Hertha BSC: Davie Selke erlöst Hertha
Davie Selke befreit Hertha BSC und sich selbst von einer Tor-Blockade. Mit seinen zwei Treffern bewahrt er die Berliner vor einer historischen Peinlichkeit.
Davie Selke ist ein junger Fußballprofi, der, wie viele andere auch, einigen Wert auf sein Äußeres legt. Der hoch aufgeschossene Sohn eines Äthiopiers und einer Tschechin hatte sich im vorigen Sommer, als er mit der deutschen U-21-Auswahl den EM-Titel gewann, einen speziellen Torjubel ausgedacht. Er salutiert mit drei Fingern, wobei er den Zeigefinger gegen den Daumen zu einem O formt. Abgeschaut habe er sich das von einem amerikanischen Basketballprofi, dem für gewöhnlich allerhand Dreipunktewürfe gelingen. Seit Selke für Hertha BSC stürmt, hat er sich pingelig an diese Jubel-Choreografie gehalten. Nur am Samstag nicht, als ihm gegen den 1. FC Köln innerhalb von 180 Sekunden gleich zwei Tore gelangen.
Das verwunderte, denn es waren nicht irgendwelche Treffer, weder für ihn noch für Hertha. Berlins Bundesligist lag zur Halbzeit gegen den Abstiegskandidaten aus dem Rheinland mit 0:1 hinten und Selke war das letzte Mal Mitte Januar ein Tor gelungen (1:1 gegen Dortmund). In zehn weiteren Einsätzen – oder rund 700 Minuten – war Selke torlos geblieben. Eine unerfreuliche Strecke für Stürmer, die an Toren gemessen und bewertet werden. Man kann sich also vorstellen, wie aufgewühlt er war, als er wieder traf, ihm erst das Tor zum Ausgleich und dann wenig später zum späteren 2:1-Sieg gelungen war. Prompt vergaß er seine Torjubel-Geste. „Dieses Gefühl habe ich so vermisst“, sagte Selke hinterher. „Ganz ehrlich, zu dem Zeitpunkt hatte ich etwas anderes im Kopf. Mein erstes Tor war ein Befreiungsschlag.“ Seinen zweiten Treffer gegen Köln umwehte gar Historisches. Es war Herthas 1000. Bundesligator im Olympiastadion. Das habe er angeblich „gar nicht auf dem Schirm gehabt“, meinte er, bezeichnete es aber, als er später darauf angesprochen wurde, als „sehr schönen Nebeneffekt“ eines letztlich gelungenen Nachmittags .
„Wir hatten im Olympiastadion eine kleine Blockade“, sagte Pal Dardai am Tag danach, „ich hoffe, die ist jetzt gelöst.“ Seinen Spielern hatte der Trainer einen freien Sonntag spendiert. „Ich bin froh, dass wir endlich wieder mal zu Hause gewonnen haben, ich bin froh, dass Davie wieder getroffen hat, und ich bin froh, dass dieses 1000. Heimspieltor endlich durch ist.“
Seit Anfang Februar, seit dem 1:1 gegen Hoffenheim, wartete Hertha auf die zwei Törchen, die zum Jubiläum fehlten. Sie waren den Berlinern in den folgenden Heimspielen weder gegen Mainz noch gegen Freiburg oder Wolfsburg gelungen. Davie Selke hat diese Peinlichkeit nun beendet. Auch deshalb feierten die Hertha-Fans den Doppeltorschützen wie einen Befreier, einen Erlöser.
„Tore sind wichtig für Stürmer, dann fühlen sie sich gut“, sagte Dardai. Herthas Trainer hatte für das Spiel gegen den Tabellenletzten auf eine Doppelspitze aus Selke und Vedad Ibisevic gesetzt. Zuletzt hatte er dieses System viermal im Herbst probiert, mit nur einem Sieg – gegen Köln. „Oft haben die Ergebnisse nicht gepasst, aber wir können diese Variante mit zwei Spitzen spielen“, sagte Michael Preetz. Der Manager war früher selbst Stürmer und weiß um die Vorzüge eines Systems mit zwei Spitzen. Schließlich sei im Sommer, als Selke verpflichtet wurde, auch nicht die Überlegung gewesen, nur einen Back-up für Vedad Ibisevic zu holen. Den Berlinern schwebte schon eine Spielvariante mit zwei echten Stürmern vor. Immerhin hatte Hertha für Selke 8,5 Millionen Euro hingelegt, so viel wie noch nie für einen Neuzugang. Entsprechend groß waren die Erwartungen. Dummerweise verletzte Selke sich am Außenfuß und war fast drei Monate nicht spielfähig. Danach aber lief es gut für den schlaksigen Stürmer, bis zur Winterpause traf er je viermal in der Liga und in der Europa League.
Doch in der Rückrunde tat Selke sich so schwer wie Hertha. „Davie hatte auch im Training weniger Tore gemacht“, sagte Dardai. Der Trainer nahm ihn sich vor zwei Wochen zur Seite. „Ich habe ihm gesagt, er müsse wieder gieriger werden“, erzählte Dardai am Sonntag, und „dass er sich endlich wieder aufs Toreschießen fixieren soll.“ Auftrag erfüllt.
Mit dem schwer erkämpften Sieg über Köln liegt Hertha vier Spieltage vor dem Saisonende bei 39 Punkten, weit weg von unten und oben in der Tabelle. „Mal sehen, was noch geht“, sagte Dardai vor den Spielen in Frankfurt, gegen Augsburg, in Hannover und gegen Leipzig. Man wolle jedes dieser Spiele wie ein Finale angehen, „hopp oder top“, wie Dardai es ausdrückte.