aber überglücklich“, sprach Frankreichs Stürmer Antoine Griezmann.

Eigentor, Elfmeter und Videobeweis - alle Trends der WM im Finale

Die Kroaten spielten leidenschaftlich auf, angetrieben von ihrem Kapitän Luka Modric, der später den wenig tröstenden Trostpreis des besten Spielers der WM bekam. Aber es war nicht der Tag dieser Überraschungsmannschaft des Turniers. Die Kroaten fabrizierten früh ein Eigentor und kurz darauf einen verhängnisvollen Handelfmeter. Unglückliche Umstände, und doch nicht spielentscheidend. Frankreich mag kein glanzvoller Weltmeister sein, aber allemal ein würdiger. „Das Spiel war vielleicht nicht schön, aber wir haben viel Qualität gezeigt“, sagte der Franzose Didier Deschamps, er zählt jetzt neben Franz Beckenbauer und dem Brasilianer Mario Zagallo zu denen, die sowohl als Spieler wie als Trainer die WM gewannen. Der sonst so zurückhaltende Deschamps freute sich, „dass wir jetzt auf dem Dach der Welt sind“. Vier Jahre lang, bis zur nächsten WM in Katar.

Früher am Nachmittag hatten die Deutschen sich noch einmal kurz als Weltmeister fühlen dürfen. Philipp Lahm spazierte als Abgesandter der 2014er Nationalelf auf den Rasen, und wie er da den WM-Pokal in den Händen auf einem Podest drapierte, wurde auf der Videoleinwand Luka Modric dazugeschaltet, mit großen Augen voll von Verlangen. Dieses Verlangen erfuhr keine Erfüllung, stand aber für den Geist, mit dem die Kroaten das Spiel angingen. Sie waren die aktivere Mannschaft, sie wollten Fußball spielen und nicht nur verwalten, wie man es den Franzosen ja ein wenig nachgesagt hatte nach ihrer doch sehr zurückhaltenden Vorstellung im Halbfinale gegen Belgien.

Auch im Finale war im französischen Spiel lange Zeit wenig Schönheit auszumachen. „Wir sind schüchtern gestartet, aber dann haben wir schnell ein Zeichen gesetzt“, sagte Griezmann. Schon die erste Torannäherung zeitigte das französische Führungstor, es wurde zu allem Unglück der Kroaten auch noch von ihrem eigenen Mittelstürmer erzielt. Mario Mandzukic war zur Abwehr eines Freistoßes zurückgeeilt. Antoine Griezmann zirkelte den Ball aus halbrechter Position in den Strafraum, allerlei Köpfe reckten sich nach ihm, Mandzukic mit nachhaltigem Erfolg. Sein Scheitel veränderte die Flugbahn um die entscheidenden Zentimeter, so dass Torhüter Danijel Subasic nicht mehr die Hand dranbekam.

"So einen Elfmeter sollte man nicht pfeifen"

Dieses frühe 1:0 nährte die Furcht vor einem langweiligen Endspiel. Dass der Unterhaltungswert dann doch überraschend hoch war, hatten beide Mannschaften zu verantworten. Zunächst wehrten sich die Kroaten mit aller Macht und Wut, wie sie das schon im Halbfinale gegen England getan hatten. Und sie kamen schnell zurück, nur zehn Minuten nach Mandzukics Eigentor. Über Modric, Sime Vrsaljko und Domagoj Vida kam der Ball am Kreidestrich des Strafraums zu Ivan Perisic. Der stoppte den Ball mit dem rechten Oberschenkel, legte ihn sich vorbei an N'Golo Kanté, umkurvte auch noch Pavard und jagte ihn mit dem linken Fuß mitten durch ein Gewühl französischer Spieler Ausgleich in die rechte Ecke. Ein großartiges Tor, es war bereits das dritte im siebten WM-Spiel für den kroatischen Flügelspieler, den Hertha BSC vor neun Jahren nach einem Probetraining für nicht gut genug befunden hatte.

Perisic hätte ein strahlender Held werden können, aber es reichte nur zum tragischen. Ein paar Minuten später hatte er wie zuvor der Kollege Mandzukic ein unglückliches Erlebnis beim Verrichten der Abwehrarbeit. Nach Griezmanns Ecke mochte ihm der argentinische Schiedsrichter Nestor Pitana zunächst keine Absicht unterstellen, als ihm der Ball an die Hand sprang. Nach dem Studium der Fernsehbilder aber änderte er seine Meinung und verhängte einen Elfmeter. „Ich will nichts gegen den Schiedsrichter sagen, aber in einem WM-Finale sollte man so einen Elfmeter nicht pfeifen“, fand Kroatiens Trainer Zlatko Dalic. Im allgemeinen Durcheinander dauerte es vier Minuten, bis Griezmann antreten durfte. Subasic flog nach rechts, der Ball aber nach links und Frankreich lag wieder vorn.

In allen K.o.-Spielen waren die Kroaten in Rückstand geraten

Griezmanns Elfmeter war Frankreichs erster Torschuss im gesamten Spiel. Den zweiten reichte er gleich zu Beginn der zweiten Halbzeit nach, er stellte Subasic zwar vor keine Probleme und stand doch symbolisch für einen Zuwachs an französischer Angriffslust. Und für das Aufblühen des Kylian Mbappé.

Der französische Wunderstürmer hatte bis dahin kaum etwas gezeigt. Und doch war er es, der dieses Finale entschied, mit zwei Szenen, die sein überragendes Talent demonstrierten. Erst lief er bei einem Tempodribbling auf dem rechten Flügel der kroatischen Abwehr davon und spielte perfekt zurück auf Griezmann. Dessen Schuss wurde zwar geblockt, aber der Ball flog vor die Füße von Paul Pogba, der ihn mit viel Übersicht und Gefühl ins linke Eck zirkelte. Das vierte Tor machte Mbappé selbst, mit einem dieser ansatzlosen Schüsse, wie er sie schon im Achtelfinale gegen Argentinien gezeigt hatte. Als alles entschieden war, blitzte kurz auf, dass in Frankreich doch mehr steckt als der Hang zu sterilem Zweckfußball. Mit einer Nachlässigkeit und Eleganz, wie sie dem Klischee genügen, wollte Torhüter Hugo Lloris den Ball durch die Beine von Mandzukic schieben, was ähnlich gut klappte wie der legendäre Abwurf des Liverpooler Torhüters Loris (mit einem L) Karius im Champions-League-Finale gegen Real Madrid. Von Mandzukics Fuß prallte der Ball ins leere Tor.

Mario Mandzukic hat dieses Finale geprägt, mit seinem frühen Eigentor und dem späten Treffer auf der richtigen Seite. Mittendrin legte er noch einen anderen bemerkenswerten Auftritt hin. Das war nach einer Stunde, als vier Frauen in dunklen Anzügen über den Platz hüpften, beschwingt die Arme hoben und ins Publikum winkten. Mandzukic fing eine von ihnen ein, eine andere klatschte noch schnell Kylian Mbappé ab, bevor sie abgeführt wurde. Via Facebook reklamierten die bewährten Punk-Aktivistinnen von Pussy Riot die Aktion für sich, als Zeichen gegen Polizeigewalt und für die Freilassung von politischen Gefangenen.

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