Kolumne: Losgelaufen: Bootcamp statt Wehrpflicht
Auf seinem Weg zum Berlin-Marathon gibt unser Kolumnist wirklich alles. Manchmal übernimmt er sich dabei.
Irgendwann sehe ich Sterne vor meinen Augen. Es ist 22 Uhr und ich liege auf dem kalten Stein, der Bass wummert, ein paar Leute schreien. Um mich herum knapp 100 junge Menschen, die in Funktionskleidung auf der kleinen Fläche zwischen Spree und Kanzleramt in einer feuchtkalten Märznacht schwitzen und keuchen. Zu „One more time“ von Daft Punk sollen wir sogenannte Burpees machen. Dabei hält man den Körper in Liegestützformation, solange bis die beiden französischen Sänger zum Refrain kommen. Dann wird der Liegestütz gemacht, direkt daraus ein Strecksprung, dann wieder zurück in die Ausgangsposition. Halten, Liegestütz, Strecksprung, Halten. One more time.
Eigentlich mag ich den Song. Er erinnert mich an die Phase zwischen Kindheit und Jugend. Als vieles zum ersten Mal passierte, eine Zeit des Ausprobierens. Doch jetzt zittern meine Muskeln unkontrolliert. One more time. Halten, Liegestütz, Strecksprung, Halten.
Wo ist Günther?
Blöde Idee, an einem „Bootcamp Run“ teilzunehmen. Günther hat mich mitgeschleppt. Ich kenne ihn aus der Checkpoint-Laufgruppe, die wir im Januar gegründet haben. Er ist ein bunter Vogel, immer gut gelaunt, hat schon hunderte Läufe in den Beinen und nimmt gefühlt an jeder Laufgruppe der Stadt teil. „Komm doch mal vorbei, da haste Spaß“, hat er mir versprochen. Jetzt fällt mir auf, dass ich Günther schon seit dem Start nicht mehr gesehen habe. Drückt der sich etwa vor den Übungen?
Dabei fing wirklich alles entspannt an. Treffpunkt Oranienburger Straße, die meisten Teilnehmer unter 30, zwei Drittel fremdsprachig. Freundliche Begrüßung, kurzes Warm-up, Start an der Museumsinsel. Immer zwei Kilometer joggen, dann Eigengewichtsübungen.
Die Gruppe hat Boxen dabei, die Musik dröhnt durch die Nacht, die Coaches feuern an. Das Ganze wirkt etwas angestrengt, motiviert aber. Am Brandenburger Tor sollen wir zu einem Moby-Song Kniebeugen machen. Einige Touristen zücken ihre Telefone. Wahrscheinlich posten sie das direkt bei Instagram. „Crazy people doing sports in Berlin. Awesome.“ Sowas. Außer mir scheint das niemandem peinlich zu sein. Doch viele Gedanken kann ich daran nicht verschwenden. „Tiefer runter“, raunzt mich eine Teamführerin an. Bootcamp eben.
Was der Reiz daran sein soll, sich erniedrigen zu lassen, durch Schlamm zu robben und über Hindernisse zu klettern, kann ich nicht nachvollziehen. Trotzdem werden solche Rennen immer beliebter. Sie heißen Spartacus Run, Tough Mudder oder Strongman, kosten unverschämt viel Geld und sind schon Monate im Voraus ausgebucht. Offenbar geben sie der Generation, die von der Wehrpflicht entbunden wurde, den absoluten Kick. Mich macht das einfach nur noch fertig. Nach einer letzten Runde Super Squats habe ich das Bootcamp überlebt. Und plötzlich ist auch Günther wieder da und tänzelt unbeeindruckt an mir vorbei zur Umkleidekabine.
Am nächsten Morgen schmerzt bereits der Griff zum Wecker. Das, was sich von meinen Oberarmen bis zu den Oberschenkeln zieht, ist kein Muskelkater. Es ist ein Muskellöwe. Wie ein Verwundeter schleppe ich mich ins Bad. Bevor ich unter die Dusche krieche, schalte ich das Radio an. „One more time“, singen Daft Punk. Ich gehe zu Boden. Noch 177 Tage bis zum Berlin-Marathon.
- Felix Hackenbruch ist Volontär beim Tagesspiegel und leitet die Checkpoint-Laufgruppe. Hier schreibt er im Wechsel mit Radsporttrainer Michael Wiedersich.