Handball-Bundestrainer Alfred Gislason: „Dann wäre es vermutlich zu spät gewesen“
Der Nachfolger des entlassenen Christian Prokop erklärt, wie seine Verpflichtung zustande kam – und wie er der Mannschaft nun weiterhelfen will.
Alfred Gislason, 60, wurde als Spieler zwei Mal Meister mit TuSEM Essen. Noch viel erfolgreicher war er als Trainer. In dieser Funktion holte er allein sieben deutsche Meisterschaften. Seit dem 6. Februar ist er als Nachfolger von Christian Prokop deutscher Handball-Bundestrainer. Darüber haben wir mit ihm gesprochen.
Herr Gislason, bei Ihrer Vorstellung als Bundestrainer haben Sie in der vergangenen Woche gesagt, nach vier, fünf Monaten Handball-Pause hätten Sie „die Schnauze voll“ gehabt. Wie schlimm war es wirklich?
Die ersten drei Monate liefen echt super. Ich hatte ja nicht mal ein Abo für den Pay-TV-Sender, der die Bundesliga und die Champions League überträgt. Ich habe also wirklich ein paar Monate gar keinen Handball gesehen. Dann bin ich zum DHB-Pokal-Spiel nach Berlin zwischen den Füchsen und Magdeburg gefahren und habe in der Halle sofort gemerkt: Es kribbelt wieder richtig. Der Sport ist nun mal seit 40, 45 Jahren ein wichtiger Bestandteil meines Lebens.
Ihrer Frau haben Sie ursprünglich versprochen, mit 60 zurückzutreten – und das dann auch vergangenen Sommer getan.
Da muss ich widersprechen! Diese Zusage galt nur für die Handball-Bundesliga, nicht für einen möglichen Nationaltrainer-Posten. Das war explizit die Einschränkung. Der Haussegen hängt also nicht schief, keine Sorge.
Stimmt es, dass Sie kurz vor einem Vertragsabschluss mit einem anderen Verband standen, bevor Sie dem DHB zugesagt haben?
Ja, wir waren uns so gut wie einig. Im Grunde fehlte nur meine Unterschrift.
Was ist dann passiert?
Ich habe im letzten Moment einen Anruf von Uwe Schwenker bekommen, einem der DHB-Vizepräsidenten. Ich wollte mit meiner Frau die letzten Details besprechen, weil wir vereinbart hatten, dass ich nirgendwo im Ausland unterschreibe, ohne mit ihr Rücksprache zu halten. Wir saßen also gerade zusammen und haben uns darüber unterhalten, als der Anruf vom DHB kam.
Es war also tatsächlich so, dass Sie ein, zwei Tage später nicht mehr als Bundestrainer zur Verfügung gestanden hätten.
Dann wäre es vermutlich zu spät gewesen, genau.
Am 13. März bestreiten Sie nun Ihr erstes Länderspiel als Bundestrainer – wie es der Zufall will, in Magdeburg, an jenem Ort also, wo ihre Trainerkarriere richtig begonnen hat.
Die Vorfreude, dass es losgeht, dass ich die Mannschaft zum ersten Mal im Training zusammen habe, ist riesengroß. Dass es ausgerechnet in Magdeburg passiert, an meiner alten Wirkungsstätte, mit der ich so viele schöne Erinnerungen verbinde, ist natürlich ein Zufall, aber ein besonders schöner.
Wie sieht Ihr Plan bis zu jenem 13. März aus? Wie sehen die ersten Aufgaben aus?
Ich werde in den nächsten Wochen durch die Gegend fahren und ein paar Sachen regeln, mit dem DHB, aber auch mit den Nationalspielern. Auf meiner Deutschland-Tour werde ich mich mit ihnen austauschen, sie anhören, meine Erwartungen darlegen, um alle möglichen Infos einzuholen. Es geht vor allem darum, dass wir uns ein bisschen besser kennenlernen, obwohl mir die meisten ja ohnehin bekannt sind.
Worin besteht der größte Unterschied zwischen Vereins- und Nationaltrainer?
Darauf bin ich sehr gespannt. Es ist auf jeden Fall eine andere Art von Arbeit, man hat nicht diesen stressigen Drei-Tage-Rhythmus, wie ich ihn von einem Spitzenverein wie dem THW Kiel kenne. Ich muss also nicht jeden Tag vor dem Computer sitzen und Videoanalysen des nächsten Gegners machen. Als Bundestrainer gibt es Hochphasen, in denen man viel um die Ohren hat, Lehrgänge zum Beispiel oder große Turniere.
Worauf muss sich Ihre neue Mannschaft einstellen? Was für ein Trainertyp sind Sie?
Die Spieler kennen mich allesamt und wissen, was ich bisher gemacht habe, worauf ich Wert lege. Ein paar Nationalspieler habe ich ja noch in Kiel trainiert, Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler zum Beispiel oder Andreas Wolff. Sie wissen also genau, was für ein Typ ich bin.
Der ehemalige Welthandballer Daniel Narcisse, den Sie in Kiel trainiert haben, hat einmal über Sie gesagt: „Alfred hat an 340 von 365 Tagen im Jahr schlechte Laune.“
Glauben Sie mir: Mit Daniel war es auch nicht immer leicht (lacht). Ich bin schon ein autoritärer Trainer, ein bisschen alte Schule, das ist mir klar. Aber ich meine das gar nicht böse: Sobald das Spiel begonnen hat, bin ich im Tunnel, in meinem Element. Dann gibt es nur noch Handball. Aber mit der Zeit habe ich mir eine Sache angewöhnt, die es für alle Beteiligten leichter gemacht hat.
Nämlich?
Ich bin nach verlorenen Spielen nicht mehr direkt in die Kabine gegangen und habe den Frust rausgelassen, sondern habe die Analyse mit der Mannschaft meistens erst am Tag danach gemacht. Vorher ist es hin und wieder passiert, dass ich auch mal ausfallend geworden bin. Aber das passiert mir heute nicht mehr. Oder sagen wir: ganz selten.
Wie schätzen Sie das Leistungsniveau der deutschen Mannschaft ein?
Es steht ja außer Frage, dass Deutschland an einem guten Tag jeden Gegner schlagen kann, wenn das Prunkstück der Mannschaft funktioniert, sprich: die Abwehr und die Torhüter. Und wenn man daraus Druck entwickeln und Tempogegenstöße starten kann. Aber vor allem gegen die internationalen Top-Mannschaften haben wir noch Luft nach oben.
Im April steht bereits das Qualifikations-Turnier für die Olympischen Spiele an. Wie viel können Sie überhaupt verändern in dieser kurzen Zeit?
Ich kann natürlich nicht alles komplett auf den Kopf stellen, das habe ich auch nicht vor. Ich werde versuchen, auf den guten Sachen aufzubauen, die ich bei der Europameisterschaft gesehen habe.
Wie wird die Mannschaft aussehen? Sind große Veränderungen zu erwarten?
Vieles, was wir in Kiel gemacht haben, wird sich garantiert auch im DHB-Team widerspiegeln. Zuletzt war das Abwehrsystem der Nationalmannschaft sehr an das Kieler System angelehnt. Im Angriff wird es sicherlich erst nach und nach zu Veränderungen kommen, das braucht alles seine Zeit.
Es heißt immer wieder, dem deutschen Team fehle ein Ausnahmekönner, einer wie der Franzose Nikola Karabatic oder der Däne Mikkel Hansen. Oder ist das eine sehr deutsche Sicht und wird im Ausland womöglich ganz anders wahrgenommen?
Im Kern stimmt das schon, aber deshalb muss es nicht automatisch ein Problem sein. Es bedeutet vielmehr, dass wir wieder über unsere mannschaftliche Geschlossenheit kommen müssen. Außerdem ist es ja nicht so, dass es keine Talente gibt. Viele haben enormes Potenzial und können sich noch entwickeln. Deshalb noch einmal: Wir müssen das als Team kompensieren und auffangen.
Nach Dagur Sigurdsson, der mit dem Nationalteam große Erfolge wie den EM-Titel und Olympiabronze feiern konnte, sind Sie der zweite Isländer im höchsten Traineramt des Handball-Landes. Haben Sie hin und wieder Kontakt?
Nicht sehr oft, aber ab und zu schon. Dagur war einer der Ersten, die mir zum neuen Job gratuliert haben. Überhaupt habe ich aus Island viele Nachrichten und Glückwünsche bekommen. Wir Isländer sind ein handballverrücktes Volk, entsprechend schnell hat die Nachricht die Runde gemacht. In den ersten Tagen war die Hölle bei mir los.