Formel 1 in Hockenheim: Das deutsche Heimspiel der Gegensätze
Für Sebastian Vettel und Nico Hülkenberg könnte die Lage vor dem Rennen am Sonntag in Hockenheim unterschiedlicher kaum sein. Aus mehreren Gründen.
Das Hockenheimer Fahrerlager lügt nicht. Es ist vielmehr einer der ehrlichsten Orte, die der Zirkus namens Formel 1 kennt. Ungeschminkt stehen dort die mobilen Häuser der Teams, erhältlich in vielerlei Ausführungen. Zweistöckig, gläsern, pink, verspiegelt. Hier ruht die Crew, isst, schläft, hängt ab. Die Aufstellung dieser futuristisch anmutenden Gebilde verrät im Prinzip alles über den Mikrokosmos Formel 1. An einem Ende rangieren die Top-Teams Mercedes, Ferrari und Red Bull, am anderen der aus sieben Teams bestehende Rest: Renault, Haas, Force India, McLaren, Toro Rosso, Sauber und Williams. Sie bilden auch vor dem Großen Preis von Deutschland am Sonntag die große unscheinbare Masse derer, die dem breiten Publikum herzlich egal ist. 257 Punkte haben sie addiert gesammelt, 753 die Top drei.
Und so wissen die deutschen Fans genau, was sie von ihren Fahrern im badischen Hockenheim erwarten dürfen: Der eine, Nico Hülkenberg, logiert bei Renault ziemlich mittig im Fahrerlager. Der andere, Sebastian Vettel, entsteigt immer dem verspiegelten roten Domizil von Ferrari, das am Anfang der Boxengasse aufragt. Vettel setzt auf Sieg. 171 der 753 Punkte gehen auf sein Konto, sie bedeuten die WM-Führung. Für den Heppenheimer ist Hockenheim in zweierlei Hinsicht wichtig. „Ich bin eine halbe Stunde von hier entfernt aufgewachsen, die Strecke bedeutet mir viel – wenn wir hier ein tolles Wochenende hinkriegen, wäre das schön“, sagt er.
Hinzu kommt, dass Hockenheim in der Mitte des Rennkalenders liegt. In der ersten Hälfte präsentierte sich Ferrari stark, doch das war im vergangenen Jahr ganz ähnlich. Dann folgte ein mittelschwerer Absturz. „Am Ende des letzten Jahres ging uns die Performance etwas ab, ich denke, daraus haben wir gelernt“, sagt Vettel nun. Sich selbst dürfte er damit auch gemeint haben. Im heißen Endspurt von Silverstone zog der viermalige Weltmeister zuletzt mit einem feinen Manöver noch am führenden Mercedes-Piloten Valtteri Bottas vorbei und gewann.
Vettel geht es um Siege und Rekorde
Der frühere Mercedes-Motorsportchef, Norbert Haug, lobt Vettel: „Er ist ein perfekter und fokussierter Rennfahrer, und damit auch einer, der ständig weiterlernt. Dass ihm in der Vergangenheit im springenden Pferd ab und an mal der Gaul durchgegangen ist, hat ihn – wie man ja sieht – nur besser gemacht.“ Doch reicht das auch, um Lewis Hamilton zu schlagen? Vettels großer Rivale hat Hockenheim genutzt, um ein Signal zu setzen. Schmachtend („Es ist Liebe“) verkündete er die Vertragsverlängerung mit Mercedes bis 2020. Angeblich 40 Millionen Euro statt bisher 35 soll ihm das jährlich einbringen – damit die Marke Hamilton weiter auch auf Mercedes abstrahlt.
Vettel, dessen Kleingeld in ähnlichen Höhen klimpert, ist keine Marke in dieser Hinsicht. Er nutzt nicht mal die einschlägigen Social-Media-Kanäle. Ihm geht es um Siege, Rekorde, ums Rennfahren. Eine Einstellung, die eben eine andere als die Hamiltons sei, befand Vettel nach dem Sieg in Silverstone. Wie Hamilton will auch er in der ewigen Bestenliste zu Juan Manuel Fangio aufschließen, der bei fünf WM-Titeln steht. In Hockenheim hatte Hamilton im letzten Training vor dem Qualifying am Samstag als Zweiter die Nase vorn, Vettel wurde nur Vierter.
Abseits der beiden so unterschiedlich gepolten Top-Piloten kann der zweite deutsche Fahrer im Feld, Nico Hülkenberg, quasi entspannt seine Runden drehen. Trotzdem hat auch der 30 Jahre alte Hülkenberg etwas zu verlieren. Als Siebter führt er das WM-Klassement der Chancenlosen mit 42 Punkten an, knapp vor dem zweimaligen Weltmeister Fernando Alonso im McLaren (40). Mehr wird nicht drin sein in dieser Saison. „Wenn man die Lücke zu den besten drei Teams sieht, denkt man einfach nur: Mann, das ist zu viel. Uns gefällt das nicht“, sagt Hülkenberg.
Hülkenberg hofft auf einen Top-Ten-Platz
Die Frage ist nur: Will Hülkenberg den Schnellsten auch in den nächsten Jahren weiter brav hinterherfahren – oder will er selbst mal Schnellster sein? „Natürlich willst du schneller sein, natürlich bist du ungeduldig“, sagt er. Das durfte aber als Aufforderung an sein Team verstanden werden, ihm doch bitte ein fähigeres Auto zu basteln. Was Hülkenberg vermutlich schneller werden ließe, wäre ein Teamwechsel. „Nico hat aus meiner Sicht schon lange einen Platz in einem Team verdient, das um Siege fährt. Aber in der Formel 1 ist’s wie im richtigen Leben, nicht jeder bekommt, was er verdient“, sagt Haug.
Als Teamplayer gilt der in Emmerich am Niederrhein geborene Hülkenberg, als unaufgeregt, ausgeglichen, reflektiert. Egal wer im Fahrerlager über Hülkenberg spricht, äußert sich wohlwollend. „Nico leistet seit mittlerweile vielen Jahren meist konstant gute Arbeit. Seine große Zeit kann durchaus noch kommen“, findet Haug. Aber danach sieht es – nach aktuellem Stand – eher nicht aus.
Bei Mercedes jedenfalls wird erst einmal kein Platz frei, Hamilton und Bottas statteten die Silbernen vor ihrem Heim- Grand-Prix mit einem neuen Vertrag aus. Bliebe noch je ein freies Cockpit bei Ferrari und Red Bull, wobei auch dies kaum von Hülkenberg besetzt werden dürfte. Bei Ferrari ist Kimi Räikkönnen eine zuverlässige Nummer zwei. Und sollte eine Einigung scheitern, stünde wohl der junge Charles Leclerc bereit. Dem Monegassen, der im unterlegenen Sauber bislang 13 WM-Punkte gesammelt hat, wird ein enormes Potenzial bescheinigt.
Red Bull wartet nicht auf Hülkenberg
Auch bei Red Bull wartet wohl eher niemand auf Hülkenberg als Nachfolger des Australiers Daniel Ricciardo, dessen Zukunft ungeklärt ist. Und dann gibt es noch diese Statistik: Seit 2010, seit Hülkenbergs Formel-1-Debüt, hat er noch nie ein Rennen gewonnen. Schlimmer noch: Selbst ein Podestplatz fehlt ihm – nach 145 Versuchen. Sein bester Lauf gelang Hülkenberg am 6. Oktober 2013, als er beim Großen Preis von Korea Vierter wurde.
Liegen die fehlenden Spitzenresultate nur am Auto? Oder auch an Hülkenberg? Er gilt als schnell, talentiert, das ja. Manche Stimmen sagen, er sei ein braver Typ – neben, aber halt auch auf der Strecke. Der Killerinstinkt fehle. „Es ist schön, wieder in Hockenheim zu sein, ich habe hier gute Ergebnisse geschafft, war zweimal Siebter“, sagt Hülkenberg. Ein Resultat, das am Sonntag wieder einem Sieg gleichkäme – und den Renault-Standort im Fahrerlager ziemlich genau widerspiegelt.