Hertha BSC fast so schlecht wie im Abstiegsjahr: Bruno Labbadia braucht Zeit – und Vertrauen
Die reinen Fakten sind ernüchternd. Trotzdem braucht Hertha BSC im Moment ganz sicher keine Diskussion um Trainer Bruno Labbadia. Ein Kommentar.
Wer die Situation nur aus der Distanz betrachtet, wer allein auf die blanken Fakten schaut, für den liegt die Schlussfolgerung natürlich längst auf der Hand: Hertha BSC, dieser Klub mit den ungesunden Ambitionen, steckt weiterhin im Tabellenkeller fest, die Mannschaft hechelt den eigenen Erwartungen inzwischen bedenklich weit hinterher – und diese Erwartungen sind sogar noch bescheiden im Vergleich zu dem, was sich der schwerreiche Investor von seinem Einstieg bei Hertha erhofft hat.
Die Zahlen sind in der Tat ernüchternd: Saisonübergreifend hat die Mannschaft von den jüngsten zwölf Pflichtspielen nur zwei gewonnen; und schlechter als im Moment stand Hertha nach sechs Spieltagen zuletzt in der Saison 2009/10 da, als einem Sieg am ersten Spieltag (wie diesmal auch) sogar acht Niederlagen folgten. Trainer Lucien Favre musste damals nach der sechsten Niederlage seinen Platz räumen, trotzdem stieg Hertha am Ende der Saison in die Zweite Liga ab.
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„Ich weiß, dass meine Freunde von Hertha BSC ein bisschen nervös sind“, hat Jörg Schmadtke, der Geschäftsführer des VfL Wolfsburg, am Sonntag nach dem 1:1 seiner Mannschaft gegen die Berliner im Interview mit Sky gesagt. Und so kann der Schluss für die Beobachter aus der Distanz nur lauten: Langsam wird es ernst für Bruno Labbadia, Herthas Trainer.
Wer ein bisschen näher herantritt und nicht nur auf die Ergebnisse schaut, der wird die Situation entschieden anders zu deuten verstehen. Ja, auch wenn Hertha durch das 1:1 gegen Wolfsburg eine Serie von vier Niederlagen hintereinander beendet hat: Dieses Unentschieden war weniger als das, was sich die Berliner erhofft hatten; vermutlich auch weniger als das, was sie in ihrer Situation gebraucht hätten. Aber der Auftritt der Mannschaft gibt keinen Anlass, alles und vor allem die Arbeit von Trainer Labbadia schon jetzt ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
Die Mannschaft braucht Stabilität
Nicht die Bayern, nicht Dortmund oder Leipzig, nein, der VfL Wolfsburg ist (neben Leverkusen) die einzige Mannschaft der Bundesliga, die in dieser Saison noch ungeschlagen ist. Es ist also keine Kirmestruppe, mit der es Hertha am Sonntag zu tun hatte, keine Mannschaft, die man mal eben im Vorübergehen aus dem Stadion schießt. Der VfL ist ein maximal unbequemer Gegner, und trotzdem hat Hertha ihn deutlicher beherrscht, als es vor zwei Wochen Borussia Mönchengladbach getan hat, der aktuelle Tabellenfünfte der Liga und Champions-League-Teilnehmer.
Trainer Bruno Labbadia hat in den vergangenen Wochen und Monaten oft genug auf die Schwierigkeiten verwiesen, mit denen er in dieser Saison zurechtkommen muss. Die Mannschaft erlebt gerade einen personellen Umbruch, wie es ihn bei Hertha lange nicht gegeben hat. Seine Folgen sind ganz sicher nicht mit einem Fingerschnipsen zu beheben. Natürlich ist das keine Entschuldigung für alle Zeit. Es ist vor allem von Labbadia überhaupt nicht als Entschuldigung gedacht, sondern als Zustandsbeschreibung.
Die Mannschaft muss sich noch finden. Sie braucht Zeit. Sie braucht Stabilität. Und sie braucht Gewissheiten, auf die sie sich verlassen kann. Ihr in dieser Phase, in der vieles noch wackelt, einen neuen Trainer mit neuer Ansprache und neuen Ideen vorzusetzen wäre daher mit Sicherheit das Dümmste, was man machen kann.