WM-Kolumne: Die Ersatzspieler entscheiden, ob die WM gut läuft
Die Bedeutung der Ersatzspieler ist enorm groß bei Turnieren. Sie können ein Team spalten - oder es zum Erfolg führen.
Es hat mich wirklich überrascht, wie deutlich und öffentlich Mats Hummels seine Kritik an der Mannschaft nach der Niederlage gegen Mexiko geäußert hat. Das so nach außen zu tragen, ist nicht gut. Denn eines darf der Mannschaft jetzt auf gar keinen Fall passieren: dass sie sich auseinanderdividieren lässt. Die entscheidende Rolle spielen dabei die Ersatzspieler. Die Bank hat es in der Hand, ob es bei einem Turnier gut läuft. Ich habe es schon erlebt, wie Ersatzspieler kurz davor waren, die Stimmung im Team explodieren zu lassen. Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking gab es eine Enttäuschte, die lästerte und eine kleine Revolution starten wollte. Zum Glück haben sich die anderen Spielerinnen davon nicht beeinflussen lassen und wir haben die eine wieder gestoppt.
Wenn es aber nicht so stimmt innerhalb einer Mannschaft und es Querulanten gibt, die ihren Egoismus nicht zurückstellen können, ist es einfach für solche Spalter, andere Frustrierte auf die eigene Seite zu ziehen. Wenn so etwas aufkommt, müssen die erfahrenen Spielerinnen und Spieler sofort dagegenhalten. Und wenn es ansonsten mal verschiedene Meinungen gibt, ist es am besten, sich als Team ohne den Trainer zusammenzusetzen. So haben wir es etwa während der Europameisterschaft 2013 gemacht, nachdem wir in der Vorrunde gegen Norwegen verloren hatten. Wir haben ganz offen und schonungslos miteinander gesprochen – und am Ende haben wir noch den EM-Titel gewonnen. Man kann also auch während eines Turniers das Ruder noch rumreißen. Miteinander zu reden um Dinge zu klären, hilft wirklich. Das ist wie in einer guten Ehe. Man muss es gemeinsam meistern, anstatt sich zu bekriegen.
Spieler mit Empathie für das Team sind enorm wichtig
Es ist natürlich normal, dass bei 23 Spielern in einem Turnierkader nicht alle die besten Freunde sind. Aber man muss dieses Miteinander als Chance sehen, mit verschiedenen Charakteren zusammenzuspielen und sich davon inspirieren zu lassen. Allein daran, wie sich die Ersatzspieler während eines Spiels verhalten, kann man schon sehen, ob der Zusammenhalt da ist. Ich erinnere mich noch gut an die WM 2003. Beim Halbfinale gegen die USA waren wir Ersatzspielerinnen auf der Bank nach dem Spiel fast kaputter als die erste Elf. Wir waren so im Spiel drin, haben im Kopf jeden Pass mitgespielt und unsere Teamkolleginnen pausenlos angefeuert. Maren Meinert hat danach gesagt, auf dem Platz habe sie trotz der 30.000 amerikanischen Zuschauer die Ersatzbank immer gehört.
Deshalb ist die Auswahl der Spieler absolut entscheidend. Wenn ich Bundestrainer wäre und ich hätte meine ersten 15 Spieler, dann würde ich bei den übrigen Spielern nach dem Charakter gehen. Man ist einfach so lange zusammen und braucht absolut Spieler, die einen guten Charakter und Empathie für das Team haben. Auch die frühere Bundestrainerin Silvia Neid hat den Kader natürlich selbst festgelegt, sie hat uns Führungsspielerinnen aber auch mal gefragt: „Wen würdet ihr denn mitnehmen?“ Es ist sehr schlau, wenn ein Trainer so in die Mannschaft hineinhört. Denn dann fruchten die Aussprachen – und das Team hat Erfolg.
Nadine Angerer ist ehemalige Torhüterin der Frauen-Nationalmannschaft, mit der sie zweimal Weltmeister wurde. Hier schreibt sie im Wechsel mit Jens Hegeler, Sven Goldmann, Philipp Köster, Roman Neustädter, Harald Stenger und Frank Lüdecke.
Nadine Angerer