Handball-EM in Polen: Deutschland nach 27:26 gegen Schweden kurz vor der Hauptrunde
Die deutschen Handballer haben bei der EM einen großen Schritt in Richtung Hauptrunde gemacht. Nach einer furiosen Aufholjagd gelang gegen Schweden der erste Turniersieg.
Gott sei Dank, wird Finn Lemke gedacht haben. Gott sei Dank! Der Wurf, den der Handball-Nationalspieler am Montagabend 40 Sekunden vor dem Ende danebensetzte, er hätte ihn vermutlich noch eine Weile verfolgt. Lemke hatte beim Stand von 27:26 so viel Zeit und alle Optionen, nur eben nicht die, den Ball aus Nahdistanz daneben zu werfen.
So musste die Entscheidung in einem hochklassigen Europameisterschaftsspiel zwischen Deutschland und Schweden mit dem letzten Wurf fallen, und weil der Versuch von Lukas Nilsson über dem Tor landete, fiel sie zu Gunsten des Teams von Bundestrainer Dagur Sigurdsson. Nach dem 27:26 (13:17)-Sieg in der Jahrhunderthalle von Breslau haben die Deutschen weiterhin gute Chancen, länger als nur für die Vorrunde im Turnier zu bleiben. „Es war ein heißes Spiel. Wir mussten bis zur letzten Sekunde kämpfen, Riesenkompliment an die Mannschaft“, sagte Sigurdsson.
Der Isländer schickte zunächst die identische Formation wie am Samstag gegen Spanien aufs Feld, im Gegensatz zum ersten Vorrundenspiel erwischte seine Mannschaft aber einen äußerst durchwachsenen Start. Dabei offenbarten die Deutschen – durchaus eine Parallele zum Auftakt – große Probleme im Rückzugsverhalten: Allein in der ersten Halbzeit gewährten sie dem Gegner sechs einfache Treffer durch Tempogegenstöße. Überhaupt ließ der Deckungsverbund in vielerlei Hinsicht zu wünschen übrig. Vor allem gegen einen der acht Bundesliga-Legionäre aus dem schwedischen Kader, namentlich Johann Jakobsson von der SG Flensburg-Handewitt, fanden die Deutschen kein Mittel.
Wolff eröffnete die Aufholjagd mit zwei spektakulären Paraden
Nach einer Viertelstunde – Sigurdsson hatte gerade den erneut glücklosen Torhüter Carsten Lichtlein gegen Andreas Wolff ausgetauscht – wurde es dann immerhin ein wenig besser: Beim 10:10 (19.) gelang Steffen Fäth zum ersten Mal seit dem Anpfiff wieder der Ausgleich. Insgesamt kam allerdings viel zu wenig Torgefahr von den Rückraumschützen. Beinahe die Hälfte aller Treffer im ersten Durchgang (6/13) ging auf das Konto von Rechtsaußen Tobias Reichmann, der – abgesehen vom letzten Siebenmeter vor der Halbzeitsirene – alle Strafwürfe souverän verwandelte.
Zudem schwächten sich die Deutschen durch unkonzentrierte Aktionen, die auf internationalem Niveau erfahrungsgemäß schwere Konsequenzen nach sich ziehen – wie etwa einen Wechselfehler von Niclas Pieczkowski, der turnusmäßig bestraft wurde: mit einer Hinausstellung und Ballbesitz für die Schweden.
Mit der Pausensirene (13:17) kassierte Dagur Sigurdsson eine Gelbe Karte, weil er an der Seitenlinie zu vehement mit den kroatischen Schiedsrichtern gehadert hatte. Eine Marotte, die sich der Bundestrainer eigentlich abgewöhnt hat. Im konkreten Fall sagte sie aber viel über den Spielverlauf: Sigurdsson war nicht zufrieden, und das konnte er auch nicht sein.
Was sich dann in Halbzeit zwei ereignete, erinnerte wiederum an den ersten Spieltag der Vorrundengruppe C: Da war es den Schweden gegen Slowenien gelungen, einen gewaltigen Vorsprung (16:9) innerhalb kürzester Zeit zu verspielen. Zwei Tage später benötigten das deutsche Team exakt fünf Minuten, um den Drei-Tore-Rückstand aus Halbzeit eins zu egalisieren: Andreas Wolff eröffnete die Aufholjagd mit zwei spektakulären Paraden, und seine Vorderleute brachten das Werk des Torhüters auf der anderen Seite des Feldes zu Ende: Unter größtmöglichem Einsatz seiner Gesundheit traf Kapitän Steffen Weinhold zur ersten Führung seines Teams (21:20), wenig später stand es 26:22.
Schwedens Coach Staffan Olsson, zu aktiven Zeiten einer der Weltbesten seines Fachs, stand wie versteinert neben seiner Wechselbank. Trotzdem wurde es am Ende, gerade nach der Roten Karte gegen Christian Dissinger und einer 4-6-Unterzahl, noch einmal verdammt eng. Wer sich davon kaum beeindrucken ließ, war Torhüter Wolff. „Die Freude ist groß“, sagte er Sekunden nach dem Spiel völlig ruhig: „Vor allem innerlich.“
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