Heute bei Hertha gegen Bremen: Bibiana Steinhaus pfeift auf den Unterschied
Bibiana Steinhaus ist die erste Bundesliga-Schiedsrichterin. Der Trubel um sie zeigt, wie viel sich in der Fußballkultur noch ändern muss. Ein Essay.
Nun weiß ganz Fußballdeutschland Bescheid: Wie viel Bibiana Steinhaus trainiert, wann, bei wem und was, dass sie den DFB-Männertraininingsanzug trägt anstatt sich extra ein Frauenmodell kommen zu lassen, dass Zugfahren sie entspannt. So war es in den vergangenen Wochen in verschieden Porträts zu lesen. Normalerweise stehen beim Fußball die Spieler im Mittelpunkt, ihre Macken, das rosa Trikot von Tim Wiese damals, Ronaldos Ohrstecker, Jerome Boatengs Zöpfchen. Nun geht es um den blonden Zopf von Bibiana Steinhaus, weil sie eben die Einzige mit einem solchen Zopf ist unter deutschen Bundesligaschiedsrichtern. Mehr als ihre Haarlänge unterscheide sie aber nicht von ihren Kollegen, meint sie selbst, weiß aber, dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht.
Wenn am Sonntag um 15:30 Uhr das Spiel zwischen Hertha und dem SV Werder Bremen angepfiffen wird, ist etwas anders, „historisch“ sogar, wie das Spieltagsmotto von Hertha behauptet. Denn zum ersten Mal in der Bundesligageschichte pustet eine Frau in die Trillerpfeife und entscheidet in den kommenden Minuten plus Nachspielzeit über Fouls, Verwarnungen und möglicherweise spielentscheidende Karten und Elfmeter. „Zwiegespalten“ seien ihre Gefühle bei dieser Einordnung, meint die, der diese zweifelhafte Ehre zukommt. „Ich pfeife Bundesliga, weil meine Leistungen stimmen“, sagt sie im Interview auf der Hertha-Webseite und verweist damit auf die Überflüssigkeit der Debatte.
Eine Debatte, die offengelegt hat, dass man in der Männerdomäne Fußball vielleicht noch weiter davon entfernt ist, den kleinen Unterschied nicht mehr länger zum großen zu machen als in anderen Lebensbereichen und Sportarten. Die Diskussion zeigt aber auch ein grundsätzliches Gedankenmuster, das weit über die Stadien und Funktionärszimmer hinausgeht: Gute Leistungen hin oder her, der Zopf am Hinterkopf und das zweite X-Chromosom sind weit mehr als persönliche Geschmacksentscheidungen und biologisches Merkmal.
Frauen müssen extra hart arbeiten
In ihrem TED-Talk-Vortrag „Wir alle sollten Feministen sein“, der als Video mittlerweile von mehr als einer Million Menschen gesehen wurde, erklärte die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie, warum es vielleicht einmal sinnvoll war, dass Männer eine dominante Rolle einnahmen. „Der Stärkere stand eher an der Spitze und Männer sind körperlich generell stärker“, sagt sie und fügt hinzu: „Natürlich gibt es viele Ausnahmen.“ Gelächter im Saal. Im Sport ist dieser Unterschied in unterschiedlichen Ligen und Startklassen zementiert, denn Frauen laufen tendenziell langsamer als Männer, vor allem über kurze Strecken; sie haben weniger Kraft, was besonders in Schnellkraftsportarten wie dem Fußball von Bedeutung ist. Das liegt an biologischen Merkmalen wie dem Testosteronspiegel. Nur: Eine gut trainierte Frau ist immer noch schnell. Ein Gast beim Radtraining wunderte sich einmal über das Tempo meiner ausschließlich weiblichen Rennradtrainingsgruppe, darunter Triathletinnen, die 20 Stunden in der Woche trainieren und Medaillen von der Weltmeisterschaftsteilnahme in Hawaii an der Wand ihren Trainingskellers haben. Wir warteten dann auf ihn, der zum ersten Mal auf einem Rennrad saß.
„Eine Schippe drauflegen“ müsse Steinhaus, hieß es im „Zeit“-Porträt, extra viel trainieren, um mit dem Tempo der Männer in der Bundesliga mithalten zu können. Dabei hat sie alle Fitnesstests bestanden, stand im vergangenen Jahr auf Platz eins der internen Bewertung von Schiedsrichtern in der Zweiten Liga. In die Bundesliga aufgestiegen sind dann Nummer zwei bis fünf. An dieser Diskussion offenbart sich, was in der Karriereforschung zur sogenannten „Gläsernen Decke“ schon lange bekannt ist: Frauen müssen doppelt so hart strampeln wie Männer, um etwas zu erreichen, vor allem in Kontexten, in denen sie Pionierinnen sind. Aller objektiven Fakten zum Trotz, seien es die sportlichen Errungenschaften von Ausdauersportlerinnen oder die glänzenden Bewertungen und Fitness von Bibiana Steinhaus, aus biologischen Merkmalen wird leider immer noch auf andere Fähigkeiten oder deren Abwesenheit geschlossen, im Nachhinein werden Rechtfertigungen konstruiert.
Im deutschen Fußball sind die Rollen noch klar verteilt
Der deutsche Fußball ist hier besonders hartnäckig. Denn es geht um mehr als nur um Leistung, wie Steinhaus glaubt. Es geht um Machterhalt. Es geht um die Gemütlichkeit und Vertrautheit einer heilen Welt, in der Männer pfeifen, kicken, foulen und das Spiel erklären und Frauen als dekoratives Beiwerk im Publikum sitzen, den Spielern als Partnerinnen die Männlichkeit bestätigen und erst seit Kurzem auch als starke Akteurinnen auf dem Feld auftreten dürfen. Aber auch hier offenbaren sich verkrustete Erwartungsmuster: Der Frauenfußball ist hin- und hergerissen zwischen den alten Stereotypen von lesbischen Mannsweibern und dem Gegenentwurf der Nationalspielerin, die sich zwischen rasanten Pässen noch schnell schminken muss, wie in einem Werbespot während der WM 2011 tatsächlich inszeniert.
Hauptsache weiblich, lautet die Devise, denn schiere weibliche Kompetenz wäre zu beunruhigend. Deswegen auch die Betonung auf Bibiana Steinhaus’ Zopf, früher hätte sie ja kurze Haare gehabt, wurde sie in einem Radiobeitrag eines öffentlich-rechtlichen Inforadios vorgestellt. Sie selbst ging recht naiv in ihr Laufbahn als Schiedsrichterin, wollte nicht auffallen unter ihren Kollegen, sagte sie. „Diese andere Rolle anzunehmen, hat lange gedauert“. Dieser Satz deutet ein großes Dilemma ambitionierter Frauen im Fußball und in anderen Männerdomänen an: Die rein professionelle Rolle reicht nicht, ihre Weiblichkeit spielt immer mit, drückt etwas aus, irritiert und macht sie verletzlich, stellt ihre Kompetenz in Frage. Doch was ihr zuvor als Nachteil angekreidet wurde, wird jetzt ins Gegenteil verkehrt: Schiedsrichterkollegen und Funktionäre betonen, wie kommunikativ sie sei, wie sie „keine Reizfigur“ darstelle. Geduld, Zurückhaltung, Fleiß, die Fähigkeit, zu vermitteln und zu kommunizieren – klassische weibliche Tugenden qualifizieren Steinhaus jetzt zu genau dem Posten, der ihr jahrelang verwehrt blieb. Dabei gilt sie als beherzt, nicht bang vor Rangeleien, schreckt vor sich prügelnden Spielern und cholerischen Trainern nicht zurück.
Im Breiten- und Elitesport sind Schiedsrichterinnen eine Selbstverständlichkeit
In der Schweiz und in Österreich gab es bereits weibliche Schiedsrichterinnen, in der Basketball-Bundesliga ist mit Anne Panther eine Frau im A-Kader. In den Ausdauersportarten maßregeln Schiedsrichterinnen ganz selbstverständlich männliche Athleten. Nur müssen die Unparteiischen hier kaum mehrere dutzend Sprints pro Partie hinlegen. Wohl aber müssen sie entschlossen sein, entscheidungssicher, souverän und ohne Angst, einem aufgebrachten Athleten entgegentreten, der wütend ist etwa über eine Zeitstrafe. Diese Eigenschaften beweisen Schiedsrichterinnen seit Jahren im Breiten- und Ausdauersport, nur im Elitesport und hier vor allem in den publikumsträchtigen Ballsportarten hält man hartnäckig am Männerklub fest, trotz erfüllter Qualifikationstests.
Deswegen ist es tatsächlich ein historischer Tag im Olympiastadion. Bibiana Steinhaus verdient die Aufmerksamkeit, die sie eigentlich nicht möchte, weil es selbstverständlich sein sollte, was sie da tut. Nur ist es leider immer noch nicht selbstverständlich. Es ist ein persönlicher Triumph für sie, die nie aufgegeben hat, daran zu glauben, dass harte Arbeit mehr zählt als ungeschriebene Regeln. Deswegen bedeutet dieses Spiel so viel mehr. „Kultur macht keine Menschen, Menschen machen Kultur“, sagt Chimamanda Ngozi Adichie in ihrer Rede – das Gleiche gilt für Fußballkultur. Bibiana Steinahus’ Präsenz auf dem Rasen ist ein Hoffnungsschimmer für all die kleinen Bibianas, die davon träumen, einmal selbst ein Spiel im Olympiastadion anpfeifen zu dürfen.