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Maximale Biegung. Raphael Holzdeppe hatte große Verletzungsprobleme im vergangenen Jahr. In London glaubt er an eine Medaille – und sogar an sechs Meter.
© Rainer Jensen/dpa

Stabhochspringer Raphael Holzdeppe: Der kalte Hund mit dem Stab

Stabhochspringer Raphael Holzdeppe will sein Pannenjahr 2016 mit einem guten Auftritt bei der Leichtathletik-WM vergessen machen.

Man will sich gar nicht ausmalen, wie sich das anfühlt. Wenn man nur noch diesen einen Versuch hat, der unbedingt sitzen muss. Weil sonst ein Jahr Arbeit im Grunde umsonst gewesen ist. Weil man sich sonst statt einem Jahr schuften auch einfach eine nette Zeit hätte machen können. Der Hochspringer Raphael Holzdeppe hat am Sonntag bei der Leichtathletik-WM in London am vermutlich versucht, solche Gedanken gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Holzdeppe ist eine der wenigen Medaillenhoffnungen der deutschen Mannschaft in London. Aber er musste in der Qualifikation diese 5,70 Meter überqueren, um sich sicher für das Finale am Dienstag (20.35 Uhr) zu qualifizieren. Zweimal hatte er schon gerissen. Er nahm den Stab in die Hand, der viel zu heftige Wind blies ihm ins Gesicht. Dann rannte er los.

Nun zählt das Stabhochspringen zu den nervenaufreibendsten Disziplinen der Leichtathletik. Keine andere ist technisch so anspruchsvoll, keine andere wird so sehr beeinflusst von so vielen externen Faktoren wie dem Wetter, dem Untergrund oder der Absprungrampe. Stabhochsprung ist Zentimeterarbeit, kleinste Abweichungen werden bestraft. Und deswegen straucheln manchmal selbst die besten an Höhen, die sie eigentlich locker draufhaben. Wer im Stabhochsprung bestehen will, der muss schon ein kalter Hund sein. So bezeichnen die Leichtathleten besonders nervenstarke Sportler. Einer der kältesten Hunde überhaupt in der Leichtathletik war auch ein Stabhochspringer. Der Ukrainer Sergej Bubka ist die Überfigur seines Sports. In den Achtziger- und Neunzigerjahren experimentierte er oft bei niedrigen Höhen, riss diese häufiger mal, um sich dann eine schwindelerregende Höhe auflegen zu lassen, die er regelmäßig überquerte.

„Ich bin bereit für 5,90 Meter, ja sogar für sechs Meter.“

Raphael Holzdeppe gehört ebenfalls zur Gattung der kalten Hunde, andernfalls wäre er nicht mit gerade einmal 22 Jahren 2013 in Moskau Weltmeister geworden. Als erster Deutscher überhaupt. Und andernfalls hätte er auch am Sonntag nicht diesen dritten Versuch über 5,70 Meter bei schwierigen Bedingungen gemeistert. Holzdeppe beim Stabhochsprung zuzusehen ist ein kleines Ereignis. Auch in London verblüffte er mit seinem atemraubenden Anlauf. Der Mann hätte auch ein guter Sprinter werden können, er erreicht im Anlauf knapp 37 Stundenkilometer.

„Ich hatte mir vorgenommen, diesmal keinen dritten Versuch einzubauen – ist leider fehlgeschlagen“, sagte er. „Aber ich bin erleichtert und habe gute Sprünge gezeigt. Im Finale ist alles möglich.“

Dabei muss man wissen, dass übersprungene 5,70 Meter für Holzdeppe eigentlich kein Grund zur Freude sind. Der Mann kratzte schon an den sechs Metern, bei 5,94 Metern steht seine Bestleistung. Diese stammt aus dem Jahr 2015; eine Medaille bei den Olympischen Spielen in Rio durch Holzdeppe hatten die deutschen Leichtathleten schon eingeplant. Es kam alles anders als geplant. Holzdeppe verletzte sich am Sprunggelenk und wurde bis zu den Olympischen Spielen auch nicht mehr richtig fit. Er scheiterte dort in der Qualifikation. „Das war ein sehr schwieriges, aber auch sehr lehrreiches Jahr“, sagt er heute. Er sagt das wohl auch, weil die Karriere von Holzdeppe bis dahin ohne größere Einschläge geblieben war. Er wurde Juniorenweltmeister, Weltmeister sowie Weltmeisterschaftszweiter bei den Senioren und 2012 holte er bei den Olympischen Spielen in London die Silbermedaille.

Holzdeppe sind all diese Erfolge auch anzumerken. Obwohl er im vergangenen Jahr lange nicht trainieren konnte und seine Bestleistung in dieser Saison von 5,80 Metern doch ein gutes Stück weg ist von den Besten, sagt er: „Ich bin bereit für 5,90 Meter, ja sogar für sechs Meter.“ Das sind ambitionierte Ziele, zumal in dieser Saison reihenweise Stäbe während des Wettkampfs brachen – nicht nur bei Holzdeppe. Er nahm nun einen Materialwechsel vor, wechselte von Kohle- auf Glasfaser. „Das ist nicht einfach, da muss man seinen Sprungstil umstellen“, sagt er. An seinem Ziel ändert aber auch das nichts.

„Einen guten Wettkampf in London zu machen, reicht mir nicht. Ich will eine Medaille“, sagt er. So schön selbstbewusst geht kaum einer der deutschen Sportler in die Wettkämpfe bei diesen Weltmeisterschaften.

Martin Einsiedler

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