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Brasilien, ein Scheiterhaufen: Zico (r.) verschießt erst einen Strafstoß, trifft dann aber im Elfmeterschießen. Dafür vergeben jedoch seine Mitspieler Socrates und Julio Cesar. So ziehen die Franzosen um Michel Platini und Luis
© AFP

WM-Serie "Brasiliens Ballfieber", Folge 4: Warten auf WM-Titel vier

Verschaukelt, verloren, versagt: Bei den WM-Turnieren von 1974 bis 1990 scheitert Brasiliens Nationalmannschaft mal grandios, mal kläglich und manchmal auch an den Begleitumständen.

Sie tragen wie gewohnt gelbe Leibchen und blaue Hosen, ihre Protagonisten heißen Jairzinho, Rivelino oder Marinho. Aber sind das wirklich die Brasilianer, die da durch den nasskalten deutschen Sommer des Jahres 1974 tapsen? Was ist nur geworden aus der Anmut und der offensiven Wucht, mit der diese Mannschaft vier Jahre zuvor durch Mexiko gewirbelt ist? Und wo ist eigentlich Pelé?

Der einst beste Spieler der Welt ist gerade 33 Jahre alt, aber er mag nicht mehr. Diesmal nicht, obwohl Militärs, Funktionäre und Kollegen, ja eigentlich alle Brasilianer ihn anflehen. Pelé bleibt hart, und mit ihm danken auch Tostao, Clodoaldo, Gerson und Carlos Alberto ab.

Der Trainer ist noch der von 1970, aber er lässt einen anderen Fußball spielen. Mario Zagallo kokettiert mit einer neuen, ungewohnten, vor allem aber unattraktiven Defensivtaktik. Im letzten Vorrundenspiel gegen Zaire muss der Weltmeister lange zittern vor einem blamablen Sitzenbleiben. Erst kurz vor Schluss schießt Valdomiro gegen Mobutus Fußballzwerge das entscheidende 3:0, das die punktgleichen Schotten um die Winzigkeit eines Tores distanziert. In der Zwischenrunde wird es nicht viel besser. Beim 1:0 über die DDR profitiert der Weltmeister davon, dass die Ostdeutschen bei Roberto Rivelinos Freistoß ausnahmsweise Probleme haben beim Errichten einer Mauer. Beim 2:1 gegen Argentinien blitzt mal so etwas wie Spielfreude auf, aber die verfliegt schnell gegen die Holländer, weil die viel brasilianischer spielen als die Brasilianer, die nur wild um sich treten. Nach einer hochverdienten 0:2-Niederlage reicht es nur zum Spiel um Platz drei, das sie gegen Polen 0:1 verlieren.

Vier Jahre später in Argentinien reicht es in der Vorrunde zwar nur zu Platz zwei hinter Österreich. Aber nach einem 3:1 im letzten Zwischenrundenspiel gegen Polen dürfen die Brasilianer ein paar Stunden lang vom Endspiel träumen. Nach heutiger Faktenlage spricht einiges dafür, dass sie einem doppelten Betrug zum Opfer fallen. Da ist zunächst der seltsame Turnierplan, der die finalen Gruppenspiele zu unterschiedlichen Zeiten ansetzt. Damit wissen die mit Brasilien konkurrierenden Argentinier, wie viele Tore sie gegen Peru schießen müssen. Es sind allerdings vier Tore, die ihnen niemand ernsthaft zutraut, aber an dieser Stelle kommt es zum zweiten, zum eigentlichen Betrug. Die Peruaner stellen nach einer Viertelstunde das Fußballspielen ein und gehen 0:6 unter. Heute weiß man von einem Besuch des argentinischen Juntachefs in der peruanischen Kabine, von Getreidelieferungen und Geldüberweisungen. Ein Zusammenhang mit dem Ergebnis lässt sich nicht beweisen und liegt doch sehr nahe. Wieder reicht es für Brasilien nur zum Spiel um Platz drei, aber diesmal wird es immerhin gewonnen – 2:1 gegen Italien.

Brasilien baut bis zur WM 1982 eine neue Mannschaft auf

Brasilien nutzt die Zeit bis zur WM 1982 in Spanien zum Aufbau einer neuen Mannschaft. Und was ist das für eine großartige Mannschaft, angeführt vom Virtuosen Socrates und dem Strategen Zico. Allein in der Vorrunde schießen die Brasilianer zehn Tore. In der Zwischenrunde spielen sie den Weltmeister Argentinien so trieselig, dass Diego Maradona sich zu einer Tätlichkeit provozieren lässt und vom Platz fliegt. Für das Halbfinale muss ein Unentschieden her gegen die Italiener, aber die haben Paolo Rossi, den erfolgreichsten Stürmer des Turniers. Eine Viertelstunde vor Schluss erzielt Rossi das Tor zum 3:2-Sieg. Die fassungslosen Brasilianer müssen die Reise nach Hause antreten.

Den Zenit ihrer Schaffenskraft erreicht die Generation Socrates-Zico 1986 in Mexiko. Und wieder scheitert sie grandios, diesmal im aufregendsten Spiel des gesamten Turniers. Die Tragik der Auslosung führt Zicos Brasilianer schon im Viertelfinale mit Platinis Franzosen zusammen. In der Mittagshitze von Guadalajara liefern sich beide Mannschaften 120 Minuten lang ein Spiel für die Ewigkeit. Zico ist leicht verletzt und wird erst zwanzig Minuten vor Schluss eingewechselt. Kurz darauf verschießt er beim Stand von 1:1 einen Elfmeter. Im finalen Entscheidungsschießen trifft er dann, dafür scheitern Socrates und Julio Cesar, bei den Franzosen fällt Platinis Fehlschuss nicht mehr entscheidend ins Gewicht. Wieder sind die Brasilianer raus, aber sie haben die Franzosen so müde gespielt, dass diese vier Tage später das Halbfinale gegen die limitierten Deutschen verlieren.

Das Leiden geht weiter, auch bei der nächsten Weltmeisterschaft 1990 in Italien; es ist die erste nach der Generation Socrates-Zico. Die neuen Hauptdarsteller heißen Careca, Dunga oder Jorginho, und sie spielen ähnlich defensiv wie die erste Generation nach Pelé. Das passt zu einer biederen WM, zu der auch die von Diego Maradona angeführten Argentinier wenig Schönheit beitragen. Im Achtelfinale von Turin kommt es zum Duell der beiden südamerikanischen Supermächte. Argentinien siegt 1:0, und zum Mythos dieses Spiels gehört eine vermeintlich kontaminierte Wasserflasche, die der Brasilianer Branco angeblich von der argentinischen Bank bekommen hat. Nach zwei, drei Schlucken habe sich jedoch keineswegs die erwartete Erfrischung eingestellt, erzählt Branco. Vielmehr sei er müde geworden und später im Mannschaftsbus eingeschlafen. „Da waren K.-o.-Tropfen drin“, behauptet Diego Maradona später in einem Fernsehinterview. Vielleicht stimmt das, vielleicht ist Maradona bei diesem Interview mal wieder in einer seiner Trance-Phasen. Für Brasilien geht die Weltmeisterschaft jedenfalls wieder einmal vorzeitig zu Ende.

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