Hertha BSC gegen RB Leipzig: Davie Selke: „Ich bin so glücklich wie noch nie“
Davie Selke spricht über seine Entwicklung bei Hertha BSC, die schwäbische Mentalität und seine Chancen für die Nationalmannschaft.
Herr Selke, am Dienstag gibt Joachim Löw seinen Kader für die WM in Russland bekannt.
Wusste ich noch gar nicht.
Wissen Sie denn schon, was Sie an diesem Tag machen?
Da werde ich wahrscheinlich beim Training sein.
Welchen Stürmer würden Sie für die WM nominieren?
Gut, dass ich das nicht entscheiden muss. Sandro Wagner hat immer gut gespielt, wenn er bei den Bayern seine Chance bekommen hat. Und Mario Gomez ist beim VfB Stuttgart Leistungsträger. Er ist wichtig mit seiner Präsenz und hat eine tolle EM gespielt. Ich bin selbst gespannt.
Was ist mit Davie Selke?
(Lacht) Ich bin Realist. Ich rede nur über Dinge, die relevant sind. Eine WM-Teilnahme zähle ich nicht dazu.
Warum nicht?
Dafür war das Jahr 2017 nicht gut genug. Aber wenn ich so weitermache wie zuletzt, kann ich es bei Hertha vielleicht schaffen, eine Alternative für die Nationalmannschaft zu werden. Das ist auf jeden Fall mein Ziel.
Mit dem Heimspiel gegen Leipzig geht Ihre erste Saison bei Hertha zu Ende, ausgerechnet gegen den Klub, von dem Sie nach Berlin gewechselt sind.
Zu dem Thema habe ich wirklich schon genug gesagt. Mein Fokus liegt darauf, dass wir einen guten Saisonabschluss hinbekommen. Ich glaube, das wird ein geiles Spiel. Es kommen viele Leute, das Wetter ist hoffentlich gut. Für den Gegner geht es noch richtig um was. Und wir können frei aufspielen.
Sie wissen aber schon, dass Herthas Fans dieses Spiel viel bedeutet?
Das hat man schon in der Hinrunde gemerkt, als wir dort gewonnen haben. Die Fans haben sich riesig gefreut. Jetzt haben wir wieder die Chance, sie möglichst glücklich in die Pause schicken. Auch wenn es sehr schwierig werden wird.
Wie glücklich sind Sie mit Ihrem ersten Jahr in Berlin?
Sehr glücklich – weil alles so eingetreten ist, wie ich es mit den Verantwortlichen von Hertha beredet habe. Mir war es wichtig, einen Verein zu finden, der mir Wertschätzung schenkt und vor allem Spielminuten. Deswegen bin ich nicht nach England gegangen, sondern zu Hertha. Das habe ich zu keiner Sekunde bereut. Sportlich bin ich hier so glücklich wie eigentlich noch nie.
Nicht mal bei Werder Bremen?
Bremen spielt für mich eine besondere Rolle, weil es der Start in meine Karriere war. Das war ein bisschen surreal, wie schnell es damals für mich ging. Ich war 19! Hier bei Hertha habe ich wieder erfahren, was es bedeutet, Rückendeckung zu haben. Und wie wichtig das ist. Das genieße einfach.
Hat Berlin Sie stärker als Fußballer verändert oder als Mensch?
Das kann man schwer voneinander trennen. Fußballerisch habe ich hier einen großen Schritt gemacht. Wettkampfpraxis ist das Wichtigste, die habe ich hier bekommen. Dadurch habe ich mich sportlich weiterentwickelt, bin konstanter geworden – auch wenn es für einen Stürmer immer wieder Phasen gibt, in denen er nicht trifft. In einer solchen Situation kommt es darauf an, ruhig zu bleiben und das Vertrauen in seine Qualitäten nicht zu verlieren.
Und als Mensch?
Ich weiß jetzt einfach, was ich brauche. Ein gutes Umfeld, in dem ich mich wirklich wohl fühle. Nur dann kann ich auch als Sportler meine beste Leistung bringen.
Vor Ihrem Wechsel zu Hertha haben Sie in Leipzig mit Ihrem Vater in einer WG gelebt. Könnte man sagen: In Berlin sind Sie endgültig erwachsen geworden?
Ganz falsch ist das vielleicht nicht. Mein Vater hat die ganze Leipziger Zeit mit mir durchgemacht. Das war nicht immer ganz so angenehm für ihn. Er hat das eine oder andere Mal ein bisschen was abbekommen. Aber er hat das toll gemacht. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Mein Vater ist immer noch meine wichtigste Bezugsperson, auch wenn wir jetzt nicht mehr zusammenwohnen. In Berlin ist meine Freundin zu mir gezogen. Das ist für mich als Mensch der nächste Entwicklungsschritt. Es ist sehr schön, dass sie an meiner Seite ist. Und mein Vater kommt oft genug zu Besuch.
Was müssen Sie denn heute im Haushalt machen, was Ihnen zuvor Ihr Vater abgenommen hat?
Das ist eine gute Frage. Ich muss meiner Freundin mal ein Kompliment machen. Sie hält mir komplett den Rücken frei. Die typischen Männersachen – Müll rausbringen, Getränke und Einkäufe reintragen –, die übernehme ich natürlich. Alles andere macht sie hervorragend. Wir sind ein gutes Team.
Wie sieht es mit den Veränderungen auf dem Fußballplatz aus? Spielen Sie bei Hertha anders, als Sie es beim heutigen Gegner RB Leipzig getan haben?
Der Unterschied ist, dass ich hier ein anderes Auftreten habe. Dass ich wieder das ausstrahle, was mich auch bei früheren Stationen und in den U-Nationalmannschaften ausgezeichnet hat. Als Stürmer musst du einfach wissen: Selbst wenn mal zwei Spiele nicht so gut gelaufen sind, das dritte wird wieder gut.
Täuscht der Eindruck, dass Sie Ihr Spiel auch außerhalb des Strafraums verbessert haben?
Nein, der täuscht nicht. Es ist immer noch so, dass ich ein Abschlussspieler bin und meine größten Stärken im Strafraum habe. Aber ich war auch an einigen Situationen beteiligt, in denen ich den letzten Pass vor der Torvorlage gespielt habe. Irgendwann will ich sagen können: Ich decke alle Facetten ab, die das Spiel eines Stürmers ausmachen. Daran arbeite ich, und ich glaube auch, dass ich mich da stark verbessert habe.
Zum ersten Mal in Ihrer Bundesligakarriere haben Sie zweistellig getroffen. Was bedeutet Ihnen das?
Das resultiert aus der Rückendeckung, die ich hier bekomme. Ich habe schon immer gezeigt, dass ich treffen kann, wenn man mich lässt. Deshalb freut es mich, dass ich diese Marke mal geknackt habe – und hoffe, dass ich das bestätigen kann.
Waren zehn Saisontore Ihr explizites Ziel?
Ja. Ich habe mir vorgenommen, dass ich zehn Tore machen will. Minimum. Aber das ist bei mir grundsätzlich so, dass ich vor einer Saison sage: Ich will zweistellig treffen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich die ersten drei Monate ausfalle. Umso besser, dass ich es trotzdem noch geschafft habe.
"Dem Erfolg ordne ich alles unter."
Die Mannschaft hat sich vor der Saison einen Platz unter den Top Ten zum Ziel gesetzt. Auch das ist noch möglich. Sind Sie trotzdem zufriedener mit Ihrer persönlichen Performance als mit dem Abschneiden des Teams?
Das eine gehört zum anderen. Als Stürmer bin ich von meinen Kollegen abhängig. Ich bin ja keiner, der sich auf der Sechserposition den Ball holt und sich dann zum gegnerischen Tor durchdribbelt. Ich brauche die Jungs, und die haben mich oftmals sehr gut bedient. Das ist ein Prozess, der zusammen stattfindet. Wir haben oft gezeigt, was möglich ist.
Was hat der Mannschaft noch gefehlt?
Wir haben es leider nicht geschafft, die letzte Kontinuität an den Tag zu legen. Vor allem die Big Games, in denen du einen Satz nach oben hättest machen können, die konnten wir nicht ziehen. Wenn aber die Gefahr bestand, dass wir unten reinrutschen, haben wir gewonnen. Vielleicht ist das Kopfsache. Daran müssen wir weiter arbeiten. Ich glaube, das sind nur kleine Schrauben, die man da zu drehen hat. Zwei Siege mehr – und wir würden schon jetzt ganz anders dastehen. Aber angesichts der erstmaligen Dreifachbelastung können wir mit dem Jahr gut leben. Wir können wirklich zufrieden sein. So demütig sollten wir schon sein.
Was entgegnen Sie Kritikern, die der Mannschaft vorwerfen, dass sie manchmal zu mutlos spielt?
Wir sind schon eine Mannschaft, die über eine starke Defensive kommt. Da immer den richtigen Mix zu finden, ist nicht so einfach. In den letzten Monaten haben wir es eigentlich gut hinbekommen. Wir haben die richtigen Typen für dieses Spiel, aus einer stabilen Defensive nach vorne Nadelstiche zu setzen. Es liegt nur an Details.
Es fehlt aus Ihrer Sicht also nicht viel für den nächsten Schritt?
Davon bin ich überzeugt, zu hundert Prozent. Wir sind eine eingespielte Truppe, der Kern bleibt. Ich glaube wirklich, dass es nur besser werden kann.
Für Ihre Gegenspieler können Sie ein richtiger Quälgeist sein. Woher kommt das?
Ich wollte immer unbedingt. In der Jugend war das manchmal schon ein Problem. Da habe ich auch mal mit zu viel Wut im Bauch gespielt und bin das eine oder andere Mal angeeckt. Mittlerweile, im Alter, wenn ich das mit 23 schon sagen kann, habe ich es besser unter Kontrolle. Ich bewege mich immer noch im Grenzbereich. Das ist meine Art. Das bin ich. So komme ich am besten ins Spiel, und deshalb werde ich das auch beibehalten. Das ist der Spielertyp, der ich sein will.
Ihr Vater ist Äthiopier, Ihre Mutter Tschechin, aufgewachsen sind Sie in der Nähe von Stuttgart. Was ist eigentlich schwäbisch an Ihnen?
Schwabe bin ich durch und durch. Stuttgart ist meine Heimat. Meine ganze Familie lebt dort. Das ist schon mein Mittelpunkt. Ich fliege eigentlich in jeder freien Minute nach Hause und werde auch mit hoher Wahrscheinlichkeit nach meiner Karriere dort leben. Aber ich habe keinen Igel in der Tasche, bin nicht der extreme Geizhals, wie es den Schwaben nachgesagt wird. Trotzdem: Meine ganze Art ist schwäbisch.
Sie haben das schwäbische Arbeitsethos?
Ja, ich bin ein schwäbisches Arbeitstier. Im Spiel haue ich alles raus. Dann bin ich auch ein anderer Typ. Außerhalb des Platzes würde ich mich als locker und entspannt einschätzen. Ich bin jemand, der gerne mal Witze reißt. Aber im Spiel gibt es für mich nur den persönlichen Erfolg, den Erfolg der Mannschaft, den Sieg. Dem ordne ich alles unter. Deswegen kommt das vielleicht auch manchmal etwas überzogen rüber.
Als Sie 2009 mit 14 zur TSG Hoffenheim gewechselt sind, hat Ihr heutiger Kollege Vedad Ibisevic dort schon bei den Profis gespielt …
… weiß ich. Ich hab' ihn im Stadion gesehen.
Ibisevic und Sie haben bei Hertha oft um einen einzigen Platz im Angriff konkurrieren müssen. Wie sind Sie mit dieser Situation umgegangen?
Sehr gut, sehr professionell. Wenn Vedad angefangen hat, hat er von mir den Support bekommen. Wenn ich angefangen habe, war es umgekehrt. Natürlich sind wir beide Jungs, die spielen wollen. Aber wir haben auch gezeigt, dass es mit uns beiden geht. Gegen Augsburg hat Vedad bewiesen, wie wichtig er immer noch für uns ist, welchen Elan er in die Mannschaft bringt. Er kommt auch über seine Mentalität.
Wenn man das Training beobachtet, hat man den Eindruck, dass es Ihnen beiden Spaß macht, zusammen in einer Mannschaft zu spielen.
Ja, irgendwie schon. Bei einem Spiel mit uns beiden hat man auch das Gefühl, dass bei jeder Flanke was passieren kann. Für den Gegner ist es auf jeden Fall nicht einfach, wenn da zwei Jungs wie wir im Sechzehner herumschwirren.