Daft Punk: Die Herzschrittmacher
Nostalgische Roboter: Daft Punk reisen auf ihrem vierten Album „Random Access Memories“ in die Disco-Geschichte. Die Franzosen haben sich mit Pharrell Williams, Nile Rodgers, Giorgio Moroder und anderen prominente Verstärkung ins Studio geholt.
Eine Party im Hause Madonna. Die Popqueen hat eine Reihe prominenter Gäste eingeladen, darunter den Sänger und Produzenten Pharrell Williams sowie Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo, besser bekannt als Daft Punk. Der Amerikaner gesellt sich zu seinen französischen Kollegen. Die normalerweise stets mit Helmen auftretenden Pioniere des French House verraten ihm, dass sie gerade an neuer Musik arbeiten. Williams, der als Teil des Produzententeams Neptunes für einige der stilprägenden Alben der Nullerjahre verantwortlich war, ist Daft-Punk-Fan und würde gern mitmischen. Er sagt: „Für euch würde ich sogar Tambourin spielen.“ Etwas später laden Bangalter und de Homem-Christo ihn tatsächlich nach Paris ein und geben ihm statt eines Tambourins eine Hauptrolle: Er darf auf zwei Songs ihres am Freitag erscheinenden Albums „Random Access Memories“ (Sony) singen.
Pharrell Williams erzählt die Anekdote von der Madonna-Party in einem Video, das Teil einer Serie mit dem Titel „The Collaborators“ ist. Nach und nach haben Daft Punk in den letzten Wochen auf ihrer Website acht solcher Clips veröffentlicht. Darin berichten Albummitstreiter wie Giorgio Moroder, Julian Casablancas oder Chilly Gonzales von ihrer Zusammenarbeit mit den Franzosen, deren Verdienste sie auf eine angenehm beiläufige Weise würdigen. Diese Edelpromotion ergänzte das sonst notorisch zurückhaltende Duo durch weiteres Tamtam in diversen Medien und schraubte so die ohnehin schon hochhaushohen Erwartungen an ihr erstes Studioalbum seit acht Jahren noch ein Stück weiter nach oben.
Das überzeugendste Argument in dieser aufgeblasenen Kampagne war jedoch von Beginn an die schon im April veröffentlichte Single „Get Lucky“. Sie ist der bisher vielleicht beste Popsong des Jahres und steht zu Recht bereits in einigen europäischen Ländern auf dem ersten Platz der Charts. Pharrell Williams singt auf dieser phänomenal eingängigen Disco-Funk-Nummer über eine nächtliche Glückssuche, und Chic-Mastermind Nile Rodgers schüttelt dazu eines seiner lässigen Gitarrenlicks aus dem Handgelenk. Käme in der Mitte nicht auch noch der für Daft Punk typische von einem Vocoder verzerrte Gesang dazu, könnte man fast meinen, es handele sich um einen vergessenen Song aus der Discoära – damals, Ende der siebziger Jahre, als Rodgers mit Chic erfolgreich war und Hitalben für Sister Sledge und Diana Ross produzierte.
Die Retromania hat jetzt also auch die Roboter erwischt. Geschichtsbewusstsein zeigte das ästhetisch von Kraftwerk inspirierte Duo ja schon zu Beginn seiner Karriere vor 20 Jahren, als es begann, Houseelemente mit Synthiepop, Techno und Rock zu verbinden. Dennoch war der Sound der beiden epochalen ersten Daft-Punk-Platten „Homework“ (1997) und „Discovery“ (2001) visionär, eine neue Mainstream kompatible Art der Dance Music. Sie arbeiteten exzessiv mit Filtereffekten, Samples und Loops, um einen höchst gegenwärtigen Sound zu erzeugen. Doch damit ist jetzt erst mal Schluss. Mit Ende 30 sind die Roboter nostalgisch geworden. Auch weil ihnen die aktuelle elektronische Musik missfällt. Sie sei einförmig und bequem geworden, sagte Thomas Bangalter kürzlich im Gespräch mit dem „Rolling Stone“. Und meint damit wohl auch seinen Landsmann David Guetta, der mit seiner stumpfen Bumbum-Ästhetik einiges zu dieser Entwicklung beigetragen hat.
Die Roboter wollen das Menschliche zurück in den Pop holen
Daft Punk greifen äußerst offensiv in die Vergangenheit zurück. Sie lassen den 73-jährigen Discopionier Giorgio Moroder auf einem neunminütigen Track aus seinem musikalischen Leben erzählen und illustrieren seine in unbeholfenem Englisch vorgetragenen Erinnerungen mit einer Collage aus Moroder-haften Sequenzen. Die funky Gitarre des 60-jährigen Nile Rodgers ist auf drei der 13 Songs des Albums zu hören, unter anderem im Eröffnungsstück „Give Life Back To Music“, die sich nach einem überkandidelten Soft-Rock-Auftakt zu einer weiteren Disco-Funk-Nummer mit lockerem Boom-Tschak-Beat entfaltet. Diesmal singt eine melancholische Maschinenstimme davon, dass sie der Musik wieder Leben einhauchen möchte, und benennt damit das paradoxe Programm des gesamten Albums: Zwei Roboter wollen das Menschliche, Echte, Lebendige in den Pop zurückholen. Deshalb verzichten sie auf „Random Access Memories“ mit wenigen Ausnahmen auf Drumcomputer und Samples. Menschen spielen echte Instrumente. Und wenn es sich dabei um Synthesizer handelt, sind es natürlich alte, analoge Modelle. Die Stimmen der Gastsänger erklingen meist ohne Verfremdung, was etwa im Fall des 72-jährigen Komponisten, Schauspielers und Sängers Paul Williams zu Zeilen voller Zerbrechlichkeit und Schutzlosigkeit führt.
Es gibt einige solcher irritierend Daft-Punk-untypischer Momente auf dem in Paris, New York und Los Angeles eingespielten Werk: Das von Todd Edwards gesungene „Fragments Of Time“ klingt mehr nach einer Kooperation von Steely Dan mit Phoenix, die Ballade „Within“ mit ihrem Chilly-Gonzales-Klavierintro entwickelt kaum Profil, und das von Julian Casablancas mit Vocoderstimme gesungene „Instant Crush“ hätte sich auch gut auf der letzten Platte seiner Strokes gemacht.
Daft Punk befreien sich mit „Random Access Memories“ aus der Sackgasse, in die sie sich mit ihrem letzten Album manövriert hatten. „Human After All“ klang 2005 so lustlos, als habe es ein mit Daft-Punk-Algorithmen gefütterter Computer in ein paar Minuten zusammengerechnet. In den zweieinhalb Jahren Arbeit am neuen Material haben sie hörbar wieder Spaß an der Sache, und ihr Gespür für tolle Popsongs ist ebenfalls zurück. Neben „Get Lucky“ hat auch noch „Lose Yourself To Dance“ ein hohes Hitpotenzial.
Die Roboter verwirklichen mit „Random Access Memories“ – der Titel spielt sowohl auf Computerarbeitsspeicher als auch die Zufälligkeit menschlicher Erinnerung an – zudem ihren alten Traum von der Menschwerdung, den sie mit so vielen berühmten Maschinenkollegen teilen. Von „Blade Runner“ über „Star Trek“ und „Alien“ bis hin zu ihrem eigenen Film „Electroma“ streben die Computerwesen stets danach, ebenso gefühlvoll wie die Menschen zu sein. Daft Punk gelingt das. Wenn in „The Game Of Love“ die Vocoderstimme den Herzschmerz der Schaltkreise besingt, ist das jedenfalls mindestens so anrührend wie ein ganzes Singer-Songwriter-Album.
Daft Punk: Random Access Memories erscheint am 17.5. bei Sony.
Nadine Lange
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