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Toni Polster muss 1998 den ersten Abstieg mit Köln verkraften.
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Abstiegskampf: Die Spirale der Angst bei den Traditionsklubs

Mit dem HSV könnte auch das letzte Gründungsmitglied die Bundesliga verlassen. Toni Polster, Manfred Binz und Harry Koch berichten, wie drei andere Traditionsklubs ihren ersten Abstieg erlebten.

Manfred Binz

Was hatten wir für eine Mannschaft! Jay-Jay Okocha, Thomas Doll, Andreas Köpke, Ralf Weber, Ralf Falkenmayer, und ich war auch kein ganz Schlechter. Wie wir mit solchen Spielern absteigen konnten, ist für die meisten Menschen in Frankfurt bis heute ein Rätsel. Vier Jahre vorher waren wir gefühlt schon Deutscher Meister, und plötzlich hieß es Zweite Liga. Was für ein Schock.

Manfred Binz, 51, spielte zwölf Jahre für die Eintracht. Nach dem Abstieg musste er aus finanziellen Gründen gehen.
Manfred Binz, 51, spielte zwölf Jahre für die Eintracht. Nach dem Abstieg musste er aus finanziellen Gründen gehen.
© imago/Jan Huebner

Aber so unglaublich sich diese Entwicklung anhört, so erklärbar ist sie auch. Unserem Vereinsnamen machten wir in dieser Zeit keine Ehre. Eintracht stand nur auf unseren Trikots. Fast täglich gab es Zoff, Streiten gehörte zu unserer Kultur. Vor allem als Uwe Bein, Tony Yeboah, Uli Stein und Andy Möller noch da waren, krachte es. Aber im Spiel rissen wir uns zusammen.

Nach und nach gingen diese Spieler, die Grüppchen aber blieben. Auch wenn ich weit weg bin – gewisse Parallelen zum HSV sind erkennbar. Wenn ich den Spielern ins Gesicht schaue, erkenne ich dort bei den meisten Unzufriedenheit. Sie hadern untereinander, legen sich ständig mit dem Schiedsrichter an und vergeuden ihre Kraft mit Nebensächlichkeiten. Das kommt mir alles sehr bekannt vor. Heute mache ich mir Vorwürfe. Hätte ich doch mehr meine Klappe aufgemacht! Als Kapitän hätte ich viel öfter auf den Tisch hauen müssen. Ich sah doch, was vor sich ging. Untereinander stimmte es nicht, und dann hatten wir auch noch Pech.

Drei verschiedene Trainer, dazu waren Doll und Weber fast die gesamte Saison verletzt, Falkenmayer auch. Im Frühjahr, wir befanden uns schon in einer sehr kritischen Phase, erwischte es mich ebenfalls. Nasenbeinbruch. Sechs Wochen Pause. Ich erinnere mich noch an eine Szene am nächsten Morgen. Ralf Weber kam zu mir und sagte: „Manni, jetzt steigen wir ab.“ Ich schaute ungläubig, aber Ralf meinte, dass den anderen nun der Halt fehlen würde. „Es ist egal, ob du gut spielst oder schlecht, wichtig ist nur, dass du auf dem Platz stehst, Manni“, sagte er.

Ralf sollte leider recht behalten. Von den sechs Spielen, die ich verpasste, gewann die Mannschaft kein einziges. Im Winter hatten wir Bayern München noch 4:1 weggehauen, aber nun waren wir in eine Spirale der Angst geraten. Der Abstieg war das schlimmste Gefühl meiner Karriere. Ich war und bin Frankfurter, meine ganze Welt beschränkte sich auf das Stadtgebiet, alle meine Verwandten und die Familie lebten dort. Und nun war ich der erste Eintracht-Kapitän, der einen Abstieg zu verantworten hatte. Für den Verein bedeutete das eine Zäsur, Eintracht Frankfurt wurde zur Fahrstuhlmannschaft. Bis heute konnte der Klub nie mehr an die Erfolge vor dem ersten Abstieg anknüpfen.

Toni Polster

Unser Abstieg war hausgemacht. Wenn man jedes Jahr an die Tür klopft, geht sie irgendwann auf. Und wir haben eifrig geklopft. Meine Tore haben viel kaschiert, aber irgendwann reichten sie nicht mehr aus. Ich konnte vorne gar nicht so viele schießen, wie wir hinten reinbekommen haben. Wir waren die Schießbude der Liga. Am Ende hatte niemand so viele Gegentore wie wir geschluckt, da war es nur logisch, dass wir den Gang in die Zweite Liga antreten mussten.

Toni Polster, 53, trainiert heute den SC Viktoria Wien. Nach dem Kölner Abstieg ging er nach Gladbach.
Toni Polster, 53, trainiert heute den SC Viktoria Wien. Nach dem Kölner Abstieg ging er nach Gladbach.
© imago/DeFodi

Der FC befand sich damals in vielerlei Hinsicht auf Talfahrt. Im Verein herrschte Unruhe. Spieler gaben Interna an die Presse weiter, da konnte dann jeder lesen, was bei uns in der Kabine los war. Der Mediendruck in Köln ist gewaltig, viel gewaltiger als bei den meisten Vereinen in der Bundesliga. Damit konnten viele nicht umgehen. Mich hat das weniger gestört, ich war das aus meiner Zeit in Italien und Spanien gewohnt. Dann gab es Trainerwechsel, eigentlich ganz normal in solch einer Situation – aber in unserem Fall hat das nichts gebracht. Die Personalpolitik damals war keine glückliche, wenn man das nett umschreiben will. Transfers haben nicht eingeschlagen, qualitativ wurde die Mannschaft im Laufe der Jahre immer schwächer. Wir mussten einige schmerzhafte Abgänge verkraften, die nicht ersetzt werden konnten. Bodo Illgner zum Beispiel. Oder Sunday Oliseh, beides Nationalspieler. Uns war also schon vor der Saison klar, dass es eng werden würde. Auch wenn du darauf vorbereitet scheinst, ist es anstrengend, die vielen Niederlagen wegzustecken.

Überall um dich herum wird die Stimmung schlechter, im Verein, in der Mannschaft und in der Stadt. In Köln, wo die Aufregung eh immer groß ist, schlug die Stimmung irgendwann in pure Nervosität um. Davon kannst du dich als Spieler kaum fernhalten. Wenn man so will, hat es fast zwei Jahrzehnte gedauert, bis sich der Klub vollständig von dem Abstieg erholt hat. Erst jetzt, mit Manager Schmadtke und Trainer Stöger, ist Ruhe eingekehrt. Das ist wichtig. Vereine, bei denen Zirkus herrscht, haben in der heutigen Zeit keine Chance mehr.

Harry Koch

Einmal, ich war mit den anderen in der Stadt, da sagte ein älterer Mann zu uns: „Steigt bloß nicht ab, dann geht hier alles kaputt. Dann wird’s nie mehr wie früher.“ In diesem Moment begriff ich, was alles von uns abhing. Kaiserslautern ist kein Industriestandort, keine Wirtschaftsmetropole. Außer Fußball gibt es wenig. Der Verein war nicht nur Identifikationsgut, sondern auch Arbeitgeber in der gesamten Region. Jobs hingen an unserem Bundesligaverbleib und natürlich wollte niemand von uns, das irgendjemand seine Arbeit verliert, weil wir womöglich absteigen.

Harry Koch, 47, war acht Jahre beim FCK. 1996 stieg er mit dem Klub ab, 1998 wurde er Deutscher Meister.
Harry Koch, 47, war acht Jahre beim FCK. 1996 stieg er mit dem Klub ab, 1998 wurde er Deutscher Meister.
© imago

Ich bin im Sommer 1995 nach Kaiserslautern gekommen. Von einem Regionalligisten zu einer Spitzenmannschaft der Bundesliga. Genau das war der FCK in dieser Zeit. Meister 1991, Europapokalteilnehmer. Wir spielten im Uefa-Cup, aber schon da lief es nicht. Wir sind gleich in der zweiten Runde raus, und in der Bundesliga fiel uns das Gewinnen schwer. Meistens spielten wir unentschieden oder verloren. Unser Pech war, dass vor dieser Saison die Drei-Punkte-Regel eingeführt wurde. Nach dem alten Modus wären wir irgendwo im Mittelfeld gelandet, aber so kamen wir mit den ganzen Unentschieden nicht vom Fleck. Es war wie verhext.

Wir trafen einfach das Tor nicht. Pavel Kuka etwa, einer unserer Besten, tschechischer Nationalspieler, international erfahren, selbst dem versagten plötzlich die Nerven. Aus einem Meter traf er das Tor nicht. Irgendwann wurden es immer weniger Spiele. Wir sagten uns jedes Mal, heute müssen wir gewinnen, heute müssen wir gewinnen, aber meistens gewannen wir wieder nicht. Vor dem letzten Spiel in Leverkusen war klar, dass uns nur ein Sieg retten würde, aber da waren wir schon zu verkrampft. Der Kopf machte uns längst zu schaffen, der Abstieg hatte sich in unseren Gedanken eingenistet.

Kurioserweise hatten wir all das Glück, das uns in der Liga fehlte, im Pokal. Eine Woche nach dem Abstieg spielten wir im Finale in Berlin gegen Karlsruhe und gewannen. Nach unserer Ankunft in Kaiserslautern strömten Tausende von Menschen auf die Straßen, um uns zu feiern. Oder um mit uns zu weinen. Das war ein komisches Gefühl. Es wurde geweint und gefeiert. Abstieg und Pokalsieg. In diesen Stunden wurde die Meistermannschaft von 98 geboren. Wir alle fühlten uns für den Abstieg verantwortlich, kein Spieler machte sich vom Acker. Gemeinsam stiegen wir sofort wieder auf und wurden im Folgejahr Deutscher Meister. Eine bis heute einmalige Erfolgsgeschichte.

Sebastian Stier

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