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Paulinho feiert sein Tor gegen Serbien.
© Francisco Leong/AFP

Fußball-Weltmeisterschaft: Der wichtigste Stratege der Selecao

Paulinho ist Brasiliens entscheidender Stratege. Dabei wollte er seine Karriere eigentlich schon vor langer Zeit beenden.

Der wortkarge Herr hinter dem Mikrofon wirkt aus der Zeit gefallen. Sein breiter 70er-Jahre-Schnauzbart erinnert an Größen aus der Post-Pelé-Ära wie Cerezo oder Rivelino. Zumal Paulinho auch auf dem Rasen irgendwie Old School ist. Katzenhaft schlich er im dritten Gruppenspiel gegen Serbien (2:0) von der Mittellinie in Richtung Strafraum, wo ihn Coutinhos wohl temperierter Chippass erreichte. Ein gefühlvoller Heber über Torwart Stojkovic, ein Treffer zum 1:0 und - keine peinliche Selbst-Inszenierung. Statt vor einer Kamera den Neymar zu geben, fiel Paulinho dem nächstbesten Mitspieler in die Arme. Der hieß zufällig Neymar.

Nun sitzt er da, in der internationalen Pressekonferenz nach der Partie. Jemand fragt, ob er Schadenfreude empfinde über das Ausscheiden der Deutschen. Paulinho, während des legendären 1:7 vor vier Jahren beim Stand von 0:5 eingewechselt, hebt eine Braue: „Der Respekt gegenüber Deutschland gebietet es, nichts zu sagen.“ Auch als es um die eigene Leistung gegen Serbien geht, wirkt der Mann vom FC Barcelona nicht sonderlich mitteilsam: „Viele Leute denken: Paulinho spielt nur dann gut, wenn er trifft. Aber mein eigentlicher Job ist es, der Mannschaft zu helfen. Das betrifft viele kleine Dinge, die nicht jeder bemerkt."

Derweil sitzt Tite an Paulinhos Seite und hört genüsslich zu. Für Brasiliens Nationalcoach sind es nämlich genau diese „kleinen Dinge“, die Paulinho so wertvoll machen: das Ausbalancieren als Box-to-Box-Player, seine Übersicht, die brillanten Laufwege und sein Gespür für Tempo- und Richtungswechsel. José Paulo Bezerra Maciel Junior, so Paulinhos bürgerlicher Name, ist nicht richtig zu fassen: Von den brasilianischen Fans nicht, weil die ihn nach seinem China-Wechsel abgeschrieben hatten. Von den Gegnern nicht, weil Paulinhos Lauf- und Passwege für normalsterbliche Analysten schwer entzifferbar sind. Paulinho dechiffrieren? Unmöglich. Deshalb avanciert der 29-Jährige im Schatten schillernder Figuren wie Neymar oder Coutinho zum wichtigsten Strategen der Selecao.

„Kommst du nach Barcelona?“

Dabei war Paulinhos Laufbahn lange Zeit eine Aneinanderreihung von Missverständnissen. 2006 wurde der damals 18-Jährige für eine Saison an den FC Vilnius nach Litauen ausgeliehen. Von dort führte ihn die Reise zu LKS Lodz nach Polen, ehe er die Schuhe an den Nagel hängen wollte, die Schnauze voll vom Viehmarkt Fußball-Business. Doch seine Frau entgegnete: „Du kannst nichts außer Fußball, du hast nie etwas anderes gelernt.“

Nach trostlosen Jahren bei unterklassigen brasilianischen Klubs wie GO Audax oder CA Bragantino, nahm Paulinhos Karriere über Corinthians Sao Paulo, das Nationalteam und eine starke Vorstellung beim Confed-Cup 2013 mit zwei Toren doch noch Fahrt auf und er wechselte für rund 20 Millionen Euro nach Tottenham, wo er erst gefeiert, nach einer dummen Roten Karte gegen Liverpool jedoch verdammt wurde. 2015 ging Paulinho als gescheiterter Europa-Legionär zu Guangzhou Evergrande nach China und legte seine sportlichen Ambitionen ad acta - so schien es.

Doch Tite hielt noch immer viel von seinen Fähigkeiten und holte seinen Schützling aus gemeinsamen Corinthians-Zeiten zurück in die Selecao. Und nicht nur er. Als Brasilien im Juni 2017 ein Testspiel gegen Argentinien bestritt und Paulinho beim Freistoß stand, kam Lionel Messi auf ihn zu und fragte: „Kommst du nach Barcelona?“ Die ungläubige Antwort: „Wenn ihr mich nehmt.“

Ein paar Wochen später überwiesen die Katalanen 40 Millionen Euro - für einen fast 30-Jährigen aus der „Super League“, der bei seiner Vorstellung im Camp Nou nicht einmal gescheit den Ball hochhalten konnte. Schnee von gestern, denn Paulinho erledigt auch bei Barca all die kleinen Dinge, die ihn in der „Selecao“ so unverzichtbar machen. Dabei hatte er daran selbst nicht mehr geglaubt: „Wenn mir während der vorletzten Saison einer gesagt hätte, dass ich bald darauf in Barcelona spielen und mich auf die WM vorbereiten würde, hätte ich geantwortet: ,Nie, nie, nie.'“

Rolf Heßbrügge

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