Hertha BSC: Das Spiel bei Borussia Dortmund ist ein Gradmesser
Im Abendspiel am Sonnabend tritt Hertha bei Borussia Dortmund an. Da könnte sich zeigen, wie stark die Berliner in dieser Saison wirklich sind.
Nur sechzehneinhalb Stunden lagen zwischen dem Ende des ersten Bundesligaspiels von Hertha BSC in dieser Saison und der ersten Trainingseinheit am Tag danach. Mindestens die Hälfte davon dürfte Pal Dardai, der Trainer der Berliner Fußballer, schlafend verbracht haben. Für andere Beschäftigungen blieb also nicht viel Zeit. Doch als der Ungar am nächsten Morgen um zehn auf dem Trainingsplatz erschien, hatte er sich schon mit Borussia Dortmund, dem nächsten Gegner seiner Mannschaft, beschäftigt. Diese Dringlichkeit lässt darauf schließen, dass man der Partie bei Hertha BSC eine gewisse Bedeutung beimisst.
Auch wenn es erst der zweite Spieltag der Saison 2017/18 ist: Die Begegnung in Dortmund am Samstagabend (18 Uhr) ist schon ein frühes Schlüsselspiel für die Berliner – in einer Phase, in der es in der Bundesliga so zugeht wie in dem Moment, in dem bei der Reise nach Jerusalem die Musik abbricht: Jeder sucht verzweifelt seinen Platz.
Es ist jetzt nicht so, dass Hertha bei einer Niederlage in Dortmund auf absehbare Zeit im Niemandsland der Tabelle untertauchen würde; genauso wenig wären die Berliner bei einem Sieg automatisch der Bayernjäger Nummer eins. Aber das Spiel könnte, vor der ersten Länderspielpause, schon mal den Grundton für die kommenden Wochen vorgeben, in denen eigentlich noch kein Bundesligist verlässlich weiß, wie gut er sein kann und wo er letztlich hingehört. „Wir werden alles dafür tun, damit wir mit einem richtig guten Ergebnis aus Dortmund nach Hause kommen“, sagte Hertha-Trainer Dardai.
Dass das ein ambitioniertes Unterfangen werden wird, hat der Ungar schon am Samstagabend bei der ersten Beschäftigung mit dem nächsten Gegner erahnt. Die Dortmunder sind nach dem 3:0-Sieg in Wolfsburg Tabellenführer. „Wie die kontern, unglaublich gut und schnell“, sagte Dardai. Seine Achtung vor dem BVB ist seitdem nicht kleiner geworden. Dabei haben die Berliner gegen Dortmund – im Unterschied zu den Duellen mit dem zweiten Großen, dem FC Bayern – zuletzt ganz gut ausgesehen, nimmt man das deprimierende 0:3 im DFB-Pokal-Halbfinale vor anderthalb Jahren einmal aus.
Gut fürs Selbstvertrauen
In der Liga gab es im Frühjahr einen 2:1-Heimsieg. Und im Westfalenstadion hat Hertha in diesem Jahrzehnt zweimal gewonnen – genauso oft wie in all den Jahren zuvor seit Gründung der Bundesliga. 2011 und 2013 siegten die Berliner jeweils 2:1, jeweils als Aufsteiger. Da das vor seiner Zeit als Trainer war, zählen diese Erfolge für Dardai nicht. „So gut haben wir in Dortmund nicht ausgesehen“, behauptet er. Aber das trifft zumindest für die vergangene Saison nicht zu. Da musste Hertha zweimal beim BVB antreten, einmal in der Liga, einmal im Pokal. Beide Spiele endeten unentschieden (im Pokal scheiterte Hertha dann im Elfmeterschießen), und beide Male waren die Berliner in Führung gegangen.
Fürs Selbstvertrauen mögen diese Erfahrungen hilfreich sein, für die taktische Herangehensweise an das Spiel erkennt Dardai hingegen keinen Mehrwert mehr. „Ich habe ein anderes Dortmund gesehen“, sagte er über den BVB im August 2017. Der Klub hat im Sommer den Trainer gewechselt, und damit hat sich auch das Design des Dortmunder Spiels grundlegend geändert. Unter dem Holländer Peter Bosz ist die Mannschaft wieder ein bisschen kloppiger geworden. Sie geht nun wieder entschlossener auf Balljagd, hat das Gegenpressing, das von Jürgen Klopp zum heiligen Prinzip erhoben worden war, reaktiviert. „Wir müssen tierisch wach sein“, sagte Dardai.
Im Training in dieser Woche hat Herthas Trainerteam versucht, möglichst realitätsnah den Stress zu simulieren, der die Spieler am Samstag erwartet. Es ging darum, viele Beine auf wenig Platz unterzubringen und damit den Raum und die Zeit künstlich zu verknappen. Am Dienstag spielte die Mannschaft elf gegen elf. Nach der Hälfte wurde das Spielfeld an den beiden Seitenrändern um jeweils zehn Meter gekappt. Fortan ging es ziemlich wild zu, mit vielen Ballgewinnen und -eroberungen. So könnte es auch am Samstag in Dortmund sein.
Schnelles Umschalten erwünscht
Um der zu erwartenden Wucht des BVB besser standhalten zu können, denkt Dardai darüber nach, Niklas Stark von Anfang an spielen zu lassen. Er würde im defensiven Mittelfeld die Position von Vladimir Darida einnehmen, der wiederum auf die Zehn vorrückt und Alexander Esswein auf die Bank verdrängt. Die Maßnahme könnte Hertha, so Dardai, „mehr Stabilität in der Mitte“ verleihen. Andererseits wäre Esswein mit seiner Schnelligkeit prädestiniert für das schnelle Umschaltspiel, das dem Ungarn vorschwebt.
In Dortmund erwartet Dardai sein Team in einer etwas passiveren Rolle; die Berliner werden sich weiter zurückziehen, als sie es gewöhnlich tun, und versuchen, über Konter zum Erfolg zu kommen. „So ein Spiel haben wir noch nicht gehabt“, sagte der Trainer, nicht in der Vorbereitung, nicht im Pokal und auch nicht zum Ligaauftakt gegen Stuttgart. Konter sind unter Dardai nicht gerade Herthas Stärke. In der vergangenen Saison dauerte es bis Mitte März, ehe die Berliner auf diese Weise erstmals ein Tor erzielten. Der Gegner hieß: Borussia Dortmund.