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Im Fokus: Sebastian Polter wird nicht mehr für den 1. FC Union spielen.
© Camera 4/Imago

Vor dem Spiel des 1. FC Union in Gladbach: Der bittere Abgang des Sebastian Polter

Sebastian Polter wurde von den Union-Fans verehrt. Nun nimmt seine Zeit in Köpenick ein trauriges Ende. Dabei hätte er im Abstiegskampf helfen können.

Als die berühmte Vereinshymne von Nina Hagen durch die leere Alte Försterei hallte, hielt Sebastian Polter sein Trikot hoch über seinen Schultern. So, wie jeder Union-Fan es normalerweise vor einem Spiel mit dem Schal tun würde. Beim Geisterspiel gegen Bayern München gab es aber keine Fans. Es gab nur Sebastian Polter, der als Ersatzspieler auf der Tribüne saß, und als Einziger im Stadion die heiligen Rituale befolgte.

Bei Union mögen sie solche Spieler. Spieler, die die nahezu religiöse Liebe der Fans zu ihrem Verein nicht nur zu schätzen wissen, sondern auch ein Stück weit teilen. Spieler, die in den Worten des Hagen-Lieds „immer volles Rohr“ geben, und wie Polter vielleicht auch mal ein „Extra-Tor“ schießen. Spieler, die sich selbst als Unioner sehen.

Klub und Spieler streiten über eine angebliche Weigerung, auf Gehalt zu verzichten

Umso größer war das Erdbeben, das Union mit seiner kurzen Pressemitteilung am Donnerstag in Köpenick auslöste: Sebastian Polter werde wegen „unsolidarischen Verhaltens“ bis zum Saisonende aus dem Spieltagskader gestrichen – und spielt damit wohl nie wieder für den 1. FC Union.

Dem Klub zufolge ging es um eine Vereinbarung zwischen Präsidium und Mannschaftsrat über einen „solidarisch wirkenden Beitrag gegenüber dem Verein“. Mit anderen Worten: Es ging um Gehaltsverzicht während der Coronavirus-Pandemie. Diese Vereinbarung hätte nicht das Präsidium, sondern der Anwalt des Mannschaftsrates erarbeitet. Und obwohl Polter selbst Mitglied im Mannschaftsrat ist, habe er sich als einziger Lizenzspieler geweigert, sie zu unterzeichnen.

Polter selbst sieht die Dinge anders, er wehrt sich gegen den Vorwurf mangelnder Solidarität. Zwar sei es nicht zu einer Vereinbarung zwischen ihm und Union gekommen, sagte der Stürmer in einem Statement auf der Klubseite. Er habe sich aber nicht geweigert, „seinem Herzensverein während der Pandemie wirtschaftlich entgegenzukommen und zu helfen“, betonte er.

Geschützt: Sebastian Polter wird beim 1. FC Union nur noch abseits des Spielfeldes zu sehen sein.
Geschützt: Sebastian Polter wird beim 1. FC Union nur noch abseits des Spielfeldes zu sehen sein.
© Matthias Koch/Imago

Manche Union-Fans werden es Polter verständlicherweise dennoch übel nehmen, dass er in der Krise offenbar einen Gehaltsverzicht nicht mitgetragen hat, während sie dem Verein ihr Geld für virtuelles Bier und Bratwurst spendeten. Moraldebatten, die von Sportjournalisten und Fußballfunktionären geführt werden, sind aber meistens mit Skepsis zu betrachten. Und schließlich muss auch die Vereinsführung jetzt mit Kritik rechnen. Vor allem wegen des Timings.

Denn gelegen kommt dieses Drama gerade nicht. In den drei Spielen seit dem Neustart hat Union lediglich einen Punkt geholt. Vor dem Spiel am Sonntag gegen Borussia Mönchengladbach (15.30 Uhr/Sky) ist der Relegationsplatz für die Köpenicker wieder bedrohlich nahe gerückt.

„Wir haben ein schweres Spiel am Sonntag und es gilt, die Mannschaft bestmöglich darauf vorzubereiten,“ sagte Urs Fischer am Freitag. Er trage die Suspendierung natürlich mit, aber „sie hat nichts mit der sportlichen Einschätzung von Sebastian Polter zu tun“, fügte er hinzu.

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Im Gegenteil: Polter wäre als leidenschaftlicher und kampfstarker Stürmer gerade im Abstiegskampf wichtig gewesen. Und egal, wem man in diesem Streit am Ende Recht gibt, ist es für alle Beteiligten ein unwürdiges Ende. Denn Polter und Union – das passte einfach viel zu lange richtig gut.

Der bei Mainz außen vor gelassene Stürmer landete im Sommer 2014 an der Alten Försterei und spielte sich direkt in die Herzen der Köpenicker: Schon in seinem zweiten Spiel schoss er Union mit zwei Treffern zum Sieg über RB Leipzig. Danach gab es 14 Tore in 29 Spielen, bevor er nach England wechselte. Anderthalb Jahre später wurde er als verlorener Sohn wieder empfangen.

Wie jeder verlorene Sohn war auch er nie perfekt. Nach seinem Platzverweis am 31. Spieltag der Saison 2016/2017 musste Union seine Aufstiegshoffnungen endgültig begraben. Das machte er mit zwölf Toren in der Folgesaison aber wieder wett. Ohnehin unvergessen bleiben Polters Beiträge im Aufstiegsjahr: der Fallrückzieher gegen Kiel bei seiner Rückkehr nach langer Verletzungspause, der Pokalauftritt in Dortmund und die zwei Tore beim entscheidenden 3:0-Sieg gegen Magdeburg.

Union im Herzen: Sebastian Polter (links) nach dem Derbysieg im November gegen Hertha.
Union im Herzen: Sebastian Polter (links) nach dem Derbysieg im November gegen Hertha.
© Matthias Koch/Imago

Und dann gab es diesen Elfmeter im November. Polters letztes Tor für Union wird wohl für immer das Bekannteste bleiben. In der 87. Minute gewann er mit einem Strafstoß das erste, aufgeheizte Bundesliga-Derby gegen Hertha BSC. Das Bild von seinem Jubel vor dem Fanblock wurde später zum Sportfoto des Jahres gekrönt: ein Kunststück, das nicht nur Unions Triumph erfasste, sondern auch das besondere Verhältnis zwischen Polter und den Fans.

Dass dieses Verhältnis kein glückliches Ende finden würde, stand eigentlich schon seit Wochen fest. Schon im Februar kündigte Polter in einem Interview an, dass im Sommer Schluss sein würde bei Union. Der Stürmer beschwerte sich über zu wenig Einsatzzeit und die aus seiner Sicht mangelnde Wertschätzung der sportlich Verantwortlichen. Nur die Fans hätten ihn immer unterstützt.

Schwierige Vertragsentscheidungen musste Union in den letzten Jahren immer wieder treffen, etwa bei Christopher Quiring oder Torsten Mattuschka. Aber kaum ein Abgang ist so bitter wie dieser. Das liegt auch daran, dass die Fans in der aktuellen Situation nicht die Möglichkeit haben werden, Polter zu verabschieden.

Anfang Mai hatte Klub-Präsident Dirk Zingler ihm noch ein würdiges Ende in Aussicht gestellt. Doch dazu wird es nun wohl nicht mehr kommen. Stattdessen nimmt der einstige Derbyheld in seinen letzten vier Wochen nur noch am Mannschaftstraining teil, und sitzt bei Spielen höchstens als Zuschauer auf der Tribüne. Ob er den Union-Trikot dann immer noch hochhält, bleibt abzuwarten.

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