Füchse-Keeper Silvio Heinevetter: Das Gesicht einer Saison
Vor dem Spiel gegen Hamburg ist Silvio Heinevetter bei den Füchse Berlin nur Torwart Nummer zwei, weil er in dieser Saison zu unbeständig spielt. Was ist los mit dem Handball-Nationalkeeper?
Das Wort hat der Herr Vereinspräsident, und er weiß die Gelegenheit an diesem 21. August 2013 zu nutzen. „Ich freue mich“, sagt Frank Steffel, sein Blick wandert durch die ausverkaufte Arena, „ich freue mich darüber, euch heute mitteilen zu können, dass wir den Vertrag mit Silvio Heinevetter verläng...“ Danach verhält es sich in der Max-Schmeling-Halle wie 1989 auf jenem Prager Balkon, der längst Weltruhm erlangt hat: Unter dem Jubel Tausender geht die eigentliche Nachricht akustisch komplett unter.
Deutschlands Handball-Nationaltorhüter bleibt also fünf Jahre länger als zunächst vereinbart bei den Füchsen Berlin. Der HSV Handball, damals größter Konkurrent um Heinevetters Dienste und an diesem Tage Gegner der Berliner in den Play-offs zur Champions League, geht leer aus. „Wir haben unseren Franchise-Player halten können“, jubiliert auch Füchse-Manager Bob Hanning. Die Menschen auf den Rängen feiern das wie den Gewinn eines großen Titels.
Wenn die Füchse Berlin an diesem Mittwoch zum 27. Bundesliga-Spieltag den HSV empfangen (19 Uhr, live bei Sport1), werden die Sympathiebekundungen gegenüber Heinevetter merklich zurückhaltender ausfallen als an jenem Tag vor zwei Jahren – weil der 30-Jährige nach Lage der Dinge mal wieder nicht spielen oder zumindest nicht beginnen wird. In den letzten Wochen erhielt der Tscheche Petr Stochl von Trainer Dagur Sigurdsson ausnahmslos den Vorzug vor seinem deutschen Kollegen. Ähnlich war es schon bei der WM im Januar in Katar gelaufen: Da drehten sich die Geschichten eher um Carsten Lichtlein, den in der Hierarchie vermeintlich zweiten Nationalkeeper. Heinevetter hielt solide, aber eben nicht ansatzweise so spektakulär, wie man es seit Jahren von ihm kennt. Was ist also los mit dem Schlussmann, der so unbeständig auftritt wie sein Verein in dieser Saison?
Silvio Heinevetter ist das Gesicht der Füchse Berlin
Bei den Füchsen wollen sie kein Politikum daraus machen, weil sie wissen, dass der exzentrische Torhüter das Gesicht des Klubs ist. „Was mit ihm los ist?“, fragt Sigurdsson ungläubig nach. „Petr Stochl hatte zuletzt ein paar gute Spiele, und deshalb spielt er auch“, sagt der Isländer, „so haben wir es immer gemacht: Wer besser drauf ist, steht im Tor.“ Rein faktisch ist dem nicht zu widersprechen, trotzdem ist der Fall natürlich nicht ganz so einfach zu erklären – weil Heinevetter bei Spielen bisweilen abwesend wirkt und reichlich gelangweilt auf der Ersatzbank sitzt.
„In der Liga läuft’s überhaupt nicht, das trifft auf fast alle Spieler bei uns zu“, sagt Heinevetter, „aber dafür gibt es Gründe.“ Im konkreten Fall beeinflusste eine Verletzung den Torhüter, die er zunächst gar nicht öffentlich machte. Heinevetter kehrte mit einer Ohrspeicheldrüsenentzündung von der WM aus Katar zurück und konnte eineinhalb Wochen nicht trainieren, geschweige denn spielen. „Eine Gesichtshälfte sah so aus, als ob ich 180 Kilo wiege, die andere war normal“, sagt Heinevetter, „ich hatte ein Ringer-Ohr, das hat mich total aus der Bahn geworfen.“
Andererseits ist die WM seit knapp zwei Monaten vorbei, seit sechseinhalb Wochen laufen wieder die Pflichtspiele in Bundesliga und Europapokal, und Heinevetter sucht noch immer seine Form. „Ich habe zuletzt kaum Chancen bekommen, weil Petr richtig gut gehalten hat“, sagt Heinevetter, und dass er das grundsätzlich nicht so dramatisch sehe. „Ich muss zusehen, dass ich zur Stelle bin, wenn es nicht so läuft“, sagt der 30-Jährige, „wenn ich das weiß, ist es okay.“
Spätestens im Mai werden die Füchse Heinevetter wieder brauchen
Obwohl die Berliner die Europapokalplätze in der Bundesliga wohl nicht mehr attackieren können, werden sie Heinevetter noch brauchen in den nächsten Wochen und Monaten, insbesondere im Mai: Da bestreiten die Füchse zwei Finalturniere innerhalb einer Woche, zunächst das um den DHB-Pokal (9./10. Mai), danach im EHF-Pokal (16./17. Mai.). „In den sechs Jahren meiner Amtszeit war einer unserer Keeper immer gut drauf“, sagt Coach Sigurdsson. „Das gibt uns die Hoffnung, bald wieder eine gute Abwehr stellen zu können.“ Eine der großen, wenn nicht die große Stärke der Berliner in den zurückliegenden Jahren, ebenso wie die Gewissheit, dass sowohl Stochl als auch Heinevetter Spiele an guten Tagen quasi allein entscheiden können.
Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass in Denis Spoljaric seit Monaten der Mann verletzt fehlt, der die Abwehr in den letzten Jahren zusammengehalten und organisiert hat. Das Zusammenspiel zwischen Mittelblock und Torhüter gehört im Handball zu den neuralgischen Punkten: Welche Torhälfte deckt die Abwehr zu, welche übernimmt der Torhüter? „Das hat ganz viel mit Abstimmung und jahrelangem Zusammenspiel zu tun“, sagt Heinevetter. „Denis hat so eine Gelassenheit ausgestrahlt, das fehlt uns jetzt.“ Und Heinevetter im Besonderen.