Handball-EM in Polen: Carsten Lichtlein: „Es wird garantiert keinen Streit geben“
Handballkeeper Carsten Lichtlein über den Konkurrenzkampf im Tor und den EM-Auftakt heute gegen Spanien.
Herr Lichtlein, in der Handball-Nationalmannschaft war es jahrelang so, dass der Spieler mit den meisten Länderspielen ...
... automatisch auch Kapitän ist, stimmt. Heiner Brand hat das zu seiner Zeit immer so gehandhabt. Damals hatte ich ja auch ein paarmal die Ehre.
Im deutschen EM-Kader sind Sie der Spieler mit den meisten Länderspielen – trotzdem ist Steffen Weinhold nach dem Ausfall von Uwe Gensheimer zum Kapitän ernannt worden und Sie zum Stellvertreter. Stört Sie das gar nicht?
Nein, für mich ist es total okay, wie der Bundestrainer die Kapitänsfrage geregelt hat. Steffen kann nun mal auf beiden Seiten des Feldes Einfluss auf das Spiel nehmen, also im Angriff und in der Abwehr. Für mich als Torhüter ist das bekanntlich ein bisschen schwieriger. Ich habe wirklich kein Problem mit der Entscheidung, zumal sich für mich nichts ändert, ob ich nun Kapitän bin oder Co-Kapitän oder keines von beidem. Abgesehen vielleicht von dem medialen Interesse.
Diese Aussagen passen zu dem Bild, das Ihre Mannschaftskollegen seit Jahren von Ihnen zeichnen: das eines ausgeprägten Teamplayers, der sich nie zu wichtig nimmt, obwohl er sehr wichtig ist.
Das freut mich natürlich. Andererseits muss ich als Handballer und im Speziellen als Torhüter genau das sein: ein Teamplayer. Im Verlauf eines Turniers reicht es nie, einen starken Keeper im Kader zu haben, das Gespann muss funktionieren. Deshalb ist es wichtig, ein gutes Verhältnis zu seinem Konkurrenten zu haben, sich gegenseitig zu beraten und zu helfen. Das ist zwischen mir und Andreas Wolff der Fall, genau so wie es zwischen mir und Silvio Heinevetter auch immer war. Ich versichere Ihnen, dass es während der EM garantiert keine Streitigkeiten zwischen uns Torhütern geben wird.
Am Samstag (18.15 Uhr/ZDF) beginnt das Turnier für die deutsche Mannschaft mit dem Duell gegen Spanien, einen der Turnierfavoriten. Was sagt Ihr Bauchgefühl?
Das ist schwierig. Auf jeden Fall merke ich, wie die Anspannung wenige Stunden vor dem ersten Spiel steigt. Wir haben Respekt vor den Spaniern, aber keine Angst. Wenn der Masterplan von Bundestrainer Dagur Sigurdsson aufgeht, sehe ich durchaus Chancen. Wir haben viele Videos von den Spaniern gesehen und sind gut vorbereitet. In jedem Fall müssen wir auf uns schauen und nicht allzu sehr auf den Gegner. Wir müssen unser System durchbringen.
Ist es vorteilhaft, das Turnier gleich gegen einen solch starken Gegner zu eröffnen?
Ich glaube schon. Wenn wir einen vermeintlich schwächeren Auftaktgegner hätten, wäre der Druck für unsere junge Mannschaft wesentlich größer. So können wir recht befreit spielen, Spanien ist der Favorit. Das hilft vor allem den Jungs, die zum ersten Mal bei einem großen Turnier dabei sind. Bei der WM 2015 in Katar ist uns das ja auch gut gelungen: Polen, Dänemark, Russland – das waren gleich richtige Brocken zu Beginn, und die guten Ergebnisse gegen diese Teams haben uns damals durch das Turnier getragen.
Bei der EM fehlen den Deutschen mehrere Stammkräfte. Viele Beobachter waren erstaunt darüber, wie souverän und konsequent Dagur Sigurdsson die Verletztenmisere wegmoderiert hat. Wie erleben Sie den Bundestrainer in diesen Tagen?
Dagur ist ein sehr besonnener Typ, akribisch in seiner Arbeit, immer kreativ. Ein großes Plus ist, dass er von der Bank aus Ruhe ausstrahlt, das zeigt sich schon in den Besprechungen vor dem Spiel, da gibt es knappe Ansagen, man wird nicht mit Informationen überhäuft. Und selbst wenn es später im Spiel nicht läuft, verbreitet er keine Hektik. Dadurch bleiben auch die jungen Spieler in der Spur – und davon haben wir ja einige.
Viele sagen, es handele sich um die spannendste und perspektivisch beste deutsche Mannschaft seit Jahren.
Den Eindruck teile ich. Man muss sich nur mal unseren Mittelblock mit Erik Schmidt und Finn Lemke ansehen. Was für Hünen, und das in dem Alter! Solch lange Kerls hatte ich schon ewig nicht mehr vor mir stehen, das gibt mir als Torhüter natürlich ein gutes Gefühl.
Welche Tipps können Sie als ältester Spieler des Kaders den Neuen mitgeben?
Ach, so viel muss ich da gar nicht sagen, die sind doch alle Profis genug. Wenn sie ein Problem haben, kommen sie auf mich zu und nicht umgekehrt. Meine Tür steht jedenfalls immer offen.
Das Gespräch führte Christoph Dach.