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Den neuen Chef kennen viele noch als Mitspieler. Kein Problem, sagt Marco Sturm: „Ich glaube, die Jungs wissen ganz genau, wie sie die Situation nehmen müssen.“
© dpa/Puchner

Deutschland-Cup im Eishockey: Bundestrainer Marco Sturm schaut nur nach oben

Marco Sturm steht beim Deutschland-Cup erstmals hinter der Bande der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft. Der Bayer hat als Bundestrainer höhere Ziele als die Vorgänger – kann er Erfolg haben im Welteishockey?

Es war ein Tor mit Frechheitsfaktor. Bis auf den Schützen hatten 18 000 Menschen in der Kölnarena nicht realisiert, was da gerade passiert war. Erst als Marco Sturm mit den Armen fuchtelnd die Fans zum Jubeln aufforderte, dämmerte es Zuschauern und Mitspielern, dass der Bayer einfach den Schläger hineingehalten hatte. Der Pass eines Schweizer Spielers landete somit im eigenen Tor. 1:0 für Deutschland zum Auftakt einer Eishockey-Weltmeisterschaft, bei der niemand mit der deutschen Mannschaft gerechnet hatte. Sie gewann ihr Auftaktspiel mit ihrem Anführer Marco Sturm 3:1, und später ging es bis ins Viertelfinale für die Mannschaft von Hans Zach.

Das war 2001. 14 Jahre später ist Zach in Rente und grantelt über das deutsche Eishockey nur noch als TV-Kommentator. Hinter der Bande der deutschen Mannschaft steht jetzt Marco Sturm. Sein Debüt gibt er in diesen Tagen beim Deutschland- Cup in Augsburg, dem Turnier des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB). Am Freitag verhagelten die Schweizer mit ihrem 3:2-Erfolg Sturm das erste Spiel im neuen Amt, am Sonnabend gewannen die Deutschen dafür gegen die Slowaken 4:2 – Sturms erster Sieg als Bundestrainer. Am Sonntag spielen die Deutschen zum Abschluss des Turniers noch gegen die USA (16.45 Uhr, live auf Sport 1)

Aber die Ergebnisse von Augsburg sind Nebensache, es geht für Sturm mehr darum, hineinzufinden in den neuen Job. Kompetenzgerangel mit seinen Vorgesetzten muss er nicht füchten, denn der DEB hat ihm auch noch den Job eines Generalmanagers gegeben. Marco Sturm hat so viel Macht wie kein Eishockey-Bundestrainer vor ihm, auf dass er die vor sich hin dümpelnde Nationalmannschaft aus ihrer Tristesse holt.

Schafft Marco Sturm das? Kann er das überhaupt schaffen?

Sturm ist Bayer, geboren und aufgewachsen in Dingolfing. Aber 15 Jahre als Profi in den USA haben ihn geprägt. 1006 Mal ist er in der National Hockey League (NHL) als Stürmer aufgelaufen, so häufig wie kein anderer deutscher Spieler. Erst 2013 hat er seine Karriere ausklingen lassen, bei den Kölner Haien. An sich hätte er nun in Florida sein Leben genießen können. Aber mit 37 Jahren? Da ist man ja noch fit genug, um das deutsche Eishockey zu retten. Marco Sturm sagt, sein größter Wunsch sei, „dass es wieder bergauf geht. Die Nationalmannschaft ist das Aushängeschild unserer Sportart.“

Aushängeschild? Nun ja. Seit Jahren nimmt die Zahl der Anhänger, die das Team zu den Weltmeisterschaften begleiten, kontinuierlich ab. Der normale Eishockeyfan schaut lieber seinem Klub zu. Die Zuschauerzahlen bei Länderspielen in Deutschland sind lausig, das ist nun in Augsburg auch so. Nur 4258 Zuschauer kamen gegen die Schweiz, 500 mehr gegen die Slowakei. Bei Augsburg gegen Schwenningen wäre es voller gewesen.

Mit diesem Problem steht das Eishockey nicht allein. Auch die Nationalmannschaften im Handball oder Basketball haben es im Schatten des Fußballs schwer. Und daran ist nicht allein die deutsche Sportmonokultur schuld. Die verschiedenen Verbände mühen sich seit Jahren wenig glücklich um ihre Außendarstellung – es gibt mehr Fehleinschätzungen als rund um die Fußball-Nationalmannschaft: Das Handballteam wird zurzeit von einem Isländer trainiert, die Basketball-Nationalmannschaft von einem US-Amerikaner. Beides kompetente Trainer aus Nationen, in denen ihr Sport viel gilt. Aber in der Außenwirkung? Da fallen sie in Deutschland nicht ins Gewicht.

Hauptsache Fachkompetenz, so hatten sie sich das auch im Eishockey gedacht. Da werkelte erst ein Schweizer und dann ein Kanadier glücklos herum. Sturms Vorgänger Jakob Kölliker und Pat Cortina haben in einem Jahr und drei Jahren Amtszeit einiges an Renommee zerstört. Da gab es ein 4:12 gegen Norwegen (WM 2012, Kölliker) und erst dieses Jahr ein 0:10 gegen Kanada (Cortina). Das waren Tiefschläge nach der Zeit von Hans Zach und Uwe Krupp, in der die Deutschen – unterbrochen von einem unglücklichen Intermezzo des US-Amerikaners Greg Poss – gehobene Mittelklasse im Welteishockey spielten. Bis Krupp nach einer WM-Halbfinalteilnahme (2010) und einer Viertelfinalteilnahme (2011) ging, weil der Deutsche Eishockey-Bund ihm eine Doppelfunktion als Vereins- und Nationaltrainer nicht erlaubte.

Der Bundestrainer Sturm sieht sich auf einer Linie mit seinem Vorvorvorgänger Krupp. Im Nationalteam war zuletzt auch Englisch Amtssprache, weil Cortina nicht so gut Deutsch sprach. Natürlich ist es für die Spieler, die in ihren Klubs alle Ansagen auf Englisch bekommen, angenehmer, wenn sie nicht auch noch im Nationalteam Englisch sprechen müssen. Bei Sturm gibt es alle Ansagen auf Deutsch, „das war der Wunsch der Spieler“. Das ist Marco Sturms großer Vorteil. Er kennt die Mentalität der deutschen Spieler, ihre Gefühlswelt, ihre Bedürfnisse und ihre Sprache. Aber er kennt auch die große Eishockeywelt. Sturm sagt: „Es ist immer gut, wenn in der Kabine die Landessprache gesprochen wird. Aber noch wichtiger ist, was gesagt wird.“

In diesem Sinne ist der Trainer Sturm auch ein Risiko. Ein Lehrling, der zwar den A-Schein hat, dessen Erfahrung sich aber darauf reduziert, dass er ein Nachwuchsteam seines Sohnes in Florida betreut hat. Sturm und der DEB wissen um dieses Handicap. Daher bekommt Sturm ein Kompetenzteam um sich herum. In Augsburg assistieren ihm die DEL-Trainer Serge Aubin von den Hamburg Freezers und Christof Kreutzer von der Düsseldorf EG. Künftig können das auch andere sein. Dann, wenn es ernst wird für Sturm. Bei der WM im kommenden Mai in Russland und dann – genauso wichtig – im September bei der Qualifikation für die Olympischen Spiele von 2018 im südkoreanischen Pyeongchang. Bis 2017, bis zur WM in Deutschland und Frankreich, läuft Sturms Vertrag. Zunächst.

Die Olympia-Qualifikation wird wohl die größte Prüfung - für die Heim-WM 2017 sind die Deutschen gesetzt

2014 in Sotschi waren die Deutschen erstmals im Männer-Eishockey nicht bei Winterspielen dabei. „Wenn du nicht bei Olympia antrittst, bist du als Sportart tot“, sagte Franz Reindl, heute Präsident des DEB, nach dem Scheitern von Cortinas Mannschaft, in der zuverlässig die stärksten deutschen Spieler fehlten. Aber warum sollte das Nationalteam für die Spieler attraktiver sein als für die Fans? Die Klubs der DEL sind professioneller aufgestellt als die Organisation rund um das Nationalteam. Es ist im deutschen Eishockey normaler als in anderen Nationen, dass Spieler vor einem Turnier absagen. Immer öfter geschieht das auch aus „privaten Gründen“.

Marco Sturm wäre so was nie passiert. Er ist auch gekommen, als die Nationalmannschaft ganz weit unten war. 2006 zur B-WM nach Amiens in die französische Provinz. Sturm kam halt, wenn er helfen konnte. Und nun hat er es auch mit Spielern zu tun, die nicht kommen, selbst wenn sie könnten. Auch vor dem Deutschland-Cup gab es viele Absagen, wie schon vor der vergangenen WM. Wie groß ist die Hoffnung, dass dies vor der nächsten WM und dann vor der Olympia-Qualifikation anders sein wird? „Darauf baue ich natürlich“, sagt Sturm. „Ich weiß, dass es in den letzten Jahren immer viele Absagen gab. Warum und weshalb, das vermag ich nicht zu sagen. Es kann immer sein, dass der eine oder andere wegen Verletzungen absagt. Das ist normal. Aber wenn 15 oder 20 Spieler fehlen – das geht nicht. Eines meiner Ziele ist es, dass wir eine gemeinsame Basis finden und die Jungs wieder den unbedingten Willen haben, für die Nationalmannschaft zu spielen.“

Wie soll das gelingen? Es gibt so viele substanzielle Probleme im deutschen Eishockey. „Ein wichtiger Punkt ist der Nachwuchs“, sagt Marco Sturm. „Hier sind wir in der Breite zu schwach besetzt. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass in Zukunft mehr Kinder zum Eishockey kommen.“ Das haben andere vor ihm auch schon festgestellt. Nun aber hat DEB-Präsident Franz Reindl ein Reformpaket durchgedrückt, es trägt den Namen „Powerplay 2026“. Ab jenem Jahr soll, so sagt Reindl, Deutschland bei den großen Turnieren um Medaillen mitspielen. Große Pläne, die Sturm mitträgt. „Wir haben mit Powerplay 2026 eine Zielsetzung ausgegeben, auf die wir hinarbeiten müssen.“

Aber es mangelt an qualifizierten Trainern im Nachwuchs. Viele talentierte deutsche Spieler gehen bereits im Teenageralter nach Nordamerika, im festen Glauben, dort besser gefördert zu werden. Marco Sturm wird sie beobachten können, denn sein Hauptwohnsitz liegt weiter in Florida. Er pendelt zwischen den USA und der Heimat, so hat Krupp das einst auch gemacht. Sturm sieht das nicht als Problem. „Ich beobachte die DEL sehr intensiv“, sagt der Bundestrainer. „Bisher habe ich sechs Spiele live gesehen, viele weitere über das Internet. Zudem habe ich Scouts, die für mich in der DEL tätig sind. Auf deren Kompetenz kann ich zurückgreifen.“

Marco Sturm ist optimistisch, er hatte es bis jetzt ja auch einfach. Sein Engagement wurde in der Szene mit allgemeinem Wohlwollen begleitet. Der Marco sei ganz „nah dran an den Spielern“, hat Reindl beobachtet. Der DEB-Präsident traut dem Nationalteam unter Sturm viel zu. Andere sind da vorsichtiger. Lorenz Funk etwa, einer der besten deutschen Nationalspieler überhaupt. „Jetzt sind noch alle ruhig“, sagt Funk. „Aber es wird nicht lange dauern, dann fangen die Kritiker an zu ballern.“ Es wird darauf ankommen, wie Marco Sturm die ersten möglichen Stürme übersteht. Denn er selbst hat hohe Ansprüche. „Der Blick muss nach oben und nicht nach unten gerichtet werden“, sagt er. „Sonst bin ich nicht der richtige Mann als Bundestrainer.“

Zumindest ist ein Eishockey-Bundestrainer Marco Sturm richtiger als seine beiden Vorgänger.

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