Sven Hannawald vor der Vierschanzentournee: "Die deutschen Springer sind einfach an der Reihe"
Skisprung-Legende Sven Hannawald über die Favoriten für die Vierschanzentournee, Konkurrenz im eigenen Team und den mentalen Druck.
Herr Hannawald, wie geht’s so kurz vor der stressigen Vierschanzentournee Ihrer kleinen Familie?
Alles bestens! Meine Frau Melissa und der kleine Glen begleiten mich diesmal bei der Tournee. Der Kleine macht das gut mit. Wir waren schon zusammen in Titisee-Neustadt und Engelberg bei den Weltcups. So sind wir zusammen und ich fühle mich einfach besser, schließlich bin ich ja dann für Eurosport drei Wochen allein in Südkorea bei den Olympischen Spielen.
Werden Sie und Ihr Anhang 16 Jahre nach ihrem Sieg endlich mal wieder einen deutschen Gesamtsieger bei der Vierschanzentournee erleben?
Die Vorzeichen sind noch besser als in den vergangenen Jahren. Da hatten wir immer nur Severin Freund als Kandidaten. Diesmal ist der Weltcup-Gesamtführende mit Richard Freitag ein Deutscher. Der ist damit natürlich erstmal der Topfavorit auf den Tourneesieg. Dazu kommt mit Andreas Wellinger ein weiterer Sieganwärter aus Deutschland. Ich sehe aber noch eine Reihe anderer Mitfavoriten: Vorjahressieger Kamil Stoch weiß, wie man die Tournee gewinnt. Genau wie Stefan Kraft. Auch die Norweger mit Tande und Forfang an der Spitze sind in Topform. Und dann gibt es da noch eine Traube von Springern wie den Polen Kubacki oder Markus Eisenbichler, die für eine Überraschung sorgen können.
Sie trauen Markus Eisenbichler tatsächlich den Tourneesieg zu?
Es war im letzten Winter bester Deutscher bei der Tournee, die Schanzen kommen ihm entgegen. Beim Weltcup in Russland zum Beispiel war er drei Mal Erster und einmal Zweiter in den Nicht-Wettkampfsprüngen. Er muss nur schauen, dass er nicht immer noch einen draufsetzen will, wenn es drauf ankommt. Andreas Wellinger ist da als Typ entspannter. Der hat sich im letzten Winter mit Stefan Kraft um die Siege gebattelt, der weiß, wie das Siegen geht. Und Richard Freitag nach der Erfolgsserie zuletzt sowieso. Die Bedingungen für das deutsche Team sind jedenfalls perfekt: Es ist immer besser, drei Pferde im Stall zu haben als nur eins.
Was macht Richard Freitag so stark?
Einfach sein Paket, das er geschnürt hat. Vor vielen Jahren hat der finnische Trainer Hannu Lepistö mal gesagt: Das wird der deutsche Springer für die Zukunft. Jetzt scheint es so weit zu sein. Richard hat sich in Sachen Material, Sprungtechnik und Physis weiterentwickelt. Vor allem aber mental. Früher ist es oft, wenn es drauf ankam, in die Hose gegangen. Jetzt weiß er, dass er selbst mit Fehlern vorn dabei ist. Das gibt Selbstbewusstsein.
Kommt er mit dem Erwartungsdruck klar?
Das ist er aber inzwischen gewöhnt. Seitdem er sich kurz nach Saisonbeginn das Gelbe Trikot geholt hat, erwartet doch jeder Topleistungen von ihm. Und er hat sie gebracht: Bisher war er im Weltcup nie schlechter als Sechster. Diese Ausgeglichenheit ist die perfekte Ausgangsbasis für die Tournee, wo man in kürzester Zeit auf vier verschiedenen Schanzen bestehen muss.
Wären Sie nicht auch ein bisschen traurig, wenn es 16 Jahre nach Ihnen wieder ein deutscher Skispringer aufs oberste Siegerpodest beim Skisprung-Grand-Slam schafft?
Nein, ich wäre der Erste, der im Zielraum von Bischofshofen gratuliert. Ich bin mir sicher, dass ein Deutscher in der Gesamtwertung auf dem Podium stehen wird, auch Tagessiege wird es geben. Die deutschen Springer sind einfach an der Reihe. Seit meinem Sieg haben alle anderen großen Skisprung-Nationen mal die Tournee gewonnen: Ob nun Österreich, Norwegen, Slowenien, Polen oder Finnland.
Was würden Sie Richard Freitag und den anderen deutschen Springern raten?
Einfach locker bleiben und sich nicht verrückt machen lassen! Das Kopfkino wird angehen, aber man muss sich bei der Tournee einer anderen Macht überlassen und darf nicht zu viel nachdenken. Der Vorteil in diesem Winter ist genau wie bei mir damals vor 16 Jahren, dass es viele Höhepunkte gibt. Nach dem ersten Highlight folgen noch die Skiflug-WM und die Olympischen Spiele. Irgendwann in diesem Winter werden Andreas Wellinger und Richard Freitag ganz sicher Erfolge feiern.
Alles schaut auf Richard Freitag. Ist das nicht die perfekte Ausgangsposition für Andreas Wellinger?
Seine Ausgangsposition ist tatsächlich ein bisschen so wie meine damals beim Tourneesieg. Ich war ein stiller Gewinner, der von hinten gekommen ist und habe mir damals einen Kindheitstraum erfüllt. Andreas Wellinger könnte auch so ein stiller Gewinner sein.
Glauben Sie, dass in diesem Winter jemand Ihren Rekord brechen und alle vier Springen bei der Tournee gewinnen kann?
Natürlich gibt es wie in jedem Winter ein, zwei Springer, die das theoretisch schaffen können. Aber wenn du den Auftakt in Oberstdorf gewinnst, beginnen die Fragen. Spätestens in Innsbruck wird es unerträglich. Du willst nur noch, dass es endlich vorbei ist. Mit Skispringen hat das dann nicht mehr viel zu tun, da zählt nur noch, wie du mit dem mentalen Druck umgehst. Deshalb ist es so schwierig, das zu schaffen. Den Rekord, das als Erster geschafft zu haben, kann mir ja ohnehin niemand mehr wegnehmen. Und wenn es jemand als Zweiter schafft, werde ich ihm natürlich gratulieren.
Lars Becker