Champions-League-Finale: Die Helden und der Schurke Ramos
Kunstschütze Gareth Bale, der gefoulte Mohamed Salah, der patzende Loris Karius und der grobe Sergio Ramos: Das sind die Hauptdarsteller des Finals von Kiew.
Es ist schon kurz nach Mitternacht, als Marcelo mit seinem Sohn durch den Strafraum schreitet. Marcelo junior ist zwei Köpfe kleiner, hat aber schon dieselbe Starkstromfrisur wie der Papa, der bei Real Madrid für die linke Abwehrseite zuständig ist. Mit einer Schere bewaffnet macht er sich am Tornetz zu schaffen und schneidet ein Stück heraus. Genau dort, wo vor gar nicht so langer Zeit der Ball eingeschlagen ist nach diesem Jahrhunderttor von Gareth Bale, so darf man das gern und keineswegs übertrieben nennen.
Bale ist der strahlende Held dieser Nacht. Das Champions-League-Finale von Kiew hat auch zwei tragische Helden hervorgebracht und einen Schurken, namentlich Mohamed Salah, Loris Karius und Sergio Ramos, aber die erste Erinnerung gebührt Gareth Bale. Alles beginnt beim Brasilianer Marcelo und seiner Flanke von der linken Seite.
Bale hebt ab, er steht in der Luft wie ein kreisender Hubschrauber, bewundert von seinen Madrider Kollegen, gefürchtet von den Gegnern aus Liverpool. Der Rest vollzieht sich wie in Zeitlupe. Der Kick ins linke obere Dreieck, der vergebliche Sprung von Loris Karius, das sich gemächlich ausbeulende Netz. Genau dort, wo Marcelo kurz nach Mitternacht die Schere ansetzt.
Ob er Gareth Bale das Stückchen Kiewer Netz zu Weihnachten schenkt? Als Erinnerung an dieses so fantastische und wichtige Tor, das zwischenzeitliche 2:1, dem er auch noch ein zweites folgen lässt beim 3:1 über den FC Liverpool im Finale der Champions League. Es könnte auch ein schönes Abschiedsgeschenk sein.
Der Highspeed-Stürmer aus Cardiff fühlt sich nicht wertgeschätzt in dieser Ansammlung von Offensivbegabungen. Cristiano Ronaldo spielt immer, auch Karim Benzema ist gesetzt, für Bale findet sich meist nur ein Plätzchen auf der Ersatzbank. Auch im Finale von Kiew darf er nur eine halbe Stunde spielen, er macht sie zu einer unvergessenen, aber Bale will mehr. „Ich muss jede Woche spielen und werde mit meinem Berater darüber sprechen, wie es weitergeht“, sagt er noch im Licht der Kameras von Kiew.
Sein persönliches Unglück definiert sich auf einer anderen Ebene als das von Mohamed Salah. Der Ägypter sucht keine Kameras, nur das Weite. Durch die Katakomben des Kiewer Olympiastadions, vorbei an den Kameras und Mikrofonen, Salah schlängelt sich hindurch und schiebt den von einer dunklen Schlinge gehaltenen Arm voran. Augen nach unten! Ein Reporter ruft herüber: „Hey Mo, einen Satz zum Spiel?!“ Salah schüttelt den Kopf und eilt weiter, immer weiter, nichts wie raus!
Was war das für eine Nacht! Es hätte die größte sein sollen in seiner Karriere auf dem Fußballplatz. Champions-League-Finale mit dem FC Liverpool gegen Real Madrid. Mit ihm, dem Stürmer aus Ägypten, das man sonst nur wegen der Pyramiden kennt.
Es wird eine furchtbare Nacht. Nicht so sehr wegen der Niederlage der Reds, das ist so ungewöhnlich nicht gegen die erfolgreichste Mannschaft der Welt. Aber was hat er leiden müssen. Bei diesem Zweikampf mit Sergio Ramos, dem Innenverteidiger von Real Madrid. Salah stürzt auf die linke Schulter und schon ist alles vorbei.
Für Liverpool und vor allem für Salah, den zurzeit vielleicht besten Fußballspieler der Welt. Liverpools Trainer Jürgen Klopp spricht noch in Kiew von einer schweren Bänderverletzung, es sieht nicht gut aus für die ägyptische Nationalmannschaft vor der Weltmeisterschaft in Russland. „Ramos hat sich heute in Ägypten keine Freunde gemacht“, sagt Klopp.
Ramos twittert am nächsten Morgen Genesungswünsche Richtung Liverpool: „Der Fußball zeigt dir manchmal seine schönste, manchmal aber auch seine bitterste Seite. Vor allem aber sind wir Kollegen. Schnelle Genesung, Salah. Die Zukunft wartet auf dich.“ So viel für das offizielle Protokoll.
Ramos hat sich keine Freunde gemacht
Darf man in dieser einen Szene Absicht unterstellen? Ramos und Salah verhaken sich ineinander, der Spanier spielt den aktiveren Part, er wuchtet den Ägypter nach vorn und fällt beim gemeinsamen Sturz auf Salahs Arm. Kann alles passieren. Aber steckt dahinter vielleicht doch System? In der Primera Division ist Ramos bekannt für grenzwertige Fouls, bei denen er Verletzungen bewusst in Kauf nimmt.
Und da ist noch etwas anderes in Kiew. Kurz vor dem ersten Tor von Real, Karim Benzema erzielt es mit einem gedankenschnellen Ausfahren des Fußes, nach einem gedanklichen Aussetzer von Liverpools Torhüter Loris Karius. Das ist zu Beginn der zweiten Halbzeit und provozierte allerlei Spott, über die Deutschen im Allgemeinen und Karius im Besonderen. Ist dieses Land nicht vor allem für seine Autos und Torhüter berühmt? Warum versagen auf einmal die einen und die anderen? Und fährt dieser Karius vielleicht einen Diesel?
Doch unmittelbar vor dieser Szene hat sich Seltsames zugetragenen im Liverpooler Strafraum. Unbemerkt von den offiziellen Kameras landet der Ellenbogen von Ramos im Gesicht von Karius. Nicht so heftig, dass dieser nun hätte behandelt werden müssen. Aber allemal gravierend genug, um Ramos vom weiteren Mitwirken in diesem Finale zu entbinden. Und wer weiß schon, ob es ohne den Check zur folgenschweren Fehlleistung des deutschen Torhüters gekommen wäre, ganze zwei Minuten später.
Nein, Sergio Ramos hat sich am Samstag keine Freunde gemacht. Die halbe, die gute Fußballwelt hatte auf einen Liverpooler Sieg gehofft. Auch wegen der nostalgischen Reminiszenz an die Siebziger, an Koryphäen wie Kenny Dalglish, Ian Rush und Ray Clemence. Aber vor allem, um der Langeweile Einhalt zu gebieten, der immer wiederkehrenden Kür der weißen Madrilenen, die den Henkelpott nun seit 2014 mit einer Ausnahme in Serie gewonnen haben. Real ist ein verdienter, aber auch ein grausamer Souverän. Alle jüngeren Erfolgsgeschichten sind auch Tragödien der Verlierer. Zweimal musste Atlético dran glauben, der Madrider Ortsrivale und Hort des kleinen Mannes. Im vergangen Jahr platzte der Traum von Juventus Turins ewigem Gigi Buffon. Diesmal nun der von Liverpool und der Restauration einer untergegangenen Epoche.