Gegen die Spaltung unserer Gesellschaft: Der Sport ist die größte Bürgerinitiative des Landes
Im Breitensport wird ein demokratisches Grundverständnis gelebt. In der momentanen Krise ist das wichtiger denn je. Ein Appell von Kaweh Niroomand.
Mit Sorge betrachte ich, wie sich Populismus, Polemik und Ignoranz in der Diskussion um die Corona-Maßnahmen ausbreiten. Nichts davon wird uns helfen, die weltweite und somit die gesamte Menschheit umfassende Herausforderung der Pandemie zu bewältigen.
Natürlich ist es – wie in jeder Krise – einfach, die Politik allein für diese Situation verantwortlich zu machen. Keine einheitlichen Regelungen für alle Bundesländer, inkonsequente Entscheidungen, mangelnde internationale Zusammenarbeit, betrügerische Masken-Affären, später korrigierte bzw. präzisierte Wahlkampfaussagen und noch vieles mehr … nur ganz so einfach ist es eben nicht!
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, selbstverständlich gab es im Verlauf der Pandemie politische Fehleinschätzungen und jeder, der die Notlage zur eigenen Bereicherung genutzt hat, muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Eine pauschale Verurteilung oder gar eine allgemeine Bezichtigung der Lüge politischer Verantwortungsträger ist aber nicht richtig.
Die Politik steht grundsätzlich und immer vor der schwierigen Aufgabe, bei ihren Entscheidungen die verschiedensten Interessenslagen zu beachten und möglichst in konsensfähigen Beschlüssen zu vereinen. Das war und ist in dieser Pandemie nicht anders.
Kaweh Niroomand steht und wirbt für ein Grundvertrauen in unsere Demokratie.
Über allem stand und steht hier stets der Schutz der Bevölkerung – aber weder das Gesundheitssystem noch die Wirtschaft dürfen zusammenbrechen, weder das Bildungswesen noch die Grundversorgung dürfen gefährdet werden, weder das gesellschaftliche Leben noch das soziale Miteinander dürfen zum Erliegen kommen. Die politische Entscheidungsfindung war und ist demzufolge ungemein komplex und wird dadurch erschwert, dass es in der jüngeren Vergangenheit keine vergleichbare Situation gab, auf deren Erfahrungen und Erkenntnissen man zurückgreifen konnte und kann.
Ja, nicht alle ergriffenen Maßnahmen waren rückblickend richtig, und ja, bestimmte Gesellschaftsbereiche, Bevölkerungsgruppen und Wirtschaftszweige waren davon besonders betroffen. Alles in allem jedoch habe ich großen Respekt vor allen handelnden Personen, die sich ihrer politischen Verantwortung und diesem unglaublich schwierigen Abwägungsprozess gestellt haben.
Zumal ich zu erkennen glaube, dass man aus den eigenen Fehlern im Pandemieverlauf gelernt hat: Ein kompletter Lockdown soll künftig möglichst vermieden werden, Schulen und Kitas werden nicht mehr pauschal geschlossen, Coronahilfsprogramme zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen für die besonders Betroffenen werden verlängert und optimiert, der Diskurs über eine allgemeine Impfpflicht wird demokratisch geführt.
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Gleichzeitig bereiten mir der immer häufiger und offener artikulierte Populismus, die zunehmende Radikalisierung zahlreicher Menschen und die daraus resultierende Gefahr einer Spaltung große Besorgnis. Ein Blick auf die Geschichte zeigt uns, dass wir als Zivilgesellschaft gerade in Krisenzeiten achtsam sein, statt der Unterschiede die Gemeinsamkeiten betonen und unseren Zusammenhalt bewahren müssen. Besonders in solchen Zeiten brauchen wir ein Grundvertrauen in unsere Demokratie sowie deren Vertreter und Institutionen. Dafür stehe ich und dafür werbe ich.
Der Spitzen- und Profisport besitzt eine klare gesellschaftliche Verantwortung.
Gerade in Zeiten, in denen die Geduld und das Verständnis vieler Menschen aufgrund ihrer ganz persönlichen Pandemieauswirkungen schwinden, müssen wir unsere Kritik wohlüberlegt formulieren und zielgerichtet anbringen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir damit genau jene Geister beschwören, die inzwischen mit Fackeln vor den Häusern unserer demokratisch gewählten Volksvertreter aufmarschieren.
Auch hier möchte ich nicht falsch verstanden werden: Natürlich sind kritische Äußerungen, legitimer Protest und konstruktive Forderungen in einer Demokratie nicht nur erlaubt, sondern sogar notwendig. Mit diesen Äußerungen, Protesten und Forderungen sollte jedoch nie die Grundstruktur der Demokratie, also der Staat und dessen Repräsentanten grundsätzlich in Frage gestellt werden. Diese Grundstruktur zu verteidigen ist – nicht nur, aber insbesondere während einer Krisensituation – die Pflicht eines jeden Demokraten.
Hierbei kann der Sport einen wichtigen Beitrag leisten. Mit 27 Millionen Menschen, die in fast 90 Vereinen organisiert sind, ist der Sport die größte zivilgesellschaftliche Bürgerinitiative unseres Landes. Der Sport und dessen Institutionen vermitteln Werte wie Respekt, Akzeptanz und Toleranz. Also genau jene Grundwerte, die wir in unserer Gesellschaft zurzeit mehr denn je benötigen.
Menschen mit und ohne geistige oder körperliche Benachteiligung, mit völlig unterschiedlichen sozialen Hintergründen, politischen Weltanschauungen oder religiösen Glaubensrichtungen kommen und finden hier zusammen. Während im Breitensport also ein demokratisches Grundverständnis alltäglich und ganz natürlich gelebt wird, besitzt der Spitzen- und Profisport in meinen Augen zusätzlich noch eine „Leuchtturmfunktion“ und somit eine klare gesellschaftliche Verantwortung.
Dessen Protagonisten stehen häufig im Blickpunkt der Öffentlichkeit und haben deshalb mit ihren Worten und Taten enormen Einfluss auf die Menschen in unserem Land. Umso verantwortungsbewusster müssen wir also mit diesen Worten und Taten umgehen.
Der Blick muss auf das Gesamtbild gerichtet werden.
Auch im Sport sind die im Zuge der Pandemie entstandenen Herausforderungen vielseitig und vielschichtig. Grundsätzlich gilt auch hier: Die Gesundheit der Menschen steht über allem. Gleichzeitig brauchen wir Möglichkeiten zum Sporttreiben, weil damit nicht nur ein soziales Miteinander, sondern eben auch jene Gesundheit gefördert werden.
Vor allem Kinder und Jugendliche, deren Lebensalltag sich durch die massiven Einschränkungen in den Schulen, Kitas und Freizeiteinrichtungen gravierend verändert hat, benötigen die körperliche Bewegung und den Austausch mit Gleichaltrigen. Der Spitzensport ist auf professionelle Trainingsbedingungen und Veranstaltungen mit Publikum angewiesen.
Ein erneuter Ausschluss der Zuschauer würde die Klubs sowohl in ihrer gesellschaftlich verbindenden Funktion als auch wirtschaftlich enorm schwächen. Alle diese Interessen gilt es zu berücksichtigen, ohne einen erfolgreichen Kampf gegen die Pandemie zu gefährden. Um das erreichen zu können, müssen wir unseren Blick auf das Gesamtbild richten, statt Partikularinteressen zu vertreten.
Breite und Spitze können im Sport nur zusammen gedacht werden, denn das eine bedingt das andere. Vor allem aber müssen wir hierfür den konstruktiven Austausch mit den politischen Entscheidungsträgern suchen, statt diese mit pauschaler Kritik zu konfrontieren.
Der Sport kann in dieser schwierigen Situation und historischen Krise einen wichtigen Beitrag dazu leisten, unsere Gesellschaft zusammen zu halten. Diese Möglichkeit müssen wir ergreifen, dieser Verantwortung wollen wir uns stellen.
Kaweh Niroomand, 69, ist Manager der BR Volleys und Sprecher der sechs großen Berliner Profiklubs. Von 2018 an war er für drei Jahre Vizepräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes.
Kaweh Niroomand