Rennserie mit Elektroautos: Die Formel E will vor allem in urbanen Zentren punkten
Die Formel E will sich als neue Rennserie etablieren und die Vorzüge von E-Mobilität zeigen. Dafür lockt sie gezielt Familien und Jugendliche in großen Städten an – wie am kommenden Wochenende in Berlin.
Autorennen ohne beißenden Benzingeruch und ohrenbetäubenden Lärm? Stattdessen 80 Dezibel, Surren, etwas Reifenquietschen und Getriebegeräusche. So hört sich ein Formel-E-Rennen an. „Das ist viel zu leise, dachte ich am Anfang“, sagt Motorsport-Legende Hans-Joachim Stuck – und verwundert damit selbst seine vierte Ehefrau Uschi. „Da hast du dir jahrelang die Ohrstöpsel reingedrückt, um den Lärm zu ertragen. Jetzt brauchst du sie nicht mehr und beschwerst dich.“ Das war zu Beginn der elektrischen Rennserie vor drei Jahren. Heute schwärmt der 66-jährige Motorsport-Funktionär von der „Formel E als tolle Rennserie“.
Beim Rennen in Monaco im Mai unterstützte Stuck die Rennleitung und machte im Fürstentum mit Prinz Albert und Topmodel Naomi Campbell Werbung für die Formel E. Zehn Teams treten mit 20 Fahrern auf internationalen Stadtkursen an: Im Gegensatz zur Formel 1 startet die Formel-E-Saison im Herbst, läuft über den Winter und dauert bis Ende Juli in Montreal. Gefahren wurde bisher in Hongkong, Marrakesch, Las Vegas, Buenos Aires, Mexiko-Stadt, Monaco und Paris. Am nächsten Wochenende startet die Formel E in Berlin – auf dem Tempelhofer Feld. Mitte Juli geht es dann nach Red Hook, den Hafen von Brooklyn, mit Manhattan und Freiheitsstatue im Hintergrund.
Der Automobilweltverband Fia, der auch die Formel 1 organisiert, will mit der Serie einen anderen Weg einschlagen und neue Zielgruppen ansprechen – vor allem Familien und Jugendliche. Das Gesamtkonzept ist auf Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit ausgerichtet. Die Formel E soll der Automobilindustrie auch als Plattform dienen, um die Entwicklung von Elektroautos voranzutreiben. Und dafür wollen sie Zuschauer in urbanen Zentren ansprechen und ihnen die Vorzüge der E-Mobility praktisch zeigen.
„Wir sprechen die junge Generation an“, sagt Lucas di Grassi, Fahrer im Team Abt/Schaeffler/Audi Sport, und derzeit Zweiter im Gesamtklassement hinter Renault-Pilot Sébastien Buemi. Auch Fahrer wie Daniel Abt oder Nick Heidfeld loben die „coolen Rennen“. Der frühere Formel-1-Fahrer ist angetan von den „fantastischen Strecken und den Stadtkursen“.
Heidfeld, derzeit Viertplatzierter und Fahrer für das indische Team Mahindra, sagt zwar, dass die Formel E nicht die Formel 1 ersetzen könne. Aber E-Mobilität sei eben in der automobilen Zukunft auch nicht mehr wegzudenken. Die Fahrer müssen bei der Formel E sehr taktisch fahren, die Batteriekapazität im Auge haben und bei geringem Energieaufwand trotzdem schnell unterwegs sein. Sie dürfen zudem nicht die ganze Zeit Vollgas geben, sondern müssen rekuperieren. „Wir müssen auf der Bremse so viel Saft wie möglich zurückgewinnen“, sagt Heidfeld.
BMW und Mercedes zögern noch
Auch Fans können ihren Lieblingsfahrern einen „Schub“ geben. In der Formel E wurde der „Fanboost“ über Twitter oder auf der Formel-E-Webseite eingeführt. Das Voting wird sechs Tage vor dem zugehörigen Rennen und noch bis sechs Minuten nach dem Rennstart freigeschaltet. Die drei Piloten mit den meisten Stimmen können nach dem Boxenstopp im zweiten Auto zusätzlich 30 Kilowatt Energie freischalten. Entweder setzen sie den „Schub“ kurz oder kraftvoll oder für einen längeren Spurt ein. Aber sie müssen ihn einsetzen, selbst wenn sie eigentlich Energie sparen müssten.
Ein Rennen dauert 51 Minuten. Das schafft die Kapazität einer Batterie noch nicht. „Wenn du zu wenig Batteriekapazität hast, ist das wie wenn du zu wenig Kraftstoff hast“, sagt di Grassi. Die Formel-E-Autos fahren mit einer 28-kWh-Einheitsbatterie von Williams Advanced Engineering. Nach 45 Kilometern müssen die Fahrer an die Box, um „umzusteigen“.
Den Wechsel der Fahrer bei der Formel-E in Monaco, zu dem Audi eingeladen hat, finden viele Fans am spannendsten. „Die müssen sich richtig aus ihren Sitzen katapultieren“, schwärmt ein 32- jähriger Franzose. Den Autowechsel müssen die Fahrer üben: Herausspringen, zum zweiten Fahrzeug laufen, hineinspringen, weiterfahren. Für einen kurzen Moment sehen die Fans „ihren“ Fahrer auch in voller Größe.
Ab der fünften Saison 2018/2019 soll der neue Einheitsakku von McLaren Applied Technologies stark genug sein, um das ganze Rennen durchzuhalten. Erst dann will zum Beispiel BMW als Hersteller antreten. Zurzeit unterstützt der Konzern das Formel-E-Team Amlin Andretti. Und Mercedes? Die Stuttgarter warten noch ab. Vergangenen Oktober sicherte sich Mercedes immerhin schon eine Option auf einen Teamslot ab 2018, wenn Formel-E-Boss Alejandro Agag die Zahl der Teams von zehn auf maximal zwölf aufstocken will.
Für Hersteller wie BMW oder Mercedes ist das Durchhalten der Batterie für ein Rennen die Bedingung, sich in der Formel E zu engagieren. Ein Fahrzeugwechsel könnte das falsche Signal für die Elektromoblität senden und die Reichweitenproblematik in den Fokus stellen.
Die Hersteller tun alles, um bei solch einem Rennen die Fans zu gewinnen. Im „Emotions Club“ für VIPs in Monaco können die Gäste, die ein Ticket für 1800 Euro erstanden haben, zwischen Hummer, Garnelen oder Austern wählen. Fia-Präsident Jean Todt hält Hof, und Prinz Albert soll sogar eine ganze Tribüne für seine monegassische Untertanen „gekauft“ haben.
Knapp 20 000 Zuschauer sind gekommen. Doch der richtige emotionale Funke will beim Rennen nicht überspringen. 231 statt 1000 PS bei der Formel 1, abgeriegelte 225 Stundenkilometer, Surren und Quietschen. „Klar, für Hardcore- Motorsportfans ist die Formel E nichts“, sagt di Grassi. Worin der Unterschied zwischen einem Formel-1- und einem Formel-E-Rennen besteht, beantwortet Fia-Präsident Jean Todt, Ex-Rennfahrer und Formel-1-Teamchef, treffend: „Natürlich ist es ein Unterschied, ob du ein Rinderfilet oder ein Stück Fisch isst.“
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