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Hohn ist der WM Lohn. Argentiniens Fans laben sich am Aus der Brasilianer.
© dpa

WM 2014: Argentinien im Finale von Rio: Das zweite Trauma für Brasilien

Argentinien hat das Endspiel im Maracana erreicht. Für den Gastgeber ist das so schlimm wie das 1:7 im Halbfinale gegen Deutschland. Denn die Feindschaft hat Tradition, und deshalb sind nun alle Brasilianer Deutsche.

Nichts ist so schlecht, als dass es noch schlechter geht“, titelte der „Expresso“, er liegt morgens für wenig Geld an vielen Kiosken aus und brachte auf den Punkt, was den meisten Brasilianern durch den Kopf ging nach diesem langweiligen und doch dramatischen Halbfinale von Sao Paulo: Muss das wirklich sein? Reicht nicht diese demütigende Niederlage gegen Deutschland? Muss denn als zweite Mannschaft ausgerechnet Argentinien ins Endspiel kommen? „Das hat gerade noch gefehlt“, hieß es unter den Balken im „Expresso“.

Argentinier und Brasilianer sind einigermaßen gute Nachbarn, geht ja auch nicht anders bei einer gut tausend Kilometer langen gemeinsamen Grenze, aber Freunde werden sie nie werden. Vor bald 100 Jahren haben sie mal Krieg gegeneinander geführt, was in sofern bemerkenswert ist, weil Brasilianer und Argentinier sonst nie Kriege führen. Es ging dabei um Uruguay, das sich beide Staaten gern einverleibt hätten und am Ende des Krieges doch unabhängig wurde. Ohne den argentinisch-uruguayischen Krieg hätte es kein Maracanaço gegeben, Brasiliens epochale Niederlage im finalen Spiel der ersten WM in Brasilien, 1950 im Estadio Maracana von Rio de Janeiro. Daran sind die Argentinier also auch Schuld.

Jetzt sind sie wieder nach Brasilien eingefallen, seit ein paar Wochen schon, und sie lassen sich einfach nicht vertreiben. In Rio besetzen sie die Copacabana, Belo Horizonte musste zwischenzeitlich die Staatszugehörigkeit wechseln, und in der Nacht zu Donnerstag zogen himmelblauweiße Kommandos durch Sao Paulo, singend und lachend und symbolisch brandschatzend. Sie feierten ihren Einzug ins Finale. Dieses 4:2 im Elfmeterschießen über die Holländer, deren Trikots die Brasilianer in Massen gekauft hatten, um als ganz und gar nicht neutrale Dritte irgendwie noch zu verhindern, dass diese WM für sie in einer totalen Katastrophe enden würde. Hat alles nichts geholfen.

Argentinier und Brasilianer sind Nachbarn, aber Freunde werden sie nie

Brasilien mühte sich redlich, aber Argentinien war lauter. Und einfallsreicher. Mit dem simplen, aber immerhin auf Portugiesisch vorgetragenen Abzählen von eins bis sieben, kleine Anspielung auf ein noch gar nicht so lange zurückliegendes Fußballspielen, irgendwas war da mal mit sieben Toren. Höchst anspruchsvoll gestalteten sie zudem den gesanglichen Part. Mit einer Hymne, die ursprünglich mal von den Hinchas aus San Lorenzo komponiert wurde, gern auch bei den Boca Juniors gegen die ewigen Feinde von River Plate zum Vortrag kommt und jetzt schon seit ein paar Wochen mit verändertem Text in Brasilien zum allgemeinen Kulturgut zählt. Die letzte Strophe dieses wirklich schön anzuhörenden Liedchens lautet: „A Messi lo vas a ver, la copa nos va a traer, Maradona es mas grande que Pelé.“

Natürlich. Diego Maradona ist der Größte, und diesmal wird Lionel Messi es ihnen also besorgen, und zwar so anständig, dass die Brasilianer am Ende den WM-Pokal in Buenos Aires abzuliefern haben. Es kann nun immerhin nicht mehr zum Äußersten kommen, also zu einer brasilianischen Finalniederlage gegen Argentinien, darin hatte das Debakel im Halbfinale gegen die Deutschen ihr Gutes. In deren Folge beantragen nun Stunde für Stunde Tausende Brasilianer symbolisch einen neuen Reisepass. Für ein paar Tage wollen sie Deutsche sein, auf jeden Fall für die 90-Finalminuten am Sonntag im Maracana, plus Nachspielzeit und Elfmeterschießen, wenn es sein muss. Über Nacht ist Deutschland um 200 Millionen Staatsbürger reicher geworden, und das ganz ohne die zu anderen Zeiten verfolgte Politik einer Erweiterung des Lebensraums.

Die Abneigung beruht ganz auf Gegenseitigkeit. Spiele gegen Brasilien sind in Argentinien gesellschaftliche Höhepunkte von zuweilen zweifelhaftem Niveau. Neben dem Liedchen mit Maradona und Messi intonieren die argentinischen Fußballfans auch gern den Vers: „Ya todos saben que Brasil esta de luto, son todos negros, son todos putos“, was in etwa bedeutet, dass die Brasilianer ein Volk von Negern und Nutten sind.

Über Nacht ist Deutschland um 200 Millionen Staatsbürger reicher geworden

Argentinien hat sich lange Zeit als exterritorialer Bestandteil dieses Kontinents empfunden, als europäische Nation auf amerikanischem Boden. Die Bevölkerung besteht zu 90 Prozent aus Weißen vorwiegend spanischer und italienischer Herkunft, sie blicken immer noch ein wenig herablassend auf den Nachbarn im Norden.

Auch in Sachen Fußball steht einiges zwischen den beiden. Zum Beispiel das letzte WM–Spiel zwischen Argentinien und Brasilien, 1990 in Italien. Die Argentinier waren mit einer üblen Knochenbrecher-Truppe aufmarschiert, sie retteten sich von einem Elfmeterschießen in die nächste Verlängerung und räumten auch die grazilen Brasilianer aus dem Weg. Zum Mythos dieses Spiel gehört eine kontaminierte Wasserflasche, die der Brasilianer Branco angeblich von der argentinischen Bank bekommen hatte. „Da waren K.-o.-Tropfen drin“, hat Diego Maradona mal in einem Fernsehinterview gesagt.

Im Fernsehen ist Maradona bis heute allgegenwätig, er schimpft mal über Pelé und mal über Beckenbauer, alles senile Trottel, auch die argentinische Mannschaft kommt nicht immer gut weg. „Sie sind zu sehr von dem abhängig, was der Kleine macht“, sagt er und meint damit Lionel Messi, der übrigens zwei Zentimeter länger ist als der 1,65 riesige Maradona. Und was das Finale betrifft: „Die Deutschen sind nicht unmöglich“, hat er in seiner hier täglich zitierten Sendung im venezolanischen Fernsehen erzähl. „Sie sind, wie wir sagen, überhöht.“ Denn was ist schon ein Sieg gegen Brasilien?

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