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Anders als früher hat Handball-Bundestrainer Christian Prokop seine Spieler diesmal immer miteinbezogen.
© REUTERS

Handball-WM: Die Verwandlung des Christian Prokop

Handball-Bundestrainer Christian Prokop hat seine Methoden komplett verändert – und wird wohl weiter im Amt bleiben. Er ist ein Gewinner der WM.

Er kann es also doch. Ist ja auch wirklich nicht so schwer. Die Augen ein wenig zusammenkneifen, Mundwinkel hochziehen und, ganz wichtig, Zähne zeigen. Eine der simpelsten und schönsten Gesten, mit der man Menschen vereinnahmen kann. Nennt sich Lächeln und soll mitunter ansteckend sein.

Am Freitagabend ist es Christian Prokop schwergefallen, gute Miene zum verlorenen Spiel zu machen. Nach der 25:31-Niederlage im Halbfinale der Handball-Weltmeisterschaft gegen Norwegen überwog beim Bundestrainer und seinen Spielern logischerweise die Enttäuschung. Grundsätzlich hatte man in den knapp zweieinhalb Turnierwochen zuvor allerdings das Gefühl, dass da ein ganz anderer Mensch an der Seitenlinie vor der deutschen Auswechselbank unterwegs ist. Einer, der Freude an seinem Job hat, der stringent und gleichwohl charmant sein kann. Der auch mal lächelt. Die Verwandlung des Christian Prokop – sie war schwer zu übersehen.

Prokop traf viele richtige Entscheidungen

Vor einem Jahr gab es das fast nie, das Lächeln des Bundestrainers. Bei seinem ersten großen Turnier hatte Prokop ganz offensichtlich keinen großen Spaß an der Ausübung seines Berufs. Er wirkte angespannt, dünnhäutig, genervt, fühlte sich falsch verstanden, zu Unrecht kritisiert, nicht ernst genommen. Während einer Auszeit entstand ein Foto, das später als Sinnbild für die verpatzte Europameisterschaft in Kroatien dienen sollte: Kapitän Uwe Gensheimer schaute seinen Coach an, als würde dieser gerade Chinesisch rückwärts sprechen.

Dass es im zwischenmenschlichen Bereich nicht passte, dass sich Team und Trainer nicht richtig grün waren, wurde aber auch an anderen Stellen deutlich. Und wie das dann so ist in solchen Phasen: Irgendwann kamen beim Trainer auch noch Unsicherheit und Pech dazu. Was Prokop auch anfasste und versuchte bei der vergangenen Europameisterschaft – man hätte Geld darauf wetten können, dass es in die Hose geht. Risiko? Gleich null.

Bei diesem Turnier in Deutschland und Dänemark hat sich Prokop nicht verzockt, im Gegenteil. Er traf meist zielführende Entscheidungen, stellte sein Team gut ein und erreichte mit seinem Kader den vom Deutschen Handballbund (DHB) vorgegebenen Korridor: den Einzug ins Halbfinale. Auch wenn es an diesem Sonntag im kleinen Finale gegen Frankreich nicht zur Bronzemedaille reicht, ist den Deutschen eine Sache nicht mehr zu nehmen: die Teilnahme am Qualifikations-Turnier für die Olympischen Spiele 2020 – ein wichtiges Ziel für den Verband, der die Maßgabe ausgegeben hat, in Tokio um Gold mitzumischen. Beim DHB tauften sie das Unterfangen „Projekt 2020“.

Die Spieler dürfen mitentscheiden

Mit dem Erreichen des Halbfinals dürfte Prokop seinen Arbeitsplatz bis auf weiteres gesichert haben. Ob es unabhängig vom Turnierverlauf eine Jobgarantie für den Bundestrainer gebe, wurde DHB-Sportvorstand Axel Kromer vor dem WM-Start in großer, öffentlicher Runde gefragt. Das sei eine unseriöse Frage, entgegnete Kromer. „Darüber denken wir gar nicht nach. Wir konzentrieren uns voll auf das Sportliche.“ Ganz von der Hand zu weisen war das Gedankenspiel jedoch nicht. Wenn der Bundestrainer und seine Arbeitsweise bei dieser Weltmeisterschaft erneut die Schlagzeilen bestimmt hätten – er wäre womöglich schwer zu halten gewesen.

Dass es nicht so kam, lag auch an den Veränderungen, zu denen sich Prokop nach der Analyse der schwachen Europameisterschaft bereit erklärt hatte. Er besuchte alle Nationalspieler bei ihren Bundesliga-Klubs, hörte sich Kritikpunkte an und gab öffentlich Fehler zu. Er ging nach Canossa. Prokop, der in Hildesheim Sport und Wirtschaft auf Lehramt studiert hat, wählte später nicht ohne Grund folgende Metapher: „In der Schule hätte man von Frontalunterricht gesprochen, also dass man alles vorgibt. Das war falsch.“ Bei dieser Weltmeisterschaft gab der Bundestrainer seinen Spielern dagegen ein ausgeprägtes Mitspracherecht.

Phasenweise ging es zu wie in der Waldorfschule, davon konnten sich auch Millionen Fernsehzuschauer überzeugen. Während der Auszeiten, die im Handball live im Fernsehen übertragen werden, fragte Prokop im Mannschaftskreis mehrfach: „Was wollen wir machen? Was wollen wir spielen?“ Der Bundestrainer delegierte manche Aufgaben einfach an seine Nationalspieler weiter – ein sehr ungewöhnlicher Vorgang. Derart flache Hierarchien gibt es im Handball normalerweise nicht, erst recht nicht auf diesem Niveau.

In der Defensive hatten Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler das letzte Wort. Die Abwehrspezialisten spielen beim THW Kiel zusammen, sie kennen sich in- und auswendig und durften in finaler Instanz selbst entscheiden, ob sie beispielsweise sehr offensiv decken oder mit den Hacken am Halbkreis Position bezogen. Prokop gab gewissermaßen den großen Rahmen vor: Er entschied, ob sein Team mit einer 6-0-Formation verteidigte oder im 5-1 respektive 3-2-1. Die kleinen Entscheidungen durften die Spieler dann selbst treffen. Ähnlich verhielt es sich in der Offensive. „Fabi macht die Ansagen für vorn“, sagte Prokop in einer Auszeit. Dann übernahm Fabian Wiede das Wort und verklickerte seinen Nebenleuten, welche Abläufe und Systeme sie auszuführen hatten.

Als Team haben die Deutschen überzeugt

Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass Prokop im Turnierverlauf mutige Entscheidungen traf. Im Hauptrundenspiel gegen Kroatien etwa, das den Halbfinaleinzug brachte, kippte das Spiel nach einer Dreiviertelstunde. Die Kroaten machten innerhalb weniger Minuten aus einem 15:18-Rückstand eine 19:18-Führung. Es war einer dieser Momente, in denen es nicht gut bestellt war um die Nationalmannschaft. Manche der knapp 20 000 Menschen in der ausverkauften Arena von Köln befanden sich bereits in Schockstarre.

Und was machte Prokop? Er opferte seinen Torhüter zugunsten eines zusätzlichen Feldspielers – eine Variante, die in den Begegnungen zuvor so gar nicht funktioniert hatte. In der Vorrunde in Berlin hatte es noch ein gellendes Pfeifkonzert für dieses Experiment gegeben, nachdem drei Bälle ins leere deutsche Tor geflogen waren. „Ich hatte die Pfiffe aus Berlin natürlich noch in Erinnerung und konnte sie auch verstehen, weil wir das nicht konsequent und mit letzter Überzeugung gespielt haben“, sagte Prokop hinterher, „andererseits musste ich etwas ausprobieren, sonst wäre es garantiert schiefgegangen.“ Es ging nicht schief: Deutschland besiegte Kroatien 22:21 und erreichte frühzeitig das Halbfinale.

Auch hinterher auf der Pressekonferenz zeigte Prokop ein ganz neues Gesicht, er führte einige Journalisten regelrecht aufs Glatteis und hielt ihnen gewissermaßen den Spiegel vor. Warum seine Analyse nach dem Halbfinaleinzug so sachlich und nicht emotionaler ausgefallen sei, wollte einer vom Bundestrainer wissen. Prokop rückte auf dem Podium das Mikrofon zurecht und entgegnete: „Ist ja auch eine sehr sachliche Atmosphäre hier, oder?“ Danach grinste er zufrieden. Es war ein Konter, der auch von Prokops Vorgänger hätte kommen können, dem stets schlagfertigen Isländer Dagur Sigurdsson. Zwischen seinem ersten und zweiten Turnier hatte Prokop Schulungen erhalten, wie er professionell mit dem großen Reporterpulk umzugehen hat, der die deutsche Mannschaft bei der Heim-WM begleitete.

Als das deutsche Team bereits Fahrt aufgenommen hatte im Turnier, gab Prokop einen sehr interessanten Kommentar ab, der wahrscheinlich ein wenig Druck von seinem Team nehmen sollte. „Es geht nicht nur darum, wie wir rein numerisch bei dieser Weltmeisterschaft abschneiden, sprich: auf welchem Platz wir landen“, sagte der Bundestrainer, „sondern auch darum, wie wir uns präsentieren, ob wir als Mannschaft überzeugen und die Menschen mitreißen können.“ Diesbezüglich müssen sich Christian Prokop und seine Spieler nichts vorwerfen lassen.

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